Anna Bretschneider: «Britische Lösung hilft Schweizer Anlegern»
An den Aktienmärkten findet ein grundlegender Wandel statt: Viele Unternehmen verschmähen die Börsennotierung und bleiben länger privat. Dies stellt eine Herausforderung für Anleger dar. Ein 150 Jahre altes britisches Anlageinstrument könnte die Antwort auch für Schweizer Investoren sein, schreibt Anna Bretschneider, Head of Switzerland von Baillie Gifford.
In dieser Rubrik nehmen Autorinnen und Autoren Stellung zu Wirtschafts- und Finanzthemen.
Heutzutage entscheiden sich viele Unternehmen dafür, ihren Börsengang zu verschieben – manchmal auf unbestimmte Zeit. Diese Veränderung ist Teil eines tiefgreifenden Wandels in der Art und Weise, wie sich der Wert eines erfolgreichen Unternehmens entwickelt. Und er verlangt eine Antwort von uns als Vermögensverwalter.
Das Durchschnittsalter eines US-Unternehmens bei der Börsennotierung liegt heute bei 14 Jahren. Dies entspricht einem Anstieg von mehr als 50 Prozent seit 2000.
Börsengang nicht länger ein notwendiger Schritt
Dafür gibt es mehrere gute Gründe, nicht zuletzt die Leichtigkeit, mit der die Technologie es den Unternehmen ermöglicht, eine kritische Grösse ohne riesige Kapitalzufuhr zu erreichen.
Hinzu kommt die wachsende Abneigung gegen den aufdringlichen Druck und die Hindernisse, die der Status eines börsennotierten Unternehmens mit sich bringt.
«Die Tatsache, dass immer mehr Unternehmen länger in Privatbesitz bleiben, stellt ein Problem für Privatanleger dar.»
All dies bedeutet, dass der Börsengang nicht länger ein fast automatischer Schritt zur Volljährigkeit eines Unternehmens ist. Das Prestige und der PR-Wirbel, die mit dem Läuten der Börsenglocke einhergingen, sind nicht mehr das, was sie einmal waren.
Veränderte Welt erfordert neuen Investitionsansatz
Die Tatsache, dass immer mehr Unternehmen länger in Privatbesitz bleiben, stellt ein Problem für Privatanleger dar, die sich gerne frühzeitig an Unternehmen beteiligen würden, welche ihrer Meinung nach die grossen Wachstumsunternehmen der Zukunft sein werden.
Wie also gelangt man an eine kontinuierliche Beteiligung an den wachstumsstarken Phasen eines Unternehmens vor und nach dem Börsengang? Oder überhaupt Zugang zu Unternehmen, die sich dafür entscheiden, privat zu bleiben?
Britische Investoren haben eine – hierzulande wenig bekannte – Antwort in Form des Investment Trusts gefunden. Diese «geschlossenen», dauerhaften Kapitalinstrumente sind seit über 150 Jahren ein fester Bestandteil der britischen Spar- und Vermögensverwaltungs-Landschaft.
«Diese grossen Verschiebungen in der Kapitalbereitstellung hat es seit dem frühen 20. Jahrhundert nicht mehr gegeben.»
Sie werden an der Börse gehandelt – die grössten von ihnen sind FTSE 100-Unternehmen, wie der Scottish Mortgage Investment Trust, der in wachstumsstarke öffentliche und private Unternehmen auf der ganzen Welt investiert und dessen Geschichte bis ins Jahr 1909 zurückgeht.
Britische Investment Trusts: Interessant auch für Schweizer
Investment Trusts bieten einen erheblichen Vorteil: Dank ihrer Struktur haben sie die Möglichkeit auf illiquide Vermögenswerte zuzugreifen. Diese Trusts können auch Fremdkapital einsetzen, um das Wachstumspotenzial zu erhöhen, und sie sind in der Lage, im Laufe der Zeit relativ stabile Erträge zu generieren, da sie bis zu 15 Prozent der Erträge pro Jahr zurückstellen können.
Baillie Gifford ist der grösste Einzelanbieter von Investment Trusts. Der Anteil der Beteiligungen an privaten Unternehmen hat innerhalb der vergangenen zehn Jahren deutlich zugenommen –, begünstigt durch den Erfolg von Unternehmen wie Alibaba, SpaceX, Spotify und ByteDance schon vor deren Börsengang.
In seiner modernen Form ist der Investment Trust vergleichbar mit Holdinggesellschaften nach dem Vorbild von Berkshire Hathaway: Durch den Kauf von Anteilen an einem Trust erhält der Inhaber Zugang zu einem Portfolio gelisteter und privater Aktien. Trusts können ihre Grössenvorteile nutzen, um die Kosten für Privatanleger zu senken, während sie ihnen gleichzeitig einen präferierten Zugang zu den Unternehmen verschaffen.
Langfristige Interessen
Die Gründer und Manager privater Unternehmen schätzen es, gut geführte, langfristig orientierte Investment Trusts als Stakeholder zu haben. Die Tiefe der Beziehung kann dazu führen, dass die Manager des Trusts nicht vor Hindernissen zurückschrecken. Die Unternehmer schätzen auch die Tatsache, dass die tiefen Taschen einiger Trusts weniger Telefonanrufe bedeuten, wenn es um die Kapitalbeschaffung geht.
Und wenn das Unternehmen doch an die Börse geht, bleiben die Investment Trusts oft als Aktionäre bestehen, um sicherzustellen, dass die Kunden in allen Entwicklungsphasen vom Wachstum des Unternehmens profitieren.
Diese grossen Verschiebungen in der Kapitalbereitstellung hat es seit dem frühen 20. Jahrhundert nicht mehr gegeben. Mit einem Wert von mehr als 5 Billionen Dollar, der heute in «Einhörnern» steckt, können private Unternehmen in der Spätphase nicht länger als exotisches Nebenprodukt betrachtet werden.
Die neuen Umstände erfordern eine neue Art von Privatanleger. Obwohl ihre Wurzeln im viktorianischen Grossbritannien liegen mögen, haben sich Investment Trusts als aussergewöhnlich gut an die moderne Welt angepasst.
Anna Bretschneider ist Head of Switzerland von Baillie Gifford.