Michael Krinner von der LGT zieht ein Jahr nach der Einführung der MiFID-Regulierung ein erstes – unterm Strich – positives Fazit. Gleichwohl findet er, dass die Regulatoren teils übers Ziel hinausgeschossen haben.


Herr Krinner, ein Jahr nach der MiFID-II-Einführung bei der LGT: Was hat sich in der Arbeit und im Kontakt mit den Kunden geändert?

Es hat sich eine ganze Menge geändert. Banken, welche die neuen regulatorischen Auflagen nicht technisch lösen, sondern den Kundenberatern aufbürden, sehen sich mit einem signifikanten manuellen Mehraufwand konfrontiert, der aus meiner Sicht zu Lasten der Beratungsqualität gehen dürfte.

Für Kunden resultiert MiFID in mehr Anlegerschutz und höherer Transparenz, aber auch in einem engeren Beratungskorsett. Die Kunden erfahren Beratung ausschliesslich noch im Rahmen eines definierten Mandats, basierend auf ihrem Anlegerprofil und im Rahmen der Anlageuniversen, welche die Banken für sich definiert haben.

Gibt es auch Einschränkungen?

Teils führen gewisse Regularien dazu, dass in bestimmten Bereichen keine Beratung mehr erfolgen kann. Dies zum Beispiel bei den neuen Dokumentationsanforderungen für komplexere Obligationen. Eine überwiegende Mehrheit von Emittenten erstellt die erforderlichen Dokumente gar nicht, weshalb die Banken diese nicht an Privatkunden vertreiben dürfen. Das ist für die meisten Kunden ganz neu, dass ihr Kundenberater ihnen mitteilt: «Es tut mir leid, dazu kann und darf ich Ihnen nichts sagen».

Was für Umstellungen gab es für die Kundenberater?

Für unsere Kundenberater waren umfangreiche Schulungen notwendig. Zunächst ging es darum, sie überhaupt für die Wichtigkeit der durch MiFID ausgelösten umfangreichen Veränderungen in der Beratung und in ihrer Arbeitsweise zu sensibilisieren. Wir haben sie auch darin geschult zu erkennen, wo sich Wettbewerbsvorteile für die LGT und Mehrwert für den Kunden aus der neuen Regulierung ergeben.

«Kein Kunde versteht den Einfluss von MiFID intuitiv»

So haben sie beispielsweise auf Grund unserer erweiterten Anlageuniversen mehr Flexibilität und Spielräume in der Beratung. Im Tagesgeschäft haben wir die Kundenberater dann mit einem vollautomatisierten System entlastet, das alle regulatorischen Anforderungen selbständig prüft, so dass sich die Berater auf das Kundengeschäft und die Beratung fokussieren können. 

Wie ist die Beurteilung der LGT zur MiFID-Regulierung nach einem Jahr Praxistest?

Unsere Beurteilung fällt insgesamt positiv aus. Wichtig war, dass unsere Kundenberater genügend Vorlauf und Zeit zur Kommunikation mit ihren Kunden hatten. Dies war und ist von zentraler Bedeutung, da kaum ein Privatkunde intuitiv versteht, welchen Einfluss MiFID auf sein Beratungsverhältnis zum Kundenberater hat.

Hier gab und gibt es immer noch viel Aufklärungsbedarf. Kundenseitig haben wir grösstenteils positive Reaktionen erhalten – wenn wir von den vielen neuen Dokumenten, Verträgen und Vertragsanhängen absehen, welche die Kunden verstehen und unterzeichnen mussten.

Sind auch unvorhergesehene Probleme aufgetreten?

Natürlich bringt die Einführung eines neuen EDV-Systems auch unerwartete Herausforderungen mit sich. Unser Anspruch war, den Kundenberatern ein vollständig automatisiertes System zur Verfügung zu stellen, das sie von der manuellen Prüfung sämtlicher regulatorischer Vorgaben entlastet.

«Welcher Weg der richtige ist, wird sich zeigen»

Dies ist uns gut gelungen. In einzelnen Fällen waren wir unzufrieden mit der Datenqualität, die wir von unseren Partnern, den Produktlieferanten, geliefert erhielten. MiFID war und ist diesbezüglich eine Herausforderung für alle Finanzinstitute.

Gab es nur einen Weg, MiFID zu implementieren – oder gab es auch den Weg der LGT?

Es gab sicherlich viele verschiedene Wege. Welcher der richtige ist, wird sich erst in einigen Jahren zeigen. Die LGT hat von Beginn an ein klares Ziel formuliert: Der Kunde muss in der Beratung weiter im Mittelpunkt stehen und der Kundenberater darf nicht mit administrativen Arbeiten überlastet werden.

«Regulierungen haben das Beratungsangebot eingeschränkt»

Darum war uns eine Automatisierung wichtig. Eine Standard-Beratung mit Modellportfolios gibt es bei der LGT auch nach der Einführung von MiFID nicht. Ausserdem haben wir uns für einen portfoliobasierten Risikoansatz entschieden. Das heisst, wir überwachen das Risiko auf Ebene des Gesamtportfolio. Wir sind überzeugt, dass dieser Ansatz dem oft praktizierten produktspezifischen Ansatz in vielen Aspekten überlegen ist. 

Ist Fidleg aus Sicht der LGT überhaupt noch notwendig?

Aus Sicht des Anlegerschutzes bietet MiFID bereits ein grosses Spektrum an Regulierungen. Abweichende Normen im Fidleg schaffen für die Finanzinstitute zusätzliche Komplexität. Jedoch ist es verständlich, dass der Gesetzgeber die Eigenheiten des Schweizer Finanzmarktes in seinem eigenen Regulierungswerk reflektiert sehen möchte.

Wie lauten die Prognosen der LGT bezüglich fortschreitender Regulierung?

MiFID war ein Quantensprung in der Regulierung des europäischen Finanzsektors. Der Anlegerschutz und auch die Transparenz, vor allem was Preise und Gebühren und die Strukturen von Anlageprodukten angeht, wurde deutlich verbessert. Jedoch sind einige Regulierungen über das Ziel hinausgeschossen und führen bei Privatanlegern zu einer Einschränkung des Beratungsangebotes.

Künftig sollte genau abgewägt werden, welche weiteren Massnahmen im Sinne des Anlegerschutzes notwendig sind oder wo man die strengen Regulierungen wieder etwas lockern kann. Dies ist ein stetiger Lernprozess, der auch die Wettbewerbsfähigkeit des europäischen Finanzsektors insgesamt nicht unwesentlich beeinflusst.


Michael Krinner ist seit 2016 als Head Portfolio Advisory Europe bei der LGT tätig. Davor war er in verschiedenen leitenden Funktionen bei der Credit Suisse Asset Management beschäftigt. Krinner erwarb einen Master-Abschluss in Betriebswirtschaft von der Universität Zürich und hat darüber hinaus ein Executive MBA an der Universität in Lausanne und Carnegie Mellon University in Pittsburgh, USA, absolviert.