In den vergangenen zwei Pandemiejahren konnten die reichsten Menschen ihre Vermögen massiv steigern. Das hilft ihnen nun, sich in eine Parallelwelt abzusetzen, die immer deutlicher Gestalt annimmt. Die Banken müssen dabei mitspielen – ob sie wollen oder nicht.

Die Corona-Pandemie hat uns in eine neue Welt versetzt. Begriffe wie Homeoffice, Impfgegner oder Digitalisierung illustrieren diesen Wandel. Doch vermutlich hätten diese Entwicklungen so oder so in unserem Alltag Einzug gehalten. Die wirklich grosse Veränderung seit dem Ausbruch der Pandemie ist die Parallelwelt, die rasant an Gestalt gewonnen hat.

Genauer gesagt, die Parallelwelt der Superreichen. Noch nie haben sich so viele wohlhabende Menschen von unserer angestammten Welt gelöst wie in den vergangenen zwei Jahren. Diese neue Art von Migration – in eine alternative Welt – hat weitreichende Folgen, wie sich an zahlreichen Beispielen zeigt.

Reisepässe wie Vielflieger-Programme

Am augenfälligsten offenbart sich dies in der Nachfrage nach alternativen Staatsbürgerschaften. War die Staatszugehörigkeit früher von Geburt an oder durch die Abstammung gegeben, so hat sich dies in den vergangenen Jahren geändert, wie Jürg Steffen, CEO des auf Staatsbürgerschaften spezialisierten Beratungsunternehmens Henley & Partners, erklärt. Menschen, die es sich leisten können, erwerben über staatliche Investitionsprogramme zusätzliche Reisepässe. Damit erhöhen sie nicht nur ihre Mobilität, sondern finden auch mehr persönliche Sicherheit als in ihrem Heimatland. Reisepässe werden Vielflieger-Programmen immer ähnlicher, stellt der Autor Parag Khanna in seinem weltweiten Bestseller «Move» fest.

«Die Duldung doppelter oder mehrerer Staatsbürgerschaften gibt den Menschen die Möglichkeit, sich innerhalb der internationalen Hierarchie zu verändern, was wiederum die globale Ungleichheit bis zu einem gewissen Grad reduziert», ergänzt Steffen. Dabei sind es heute nicht nur Menschen aus Schwellenländern, die sich für einen zusätzlichen Pass interessieren. Neusten Zahlen zufolge bemühten sich in den vergangenen zwei Jahren vor allem US-Bürger um alternative Staatsbürgerschaften, gefolgt von kanadischen, britischen und australischen Bürgerinnen und Bürgern. 

Wohn- und Lebensraum auf dem Meer

Diese Entwicklung mit Steueroasen in Verbindung zu bringen, greift zu kurz. Denn längst bieten mehr als 100 Länder sogenannte «Citizenship-by-investment-Programme an. Selbst europäische Staaten, die lange Zeit sehr strenge Einbürgerungsrichtlinien kannten, betreiben dieses Geschäft heute intensiv. Der Soziologieprofessor an der Universität Bern, Christian Joppke, stellt fest, dass die Staatsangehörigkeit in einem EU-Land der «Inbegriff einer postnationalen instrumentellen Staatsbürgerschaft ist, da sie keine europäische Identität voraussetzt oder erfordert».

Kein Wunder, dass sich vermögende Menschen immer weniger einer einzigen «Welt» zugehörig fühlen. Noch einen Schritt weiter geht der amerikanische Unternehmer, Investor und Milliardär Peter Thiel. Er unterstützt ein antinationales, libertäres Projekt namens Seasteading, das dauerhaften Wohn- und Lebensraum in Siedlungen auf dem Meer vorsieht – ausserhalb der von den Regierungen jedweder Nation beanspruchten Gebiete. Weltweit sind sogar verschiedene Projekte dieser Art am Entstehen.

Banken vor riesigen Herausforderungen

Mag das noch nach Zukunftsmusik klingen, so hat sich im Gegensatz dazu die Parallelwelt des Geldes bereits sehr weit entwickelt. Digitale Währungen, die sich dem Zugriff der Nationalstaaten entziehen, erfreuen sich einer riesigen Popularität. Bitcoin mag zwar keinen unterliegenden Wert besitzen und stark schwanken, wie es die vergangenen Wochen einmal mehr gezeigt haben. Doch die Welt besass noch sie so viele Wert- und Zahlungsmittel, die sich einer globalen Akzeptanz erfreuen, wie jetzt.

Das stellt zwangsläufig auch die Banken vor enorme Herausforderungen. Denn bislang beruhte ihre Tätigkeit vollständig auf dem Geldsystem der Zentralbanken. Das ändert sich nun, so dass gleichzeitig neue Institute entstehen, die dem Paradigmenwechsel im globalen Finanzsystem Rechnung tragen. Wie schwer sich die traditionellen Banken mit diesem Wandel tun, zeigt sich in ihrer zögerlichen Art und Weise, wie sie über digitale Währungen denken.

Lange Zeit haben sie Bitcoin & Co. verteufelt, dann sich allmählich damit angefreundet, und finden nun wieder genügend Gründe, die Argumente der «Krypto-Bullen» zu entzaubern, seit der Marktwert in den vergangenen Wochen drastisch gesunken ist, wie finews.ch vergangene Woche berichtete.

Zweierlei Realitäten

Die in der Pandemiezeit rasant fortgeschrittene Digitalisierung und vor allem ihr grenzüberschreitender Einsatz hat auch neuen Daten- und Kommunikationsnetzen zum Durchbruch verholfen. Dabei geht es nicht um zweifelhafte Sphären im Darknet, sondern um neue Welten, die sich mit der Lancierung von Metaverse zusehends Gestalt annehmen.

Dass der Zugang zu diesen Parallelwelten über kurz oder lang etwas kosten wird, ist unbestritten und dürfte auch in dieser Hinsicht zu einer Zweiklassen-Gesellschaft führen. Der australische und in New York lehrende Philosophieprofessor David Chalmers spricht dabei von «Corporatocracies», wo die Rahmenbedingungen dieser Parallelwelten durch jene Firmen festgeschrieben werden, die diese Plattformen betreiben.

Mehr Bildung und Gesundheit

In seinem Buch «Reality+» schreibt Chalmers, dass die virtuelle Realität in einigen Jahrzehnten kaum mehr von der «physischen» Realität zu unterscheiden sein wird. Virtuelle Konsumenten werden die Rechte von virtuellen Staatsbürgern einfordern. Daraus lässt sich der Umkehrschluss ableiten: Die Parallelwelt der Zukunft wird den Vorgaben des digitalen Kapitals gehorchen und daraus ihre Gesetze ableiten.

Die durch Covid veränderte Arbeitswelt hat bereits eindrücklich gezeigt, wie unabhängig und von überall her System und Organisationen funktionieren können. Vor diesem Hintergrund braucht es nicht viel Fantasie, um sich vorzustellen, dass die Parallelwelt der Superreichen auch neue Bildungsinstitutionen ins Leben rufen wird. Dieses Mehr an Wissen wird es ermöglichen, das Gesundheitssystem in manchen Teil der (Parallel-)Welt noch entscheidend zu verbessern. Allerdings wird auch das seinen Preis haben, den sich nur ein kleiner Teil der Bevölkerung leisten kann.

Noch mehr Populismus

Parallelwelten werden auch dazu führen, dass den «traditionellen» Staaten ein Teil der Steuereinnahmen wegbricht. Dadurch erfährt auch die Politik einen Wandel hin zu (noch) mehr Populismus, da um die begrenzten Staatshaushalte umso heftiger gerungen werden dürfte. Die Glaubwürdigkeit vernünftiger und massvoller Politik wird dadurch noch mehr in den Hintergrund rücken.

Die zunehmende Fragilität der angestammten Welt wird die Funktionstüchtigkeit eines jeden Systems auf eine harte Probe stellen. Die Stimmen, die nun ein Ende der Pandemie verkünden, nehmen zwar seit einigen Wochen zu. Doch es wäre fahrlässig, nun zu glauben, man werde schon bald zu unserem früheren Alltag zurückkehren können.