Werden Steuerinspektoren mit der Einführung des Automatischen Informationsaustausches überflüssig? Im Gegenteil, sagt EY-Partner Hans-Joachim Jaeger im Interview mit finews.ch.


Herr Jaeger, ab nächstem Jahr wird die Schweiz Daten von Offshore-Bankkonten an Partnerstaaten liefern. Herrscht mit dem AIA volle Transparenz über Private-Banking-Kunden?

Das ist reine Theorie. Allein in Europa gibt es Dutzende verschiedener Steuersysteme und noch mehr -gesetze. Dies wird dazu führen, dass Inspektoren innovativer werden müssen, um möglichen Steuersündern auf die Spur zu kommen. Statistisches Know-how wird besonders gefragt sein.

Wie soll ein Statistiker einen Steuersünder aufspüren?

Steuerbehörden erhalten mit dem AIA eine unheimliche Fülle von Daten. Dieser Flut von Datensätzen stehen die limitierten Ressourcen einer solchen Behörde gegenüber. Sie wird sich also auf Fälle konzentrieren müssen, wo sie ein Steuervergehen vermutet. Darum werden Steuerbehörden als erstes ihre Computer mit Programmen ausrüsten, welche die Anwendung des Benford'schen Gesetzes ermöglichen.

Was ist das?

Nehmen wir einen Satz von Daten, die irgendwie in einem Zusammenhang stehen – beispielsweise eine Steuererklärung. Wenn sie nun jeweils die erste Ziffer einer Zahl nehmen: Wie oft wird diese eine 1 oder eine 2 sein? Das Benford'sche Gesetz besagt, dass die 1 in rund einem Drittel aller Fälle die erste Ziffer sein wird. Die 2 wird in 18 Prozent aller Fälle die erste Ziffer sein.

«Das wird in den Steuerbehörden einiges an Frustration auslösen»

Somit lässt sich schliessen, dass rund die Hälfte aller Zahlen im Datensatz mit einer 1 oder einer 2 beginnt. Wir wissen nun aus manchen Steuerstrafverfahren, dass Daten so verfälscht worden sind, dass die Zahlen dem Benford'schen Gesetz entsprechen.

Was lässt sich daraus ableiten?

Wenn eine Steuererklärung Zahlenmuster aufweist, die nicht dem Benford'schen Gesetz entsprechen, muss das nicht per se heissen, dass hier etwas versteckt wird. Aber solche Muster werden eine Steuerbehörde sicher dazu bewegen, die Dokumente genauer zu prüfen.

Warum können Steuerbehörden nicht einfach einen Datenabgleich machen, zwischen ihren eigenen und den AIA-Daten?

Das liegt am OECD-Reportingstandard, der viele Details offen lässt und keine spezifischen Anpassungen verlangt. Das heisst, dass von einer Bank überlieferte Daten auf Basis der Steuergesetze des jeweiligen Landes interpretiert werden müssen, in welchem die Bank tätig ist. Allerdings werden die jeweiligen Steuerbehörden die Daten so interpretieren, als ob sie ihr nationales Steuergesetz anwenden würden.

Das klingt nach sehr viel Aufwand und Nachforschen.

Ja. Erträge von Strukturierten Produkten, Kapitalrückzahlungen oder Erträge aus dem Ausleihen von Aktien (Securities Lending) versteuert jedes Land anders. Per Definition sieht dieselbe Deklaration von Vermögen und Erträgen für zwei unterschiedliche Länder nie gleich aus. Das wird in den Steuerbehörden einiges an Frustration auslösen.

Sie sind darauf nicht vorbereitet?

Manche Behörde ist wohl davon ausgegangen, sie könnten die Daten auf Basis des OECD-Standards jeweils abgleichen, etwa so, wie dies die einzelnen Staaten in den USA aufgrund einer Steuer-Identifikationsnummer tun können. Aber jetzt dämmert es in den Beamtenstuben, dass dies nicht so einfach sein wird.

Was ist die Lösung?

Sie können beispielsweise das Benford'sche Gesetz anwenden und so die Plausibilität der Steuerdaten prüfen. Datenanalyse wird so zu einer hochinteressanten Tätigkeit von Steuerinspektoren.

Wozu kann die Analyse denn noch dienen?

In Zukunft werden Steuerbehörden nicht nur nach kausalen Zusammenhängen in den Daten suchen, sondern auch nach Korrelationen. Deutschland wird beispielsweise Hunderttausende von Datensätzen von Schweizer Banken erhalten.

«Die Statistiker werden die Trefferquoten erhöhen»

Als erstes kann das Finanzamt beispielsweise die verwalteten Kundenvermögen mit den Erträgen vergleichen. Ein Statistiker kann nun die Korrelation zwischen den beiden bestimmen und eine Standardabweichung bestimmen.

Was dann?

Vielleicht werden 95 Prozent aller untersuchten Fälle uninteressant sein. Aber es wird Ausreisser geben: Kunden mit enormen Vermögen und Erträgen, die unter der statistischen Erwartung liegen. Nun werden die Statistiker zahlreiche Korrelationen aufstellen, um so ihre Trefferquote zu erhöhen.

In welchen Fällen und Korrelationen werden die Alarmglocken sicher läuten?

Ein Bankkunde, der ausländische Aktien hält, kann unter einem Doppelbesteuerungsabkommen die Steuer auf den Dividenden zurückfordern. Dafür muss er aber seine Identität offenlegen. Ein Steuerbetrüger wird dies wohl kaum freiwillig tun. Steuerbehörden werden Portfolios mit hohen Auslandanteil prüfen, für deren Erträge keine oder kaum Steuerrückerstattung beantragt worden ist. Sie können also aus einer Steuererklärung herauslesen, wie hoch die Rückerstattung ist und dies mit den Vermögensangaben aus den AIA-Daten vergleichen.

Es braucht also auch detektivische Arbeit.

Absolut. Steuerbehörden könnten beispielsweise auch die Entwicklung der Gebühren für die Vermögensverwaltung prüfen. Diese sind in der Regel zu Beginn niedrig, steigen dann an, bis sie wieder sinken. An diesem «Tipping Point» hat der Kunde bei der Bank ein stattliches Vermögen liegen und handelt oft einen Rabatt auf den Gebühren aus.

«Noch interessanter sind tiefe verwaltete Vermögen, auf die eine horrende Managementgebühr entfällt»

Es gilt also nach Gebühren zu suchen, die proportional höher sind als statistisch zu erwarten ist. Noch interessanter sind aber sehr tiefe verwaltete Vermögen, auf die eine horrende Managementgebühr entfällt.

Gibt es Steuerbehörden, die bereits nach diesen Methoden arbeiten?

In Grossbritannien die HMRC. Die hat eine Programm namens «Connect», das Daten von Steuerzahlern mit allen möglichen verfügbaren Daten aus dem jeweiligen Herkunftsland vergleicht: Mit dem Grundbuchamt, den Elektrizitätswerken, Telekom-Dienstleistern usw. Das Programm sucht anhand des Datenvergleichs nach Unstimmigkeiten und wenn diese aufleuchten, wird genauer geprüft. «Connect» soll bis zu 30 Datenquellen nutzen, auch Social Media. Solange die Daten öffentlich sind, werden sie angezapft. Die HMRC kämmt bereits alle Steuererklärungen nach dem Benfordschen Gesetz durch.

Die Steuerbehörden haben demnach massiv aufgerüstet.

Manche Behörde prüft den Einsatz derselben Software, welche das International Consortium of Investigative Journalists (ICIJ) benutzt hat, um die «Panama Papers» zu analysieren. Diese Software heisst Lincurious. Mit ihr können Datensätze auf Verbindungen zwischen Personen und Unternehmen oder sonstigen rechtlichen Einheiten gefiltert werden. Es geht lediglich noch um den Einsatz von Rechner- und Speicherleistung – beides ist heutzutage recht erschwinglich geworden.

Das klingt nach einem Orwell'schen Überwachungsstaat.

Soweit ich informiert bin, sind sämtliche Daten unter dem OECD-Reportingstandard auf einem einzigen Server in einem EU-Land gespeichert. Wenn Sie nun ein Hacker wären, würden Sie wohl diesen Server knacken wollen. Alles, was «streng vertraulich» oder «nur für interne Zwecke» ist, ist dort gespeichert. Die Vergangenheit hat gezeigt, dass insbesondere diese Art von Daten für Hacker besonders interessant ist.

 «Steuerbehörden werden an Macht und Möglichkeiten gewinnen»

Ausserdem gibt es Länder, deren Regime nicht kompatibel mit unserem Demokratieverständnis ist. Wenn diese Länder beispielsweise merken, dass viele ihrer Steuerzahler ihr Geld ins Ausland schleusen, können Daten genutzt werden, um Druck auszuüben.

Was das Orwell'sche betrifft: Ich bin überzeugt davon, dass in den kommenden Jahren Macht und Möglichkeiten von Steuerbehörden jene der Steuerzahler massiv übersteigen werden. Steuerbehörden werden auf eine Datenmenge zurückgreifen können, welche sie sogar Vorhersagen für die Zukunft machen lässt.


Hans-Joachim (Jochen) Jaeger ist Partner beim internationalen Beratungsunternehmen EY und Steuerspezialist im Bereich Financial Services. Zuvor arbeitete er als Optionenhändler bei einer deutschen Privatbank und als Steuerexperte beim Beratungsunternehmen Andersen sowie bei der Schweizer Bank Julius Bär.

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