Nach zwei Jahrzehnten an der Spitze von grossen Finanzdienstleistern in Asien zählt der Schweizer René Bühlmann zu den besten Kennern der Region. Im Gespräch mit finews.ch berichtet der Asien-Chef des Fondshauses Abrdn von fundamentalen Veränderungen in seinem Geschäft.

Von durchtrennten Lieferketten kann René Bühlmann ein Lied singen. Um den Posten als neuer Asienchef des schottischen Fondshauses Abrdn (ehemals Standard Life Aberdeen) anzutreten, musste er mitten im Lockdown vom vergangenen März von Hongkong nach Singapur zügeln. Dort sass er erstmal wochenlang in Quarantäne – und wartete auf Möbel, die nicht ankommen wollten.

Während in Hongkong weiter strenge Massnahmen gelten, hat der südoastasiatische Stadtstaat seine Vorschriften stark gelockert, was Bühlmann seither zum Riesen genutzt hat.

Innovations-Zentrum der Welt?

Dieser Tage weilte der Finanzprofi, der fast 30 Jahre im Dienst der UBS stand und für die Grossbank zuletzt das Fondsgeschäft in der Region Asien-Pazifik leitete, für kurze Zeit in der Schweiz. Bühlmann, der 17 Jahre in Hongkong gelebt hat, lässt sich dabei nicht von den am hiesigen Finanzplatz umgehenden Ängsten vor einer Deglobalisierung und geopolitischen Gräben zwischen China und dem Westen anstecken. «In Asien ist die Neutralität der Schweiz kein grosses Thema», beschwichtigt er im Gespräch mit finews.ch.

Nicht von der Hand weisen liessen sich jedoch fundamentale Veränderungen für das Geschäft westlicher und Schweizer Finanzdienstleister in Asien, wie er weiter sagte. «Aber diese bestehen nicht erst seit gestern», gibt er zu bedenken. China sei lange die Fabrikhalle der Welt gewesen. Nun würden das Land und auch die umliegenden asiatischen Staaten immer mehr zum Innovations-Zentrum der Weltwirtschaft.

Näher an den Kunden heran

Ebenfalls werde die Abhängigkeit der Region vom Westen über die Zeit an Bedeutung verlieren, gerade auch, weil nach den Erfahrungen der Corona-Krise die Lieferketten tendenziell regionalisiert würden. «Für die Finanzbranche heisst dies: Wir müssen näher an den asiatischen Kunden heran», so der Abrdn-Asienchef.

Aus Investorensicht gebe es zudem viele Möglichkeiten vor Ort, um «Alpha», also Mehrwert gegenüber den Börsen, zu erzeugen. Auch deshalb stelle sich dringlich die Frage nach dem Zugang zu diesen Märkten. «Wir kommen nicht darum herum, lokal präsent zu sein», betont Bühlmann. Abrdn sei seit 30 Jahren in Singapur vor Ort; auch von seinen anderen asiatischen Standorten aus stehe der Asset Manager in direktem Austausch mit den Unternehmen und nehme als aktiver Vermögensverwalter lokal Einfuss.

Kein Nehmen ohne Geben

Natürlich gibt es auf den Massenmarkt in Fernost auch die Vertriebssicht. «Es geht für uns auch darum, asiatischen Kunden den internationalen Anlagemarkt zugänglich zu machen», so der Finanzmanager. Gerade chinesische Institutionelle seien derzeit sehr an europäischen Immobilien interessiert. Umgekehrt führe bei der Erschliessung des chinesischen Massenmarkts kein Weg an lokalen Partnern vorbei.

«Ich habe bei der UBS bereits solche Joint-Ventures erarbeitet», berichtet Bühlmann, wobei er das Geben und Nehmen betont. «Als Gegenleistung zu den schon bestehenden und extrem starken Vertriebsnetzen im Land können westliche Firmen ihr Wissen andienen, zum Beispiel, wie eine moderne Vermögensverwaltung oder ein Pensionskassenwesen funktioniert.»

Den schnellen Gewinn finde man jedoch nirgends – in China zählten die Partnerschaft und das langfristige Engagement. «Man muss sich dort immer wieder beweisen», erklärt der Ex-UBS-Banker aus langer Erfahrung.

«Die asiatischen Kernmärkte beobachten die Schweiz ganz genau»

Das sich der Einsatz lohnt, davon ist er felsenfest überzeugt. Das Wachstum der Region sei ungeachtet der jetzigen Abschwächungen substanziell und werde durch die Digitalisierung zusätzlich beschleunigt. Bühlmann verweist auch auf Projektionen zum asiatischen Markt. So soll bis 2024 mehr als die Hälfte des weltweiten BIP aus der Region kommen; 40 Prozent des globalen Konsums findet jetzt schon dort statt, gibt er zu bedenken. Und in zehn Jahren sollen zwei Drittel der weltweiten Mittelklasse aus Asien stammen. «Es gibt so viele Investitionsmöglichkeiten in Asien, dass es aus Anlagesicht unmöglich ist, einen Bogen um die Region zu machen», findet er.

Dabei nimmt auch Bühlmann den schnellen Aufstieg der asiatischen Finanzzentren wahr. Einer viel beachteten Studie zufolge wird die Schweiz bereits in wenigen Jahren von Singapur und Hongkong als Offshore-Finanzplatz überrundet. «Hongkong und Singapur sind sehr auf Offshore-Finanz fokussiert und sehr kompetitiv», weiss der Finanzexperte aus eigener Erfahrung. Der Schweizer Finanzplatz habe indes früh auch auf Fintech und eine Blockchain-Regulierung gesetzt, und verfüge dort noch über einen Vorsprung. «Aber es ist klar: Die asiatischen Kernmärkte beobachten die Schweiz ganz genau und erarbeiten ihre eigenen Gesetzgebungen.»

Koexistenz der Finanzzentren

Weil aber verschiedene Kunden auch verschiedene Befürfnisse haben, gehe er aber von einer Koexistenz der globalen Finanzzentren aus in der Vermögensverwaltung, sagt Bühlmann.

Die verschiedenen Sichtweisen auf die Region sorgten auch dafür, dass in Bezug auf Asien und insbesondere China die Nachhaltigkeit vermehrt zum Thema werde, berichtete er weiter. «Wir verbringen extrem viel Zeit mit der Thematik», sagt Bühlmann. Mittlerweile sei den meisten Anlegern klar, dass der Kampf gegen den Klimawandel nicht ohne diese Region zu gewinnen sei. «Ein Ausschluss funktioniert nicht», erklärt der Asienkenner. «Als aktive Investoren müssen wir Asien helfen, die Transition zu einer emissionsarmen Zukunft zu schaffen.»

Aberdeen ohne E in Asien kein Problem

Dasselbe gelte für die Politik. Je nach Kunden müsse man als Finanzdienstleister verschiedene Brillen aufsetzen und diesen helfen, in der Diskussion zu navigieren.

Dabei kann es durchaus geschehen, das westliche Debatten sich vor Ort verflüchtigen. So hat etwa die im vergangenen Jahr erfolgte Umbenennung von Standard Life Aberdeen zu Abrdn auch in der hiesigen Finanzbranche zu Stirnrunzeln und bissigen Kommentaren geführt. Nicht so in Asien: «Dort war die Reaktion auf das Rebranding sehr positiv», sagt Bühlmann.

War die Übernahme der Credit Suisse durch die UBS rückblickend gesehen die beste Lösung?
War die Übernahme der Credit Suisse durch die UBS rückblickend gesehen die beste Lösung?
  • Ja, es gab keine andere, wirtschaftlich sinnvolle Alternative.
    26.66%
  • Nein, man hätte die Credit Suisse abwickeln sollen.
    18.63%
  • Nein, der Bund hätte die Credit Suisse übernehmen sollen.
    28.16%
  • Man hätte auch ausländische Banken als Käufer zulassen sollen.
    9.07%
  • Man hätte eine Lösung mit Schweizer Investoren suchen sollen.
    17.48%
pixel