Der Goldpreis irritiert die Haussiers und bekräftigt die Baissiers. LGT-Edelmetall-experte Peter Sigg analysiert gegenüber finews.ch die derzeitige Lage.

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Herr Sigg, vor einem halben Jahr noch waren Sie bullish auf Gold. Seither erlebte der Goldpreis jedoch einen Preiseinbruch. Ist das bloss eine technische Reaktion oder mehr? 

Der Goldpreis stand vor einem halben Jahr bei 1'750 Dollar je Unze als wir die Prognose von 1'950 Dollar per Ende 2013 publizierten. Wir wiesen dabei darauf hin, dass Rückschläge in Höhe von 200 bis 300 Dollar durchaus möglich sind. Somit bewegen wir uns mit dem derzeitigen Preis von rund 1'470 Dollar noch innerhalb unserer Erwartungen, dies jedoch deutlich am unteren Ende der Bandbreiten.

Gibt es auch fundamentale Gründe des Preiseinbruchs?

Es sind mehrere Faktoren. Der Goldpreis befand sich bereits seit Oktober 2012 in einem Abwärtstrend, der auf den verbesserten Wachstumsaussichten und der Erwartung steigender Zinsen in den Vereinigten Staaten basierte. Die Stabilisierung der amerikanischen Wirtschaft spiegelte sich dann auch im FOMC Protokoll vom 10. April, das darauf hinweist, dass einzelne Ausschussmitglieder einen vorzeitigen Ausstieg aus den Quantitative Easing-Massnahmen favorisieren.

«Abwärtstrend mündete in regelrechten Ausverkauf»

Gleichzeitig erreichten Meldungen den Markt, dass Zypern einen Verkauf der Zentralbank-Goldbestände in Betracht ziehe, um seine finanzielle Situation zu verbessern. Viele Marktteilnehmer befürchteten daher ein erhöhtes Risiko, dass weitere Eurostaaten folgen könnten und somit ein massiver Verkaufsdruck auf den Goldpreis entstehen könnte.

Der letzte Auslöser war dann die Unterschreitung der breit beachteten Unterstützungsmarke von 1'520 Dollar. Nach dem Bruch dieser Marke wurden viele Stopp-Limiten ausgelöst, margin calls getriggert und modellbasierte Verkaufsorders generiert. Dies führte zu einem sich selbstverstärkenden Abwärtstrend, der in einem regelrechten Ausverkauf mündete.

Woher stammten die Verkäufe?

Der Grossteil der Verkaufsorders stammte von ETF-Investoren und von der Liquidierung von Futurespositionen an der COMEX. Die Mehrheit dieser Investoren sind als institutionelle Investoren und CTA’s/Hedge Funds zu klassifizieren. Privatinvestoren und physisch orientierte Marktteilnehmer sind nicht als grosse Verkäufer am Markt aufgetreten. Solche massiven Kursausschläge sind darauf zurückzuführen, dass Investoren via ETF’s viel schneller reagieren können und beim Bruch der Marke 1'520ihre Positionen schlagartig liquidiert haben.

Ist die Erholung seit dem Tief von unter 1‘400 Dollar je Unze mehr als eine technische Korrektur?

Einerseits ist dies sicherlich eine technische Gegenreaktion, da bei Eintreten der Kurserholung viele Leerverkäufer ihre Positionen zurückgekauft haben und Gewinne sichern wollten.

«In Asien haben viele die Kursschwäche genutzt»

Die Kurserholung ist jedoch auch deutlich auf eine verstärkte Kaufaktivität von Privatanlegern insbesondere im Münzen- und Schmuckbereich zurückzuführen. Speziell in Asien haben viele Käufer die Kursschwäche genutzt, was bei einigen Münzhändlern und Schmuckverkäufern zu einem grossen Gedränge in ihren Geschäften führte.

Ausserdem ist davon auszugehen, dass einige Zentralbanken, die strategisch Gold kaufen möchten, diese Kursniveaus ebenfalls genutzt haben, um ihre Währungsreserven weiter zu diversifizieren. Genauere Zahlen über die Aktivitäten der Zentralbanken während des Kurssturzes im April sind erst in ein bis zwei Monaten verfügbar.

Gibt es überhaupt einen so genannt «fairen Preis» für Gold?

Bei Rohstoffen ist es allgemein schwierig, eine Bewertung für einen fairen Preis zu berechnen. Anders als bei Obligationen oder Aktien, die stetige Cash-flows in Form von Dividenden oder Coupons vorweisen können, ist dies bei Gold nicht der Fall. Somit können keine Cash-flowbasierten Modelle – DCF, Dividend Discount Model und andere – herangezogen werden. Der Marktpreis entsteht also aufgrund von Angebot und Nachfrage nach Gold.

«Aktuell gibt es keine Anzeichen von Minenschliessungen»

Als fairer Preis können als Richtwert die Produktionskosten betrachtet werden. Die marginalen Produktionskosten, also die Kosten für eine zuletzt neu erschlossene zusätzlich produzierte Unze beträgt je nach Produzent und Region zwischen 950 und 1'150 Dollar. Der aktuelle Marktpreis handelt also immer noch mit einem Aufschlag von rund 20 bis 30 Prozent zu den Produktionskosten, die langfristig als untere Preisgrenze betrachtet werden können.

Dann gibt es auch noch keine Schliessungen von Minen?

Aktuell gibt es noch keine Anzeichen von Minenschliessungen. Dies wird aus unserer Sicht auch nicht so schnell passieren, da die Schliessung einer Mine und das spätere Wiederhochfahren mit hohen Kosten verbunden sind und Minengesellschaften folglich eher dazu tendieren, unrentable Minen in der Hoffnung auf steigende Preise weiter zu betreiben.

Erst wenn die  Nachfrage um 20 bis 30 Prozent einbrechen würde, müssten Projekte mit hohen Produktionskosten stillgelegt werden.

Es heisst, der jüngste Goldpreisanstieg sei auf Käufe aus Russland und Kasachstan zurückzuführen. Kennen Sie die Gründe und die Käufer?

Die 5.9 metrischen Tonnen, die von den Zentralbanken Russlands und Kasachstans gekauft wurden, beziehen sich auf den Bericht des Internationalen Währungsfonds für den Monat März. Die Aprilzahlen werden mit einer gewissen Zeitverzögerung von ein bis zwei Monaten vorliegen. Es ist jedoch sehr wahrscheinlich, dass Zentralbanken die Gelegenheit genutzt haben und ihre Goldreserven bei diesen Preisniveaus weiter ausgebaut haben.

«Zentralbanken sind Contrarian-Käufer»

Zentralbanken sind eher als langfristig orientierte Contrarian-Käufer, also Käufer, die in einer Kursschwäche dazukaufen, zu bezeichnen, wobei ein Teil der institutionellen und privaten Anleger als eher mittelfristig-orientierte Momentum-Verkäufer aufgetreten sind.

Wie steht es mit China und Indien? Diese Länder wurden seinerzeit als mitverantwortlich für den markanten  Goldpreisanstieg bezeichnet.

In China und Indien übt Gold eine grosse Faszination auf die Menschen aus. Goldbesitz gilt als Zeichen von Reichtum und sozialer Anerkennung. Aufgrund der hohen Goldpreise waren jedoch viele Privatpersonen mit dem Zukauf von Gold zurückhaltend. Diese haben nun die Kursschwäche genutzt, sie konnten zu einem erschwinglicheren Preis Gold erwerben. Diese Käuferschicht tritt bei Kursschwächen wie die Zentralbanken als stabilisierende und preisunterstützende Käufergruppe auf und lässt sich weniger vom kurzfristigen Sentiment beeinflussen.

Was halten Sie von Organisationen, die mit Prospektmaterial die Leute auffordern, alten Goldschmuck – Ringe, Hals- und Armbandketten usw. – gegen Bargeld abzuliefern?

Wir verfügen über einer liberale Wirtschaftsordnung, in der jeder seine auf legaler Basis beruhende Tätigkeit anbieten darf. Schliesslich muss jeder, der Gold hält, selber entscheiden, wann und zu welchem Preis er es verkaufen will. Es gilt dabei natürlich immer darauf zu achten, dass man solche Geschäfte nur mit vertrauenswürdigen und professionell agierenden Organisation abwickelt.

Früher waren Goldvreneli und weitere Goldmünzen ein beliebtes Geschenk. Deshalb sind viele noch immer im Besitz solcher Wertstücke. Was empfehlen Sie: Halten, verkaufen, zukaufen oder umtauschen in andere Anlagen mit Goldbezug?

Gold hat sich als Wertaufbewahrungsmittel über Jahrtausende bewährt, wobei unser heutiges Währungssystem eine erst kurze Lebensdauer hat.

«Wir sehen die langfristigen Strukturfaktoren als Goldpreis-positiv»

Zudem sehen wir die langfristigen Strukturfaktoren – globale Liquiditätsmassnahmen der Zentralbanken, tiefe Realzinsen, gefährliche Überschuldungssituation der Eurostaaten, USA und Japan, Ausfallrisiken von Papierwährungen – weiterhin als Goldpreis-positiv. Aus diesen Gründen macht das Halten oder Zukaufen für sehr langfristig orientierte Anleger sicherlich Sinn.

Wie hoch soll resp. darf der Anteil von Goldanlagen in einem diversifizierten Portefeuille sein?

Wir sind der Einschätzung, dass ein Goldanteil von fünf bis zehn Prozent, je nach Risikobereitschaft des Anlegers Sinn macht. Gold dient dabei als Diversifikationsinstrument im Portfolio und kann Eigenschaften aufweisen, die andere Anlagen nicht bieten können. Dabei darf man aber nie vergessen, dass auch der Goldpreis hohen Wertschwankungen unterworfen ist und kurzfristige Kursverluste verkraftet werden müssen.

Die Goldinitiative der SVP fordert unter anderem einen Goldanteil von mindestens 20 Prozent an den Aktiven der SNB und verlangt, dass deren Goldreserven ausschliesslich in der Schweiz liegen müssen. Was halten Sie von diesen Forderungen?

Eine Repatriierung der im Ausland gelagerten Goldbestände unserer Nationalbank macht durchaus Sinn, da die Schweiz dann die vollständige Kontrolle über das Nationalbank-Gold hat und bei einer aussenpolitischen Eskalation keinen Gegenparteirisiken zu anderen Staaten ausgesetzt ist.

«Repatriierung von Gold ja, fixer Goldanteil macht keinen Sinn»

Ein fixer Goldanteil von 20 Prozent an den Aktiven der SNB macht aus meiner Sicht wenig Sinn, da die SNB stets über die Flexibilität verfügen muss, ihre Bilanz verlängern oder verkürzen zu können und die geldpolitische Handlungsfähigkeit nicht eingeschränkt werden sollte. Zudem könnte dann bei einer Verlängerung und einer darauffolgender Verkürzung der Bilanz die Aktivseite der SNB weitestgehend aus unverkäuflichem Gold bestehen, was suboptimal wäre.

Ein Grossinvestor, der wenig bis nichts übrig hat für Gold, ist Warren Buffett. Können Sie sich vorstellen, weshalb er gegenüber Goldinvestments so negativ ist?

Warren Buffett bevorzugt Investments in so genannte «productive assets», die einen laufenden Ertrag generieren. Gold ist dagegen ein «hard asset», das diese Eigenschaft nicht besitzt.

 «Darum ist Warren Buffett kein Freund von Gold»

Warren Buffetts Strategie ist zudem «buy one dollar for fifty cent», was bedeutet unterbewertete Assets zu einem Abschlag gegenüber dem fairen Wert zu kaufen. Dies verlangt jedoch die Einschätzung eines fairen Wertes gegenüber dem Marktpreis, welcher – wie erläutert – bei Gold schwierig zu bestimmen ist. Hinzu kommt, dass Warren Buffett bei seinen Investments in Aktiengesellschaften aktiv Einfluss nimmt, um den Wert des Unternehmens über Strategiewechsel und Restrukturierungen zu steigern. Dies ist bei einem Investment in Gold natürlich nicht möglich. 

Er hat ausserdem mal erklärt, dass es ihm bei seinen Investitionen nicht nur darum geht, Rendite zu erwirtschaften, sondern auch darum, produktive Geschäftsfelder zu betreiben, die der Gesellschaft einen Mehrwert bringen. Dies sieht er anscheinend bei Gold als nicht gegeben an. Daher steht er einem Investment in Gold eher zurückhaltend gegenüber.

Was spüren Sie in Ihrem Kundenkreis: Verunsicherung, Abgaben, Zukäufe? Und welche Art von Goldinvestment wird zurzeit bevorzugt?

Der Kurseinbruch innerhalb von zwei Tagen hat natürlich Fragen aufgeworfen. Es hat kaum jemand damit gerechnet, dass der Goldpreis in derart kurzer Zeit so einbrechen kann. Da die Mehrheit der Kunden langfristig orientiert ist, sind keine grösseren Transaktionen oder Umschichtungen ausgelöst worden.

«Haben die Positionen in Platin und Palladium ausgebaut»

Präferiert werden immer noch Positionen in ETF’s und auf dem Metallkonto, wobei auch Goldbarren im Safe gehalten werden.

In unserem Rohstofffonds, dem LGT Commodity Active Fund haben wir den Kursrückgang im Edelmetallsektor zum Aufbau der Edelmetallquote genutzt. Wir haben dabei Gold in der Kurserholung taktisch leicht abgebaut und dagegen zusätzliche Positionen in Platin und Palladium aufgebaut, die wir in ihrer fundamentalen Bewertung mittelfristig als attraktiver einschätzen, und welche näher bei ihren marginalen Produktionskosten handeln, was das Downside-Risiko etwas limitieren kann.


Peter Sigg stiess 2007 zu LGT Capital Management und leitet dort den Bereich Commodity Products. Er stellte das Commodity Investment Team zusammen und entwarf den Investment-Prozess. Vor dem Wechsel zu LGT war Peter Sigg für die Credit Suisse und AXA Winterthur Asset Management in der Funktion eines Quantitative Portfolio Managers tätig.

Er studierte an der Universität St. Gallen und beendete das Studium mit einem Master Degree in Business Administration. Peter Sigg ist Gründer und Präsident des in Zürich domizilierten Commodity Club.