Das Profil eines modernen CEO hat mit den Patriarchen von einst nicht viel gemein. Welche Eigenschaften ein Chef in der heutigen Wirtschaftswelt braucht, beschreibt die Headhunterin Sabine Kohler für finews.life.

Die Digitalisierung ändert nicht nur das Geschäftsmodell und die Kultur von Unternehmen. Sie hat auch Konsequenzen auf den Führungsstil, das Rollenverständnis und dementsprechend das Profil von Führungskräften. In meiner täglichen Arbeit erlebe ich, dass ein Paradigmenwechsel bei der Auswahl von Chief Executive Officers stattfindet.

Die Diskussion dreht sich nicht mehr nur um den Lohn. Stattdessen geht es darum, was der einzelne Kandidat bewirken will. Eine sinnvolle Aufgabe mit einem positiven Einfluss auf die Gesellschaft wird von vielen heute höher bewertet als die Remuneration.

War for Talents

Gleichzeitig hat sich auch die Umwelt verändert. Der technologische Wandel konfrontiert Unternehmen mit disruptiven Wettbewerbern: Automobilhersteller und Healthcare-Unternehmen konkurrieren mit Google, Finanzdienstleister mit Apple oder Alibaba, Telekomfirmen mit Facebook oder Microsoft. Durch diese Transformation verändert sich auch die Struktur und Kultur der Unternehmen – und damit die Anforderungen an die Führungscrew und Mitarbeitenden.

Agilität ist gefragt und damit andere Leadership-Philosophien. Innovation – in diesem dynamischen, ungewissen Umfeld ein entscheidender Erfolgsfaktor – braucht Talente, die es gezielt zu rekrutieren und aufzubauen gilt. Damit ist der «War for Talents» weiterhin strategisch wichtig.

Gesunder Persönlichkeits-Mix

Wie soll die Unternehmensführung und insbesondere der CEO mit diesen neuen Herausforderungen umgehen? Je komplexer die Welt, umso wichtiger ist es, Probleme mit unterschiedlichen Denkansätzen anzugehen und verschiedene Perspektiven in die Lösungsfindung einzubeziehen. Das gelingt nur mit einem vielfältigen Team, welches einen gesunden Mix verschiedener Persönlichkeiten beinhaltet: Strategen, Visionäre, Schöpfer, Mentoren, Advokaten, kritische Denker, Organisatoren, Bewahrer, Controller und Ausführer.

Darüber hinaus ist Diversität hinsichtlich unterschiedlicher Kulturkreise, Geschlecht und Alter ein Vorteil. Die Schweiz ist im Vergleich zu anderen Ländern in Bezug auf die internationale Herkunft der Executives weit fortgeschritten: 45 Prozent der CEOs und 60 Prozent der Finanzchefs im SMI sind nicht Schweizer Staatsbürger.

Bottom-up statt Top-down

Weniger rosig ist das Bild bei der Diversität der Geschlechter: Keine einzige Schweizer Bluechip-Firma wird von einer Frau geführt und der Anteil an weiblichen Konzernleitungsmitgliedern liegt bei nur 10.3 Prozent.

Um dieser Welt gerecht zu werden, sind heute Führungskräfte gefragt, die es schaffen bei der Suche nach innovativen Lösungen die Schwarmintelligenz der Organisation zu nutzen: Es braucht mehr Bottom-up-Initiativen statt ausschliesslich Top-Down-Direktiven.

Einsamer CEO

Ein weiterer wichtiger Faktor für den nachhaltigen Erfolg ist die Vertrauensbasis mit den wichtigsten Anspruchsgruppen des Unternehmens: dem Präsidenten, dem Verwaltungsrat und allenfalls den Ankeraktionären. In Gesprächen mit CEOs wird immer wieder klar, dass es in dieser Rolle einsam ist.

Hat man als Divisionsleiter noch andere Geschäftsleitungskollegen mit ähnlichen Anforderungen und kann sich dadurch austauschen, ist man als CEO dem Druck von Investoren, Aktionären, Mitarbeitern und anderen Anspruchsgruppen allein ausgesetzt.

Silodenken überwinden

Umso wichtiger ist es, die Kooperation und Kommunikation im Unternehmen zu fördern, um schneller effektive Lösungen zu finden und das Silodenken zu überwinden. Dazu kommt die strategische Aufgabe, das «Big Picture» zu sehen und «outside the Box» zu denken.

Sorge um die Zukunft gehört zur Kernaufgabe: Woher könnten künftige Konkurrenten auftauchen? Welche Chancen ergeben sich aus technologischen Entwicklungen? Wie kann ich die Organisation für die Transformationsreise begeistern?

Natürliche Autorität

Der ideale Leader ist visionär, kann zuhören, hat den richtigen Instinkt für die Besetzung von Stellen mit den richtigen Personen. Er motiviert zum Andersdenken, nimmt sich selber zurück, ist bescheiden und demütig und doch so charismatisch, dass er die Vision überzeugend in der Organisation verankern kann. Gleichzeitig soll er authentisch sein und eine natürliche Autorität ausstrahlen.

Bei den meisten CEO-Suchen wird heute digitale Kompetenz und Erfahrung mit Transformationen gewünscht. Ganz traditionell zählen aber weiterhin der Leistungsausweis und die gelieferten Resultate.

Roter Faden

Ein erfolgreicher Chief Executive Officer hat oft in verschiedenen Industrien gearbeitet, in unterschiedlichen Ländern gelebt, hatte diverse Funktionen inne und absolvierte komplementäre Ausbildungen. Er kennt dadurch verschiedene Geschäftsmodelle, Kulturen, Lösungsansätze und Denkmuster und verfügt über eine «Diversity of Thoughts».

Dank dieser Eigenschaften kann eine Führungskraft Probleme aus mehreren Perspektiven analysieren und unterschiedliche Ansichten aus eigener Erfahrung nachvollziehen. Sie hat eine höhere kulturelle Agilität und tendiert eher dazu ein heterogenes Team zusammenzusetzen. Gleichzeitig braucht aber jeder Wechsel einen roten Faden zu früheren Erfahrungen.

Höherer Einsatz

Alle diese Eigenschaften erhöhen die Identifikation der Belegschaft mit ihrer Führungsetage. Motivierte Mitarbeitende, die sich mit ihrem Unternehmen identifizieren, tragen diese Botschaft auch nach aussen und zeigen in der Regel höheren Einsatz und grössere Flexibilität.


Sabine Kohler ist Partnerin beim Zürcher Board-Advisory-Unternehmen Dr. Bjørn Johansson Associates. Nach Abschluss des Architekturstudium an der ETH begann sie ihre Karriere im Jahr 2000 bei IBM, danach wechselte sie zum Beratungsunternehmen Accenture und später zur Fluggesellschaft Swiss. 2013 schloss sie ein EMBA in General Management an der HSG ab. Dr. Bjørn Johansson Associates ist auf die Auswahl von Verwaltungsräten, CEOs und Konzernleitungsmitgliedern spezialisiert.