Bei der Anwendung von ESG-Kriterien seien neue Parameter der Schlüssel für erfolgreiches Investieren, erklärt Michael Urban, stellvertretender Leiter der Nachhaltigkeitsforschung bei Lombard Odier Investment Managers, im Interview mit finews.ch.


Herr Urban, wissenschaftliche Studien kommen regelmässig zum Schluss, dass ESG-Ratings für Verwirrung unter Anlegern sorgen. Wie erklären Sie sich dieses Phänomen?

Wissenschaftliche Studien zeigen, dass es grosse Unterschiede in der ESG-Performance gibt, die denselben Unternehmen von verschiedenen Anbietern von ESG-Ratings und -Kennzahlen zugewiesen werden.

Eine Konvergenz mag zwar wünschenswert sein, aber ich denke, die Anleger sollten ihre Aufmerksamkeit auf eine viel wichtigere Frage richten. Und zwar warum verwenden sie ESG-Kennzahlen an erster Stelle. Wenn es darum geht Alpha zu generieren, dann sollten sie sich anderswo umsehen.

«Ein grosser Teil des Greenwashing beruht auf Unwissen»

ESG-Kennzahlen liefern es nicht, weil sie fundamental darauf ausgerichtet sind, was ein Unternehmen getan hat. Es ist aber der Blick in die Zukunft, der ihnen hilft, die Gewinner und Verlierer im Wandel zu einer nachhaltigen Wirtschaft herauszufiltern.

Für Kontroversen sorgt auch das Greenwashing bei Finanzprodukten. Eine HSBC-Studie kam unlängst zum Schluss, dass dieses Problem viel mehr verbreitet ist als angenommen. Was machen die Asset Manager falsch?

Offensichtlich gibt es hier Fehlverhalten, aber ich denke, dass ein grosser Teil dieses Greenwashing auf Unwissen beruht. Vermögensverwalter müssen hier ihre Hausaufgaben erledigen, um die Chancen und Risiken von Nachhaltigkeit wirklich zu verstehen. Jedenfalls ist die Idee trügerisch, einfach ESG-Scores in ansonsten unveränderte Investmentprozesse einzustreuen.

Wie sollten Asset Manager ganz konkret dem Greenwashing-Phänomen begegnen?

Indem sie sich Meinungen und Einblicke von entsprechenden Experten verschaffen. Asset Manager, die glaubwürdig in den Klimaschutz investieren, müssen die Ursachen des Klimawandels verstehen und wie eine Abschwächung des Klimawandels Chancen und Risiken für die Finanzmärkte schafft. Das erfordert spezielles Fachwissen.

Um die Netto-Null-Ziele zu erreichen gilt der Carbon Footprint als Massstab. Sie plädieren jedoch für die Methode des Implied Temperature Rise (ITR). Was muss man sich darunter vorstellen und warum sollte dieses Verfahren besser sein?

Betrachtet man den historischen Kohlenstoff-Fussabdruck zur Steuerung eines Klimawandels, der sich in den nächsten Jahrzehnten rasant entwickeln wird, dann ist das wie wenn man in die Vergangenheit blickt, um Rückschlüsse für die Zukunft zu erhalten.

«Die Schweiz muss sicherstellen, dass sie die grössten Talente anzieht»

Der ITR ermöglicht Investoren fundierte Entscheidungen, die sich auf die Ambitionen und Fähigkeiten der Unternehmen stützen, wie sie in ihrem Geschäftsmodell mit der Zeit die Dekarbonisierung voranbringen. Es ist wie beim Autofahren: auch am Steuer blickt man nach vorne und nicht in den Rückspiegel.

Das ganze Nachhaltigkeits-Thema erfordert viel Aufklärungsarbeit, nicht zuletzt auch um Greenwashing zu beseitigen. Was sollte die Branche hier tun?

Personen treffen, die sich mit Nachhaltigkeit auskennen, Fragen stellen, zuhören und sie dann einstellen. Die ganze Firma muss sich nicht in ein Labor für Klimawissenschaft verwandeln, aber die entsprechende Expertise muss im gesamten Haus vorhanden sein und dieses Wissen muss sich bis in die obersten Entscheidungsebenen im Management und Investment Management übertragen.

Die Schweiz profiliert sich seit einiger Zeit als internationales Zentrum für nachhaltige Finanzen. Bringt sie dafür die notwendigen Kompetenzen mit?

Das ist absolut richtig, es sollte aber nicht zu Selbstgefälligkeit führen. Der Wettkampf um die besten Talente für Nachhaltigkeit in der Finanzbranche ist weltweit am Laufen. Hier muss die Schweiz sicherstellen, dass sie die grössten Talente anzieht. Auch hier geht es um eine vorausschauende Strategie.

Was könnte noch zusätzlich getan werden, um die führende Rolle der Schweiz weiter zu stärken?

Die EU hat nach einem langen Zeitraum neue Regulierungen im Kampf gegen Greenwashing erlassen. Viele dieser Vorschriften treffen de facto auch auf die Schweizer Finanzinstitute zu, die Geschäfte in der EU haben.

«Nach unserer Einschätzung haben die EU-Regularien ihre Stärken und Schwächen»

Ich denke, dass sich für die Schweiz eine Chance bietet, sich an die Spitze dieser Entwicklung zu stellen. Diese hilft Investoren in Zukunft, bessere Entscheidungen in der Allokation von Kapital zu treffen. Der Swiss Climate Score, der auch den ITR beinhalten sollte, ist ein Schritt in diese Richtung.

Sollte die Schweiz so weit gehen und auch die SFDR-Regulationen der EU übernehmen?

Nach unserer Einschätzung haben die EU-Regularien ihre Stärken und Schwächen. Am wichtigsten ist, dass die Schweiz es vermeidet, Verordnungen zu entwickeln, die nicht kompatibel mit denen ihrer wichtigsten Wirtschaftspartner sind.


Michael Urban ist stellvertretender Leiter der Nachhaltigkeitsforschung bei Lombard Odier Investment Managers (LOIM). Seit 2020 ist er zudem Mitglied des Forschungsteams für nachhaltige Investitionen, Strategie und Management (SIRSS) der Bank. Er leitet die thematische Forschung zu CLIC-Investitionen (Circular, Lean, Inclusive and Clean) und verwaltet die akademischen Partnerschaften der Gruppe. Zudem ist er Teilzeit-Forschungsassistent am Zentrum für Umwelt der Universität Oxford und Senior Fellow am St Peter's College.

 

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