Nur einen Tag nach dem vollzogenen Brexit weilte Anti-EU-Protagonist Nigel Farage vergangene Woche in Zürich. finews.ch fühlte dem britischen Politiker auf den Zahn.

Auf den eigentlichen «Brexit Day» stiess Nigel Farage vergangene Woche in einem Pub in Westminster an, zusammen mit einem Journalisten der amerikanischen Nachrichten- und Meinungswebseite «Breitbart». Einen Tag später tauchte der Brite dann in Zürich auf, wo er in der Zürichsee-Gemeinde Rüschlikon an der erstmals durchgeführten, zweitägigen Konferenz «Zurich Economic Impulse» als Keynote-Speaker auftrat.

Dass er dort als letzter Redner überhaupt an die Reihe kam, also zu einem Zeitpunkt, da sich die Reihen bereits sehr gelichtet hatten, schien ihn nicht weiter zu kümmern. Charismatisch und eloquent schilderte er zunächst, wie der britische Botschafter tags zuvor das Austrittsschreiben in Brüssel überreicht hatte. «...so, dass wir nun unwiderruflich aus der EU austreten», frohlockte Farage vor den anwesenden Kadern der Schweizer Wirtschaft.

Farage schmückt sich übrigens gerne damit, in der Londoner City in den 1980er-Jahren eine eigene Rohstoff-Handelsfirma aufgebaut zu haben. Doch vielleicht nicht ganz zufällig berichtete die britische «Financial Times» (Artikel kostenpflichtig) unlängst, dass seine Karriere, die noch vor dem Big Bang von 1986 begonnen haben soll, gar nicht so erfolgreich war.

Sarkasmus und zustimmende Lacher

Seine 20-minütige Rede in Rüschlikon, die er ohne Notizen oder Spickzettel zum Besten gab, zielte darauf ab, die Zuhörer davon zu überzeugen, dass Grossbritannien für die Geschäftswelt offen bleibe.

An den grossen Mythos, wonach der Brexit zum Desaster für die City of London und die Geschäftswelt von London nach Frankfurt auswandern werde, ja, daran glaube er nicht, versicherte Farage spöttisch und ernte dafür ein paar zustimmende Lacher aus dem Publikum.

Hastig im Gespräch

finews.ch nutzte die Gelegenheit, Farage ein paar Fragen zu stellen und wollte von ihm unter anderem wissen, wie sich der Londoner Finanzplatz entwickeln werde, nachdem die Briten in den vergangenen vier Jahrzehnten massgeblich die Regulierung der Finanzindustrie mitbestimmt hätten.

«Ich denke, was man über die City derzeit vernimmt, ist eine enorme Fehlinterpretation. Die Deutsche Bank und Goldman Sachs, das ist nicht die City. Gehen Sie in London zu den Versicherungsbrokers, zu den Devisenhändlern und anderen Fachleuten – und Sie werden dort jede Menge Euroskeptiker antreffen, weil sie Grossbritannien als Zentrum des globalen Handels sehen und nicht nur als europäische Plattform», sagte Farage.

Feindbild Goldman Sachs

«Natürlich verstehe ich die Argumentation von Goldman Sachs, wonach die EU fantastisch ist», fuhrt der Brite fort und verstieg sich in eine bittere und klischeelastige Anklage der Bank und ihrer Tätigkeiten in Griechenland und Italien während der Eurokrise, um dann zum Schluss zu kommen: «Heute sind sie (Goldman Sachs) in der Lage, die Regeln und Gesetze der Finanzbranche zu diktieren – schon klar – zum Nachteil von fast allen andern. Die werden es (den Brexit) natürlich nicht schätzen.»

«Aber die Finanzbranche in Grossbritannien ist mehr als nur Goldman Sachs, und interessanterweise geht es dabei auch um mehr als nur um die City of London. Es geht auch um Finanzzentren wie Cardiff, Eastbourne oder Leeds. Die Finanzbranche ist überall...», erklärte Farage weiter.

finews.ch: Sie sprechen über Dienstleistungen für die Finanzindustrie?

Absolut, über die gesamte Industrie. Die Chancen, eine angemessene Regulierung für diese Industrie zu schaffen, sind eindeutig besser, wenn sie während den Parlamentswahlen diskutiert werden, im House of Commons (dem gesetzgebenden britischen Unterhaus), und wenn wir für unsere Industrie selber zuständig sind, als wenn wir die Kontrolle jemand anders übergeben und lediglich das Recht als Minorität behalten.

Die Frage zielte eher darauf ab, welchen Einfluss... (Farage unterbricht)

Also, momentan haben wir 8 Prozent Einfluss in Brüssel, nach Brexit werden es 100 Prozent sein.

Wie das? Wir meinen politischen Einfluss.

Ja natürlich. Wir haben 8 Prozent Einfluss auf alles, was in Brüssel geschieht. Natürlich gibt es einige grosse Akteure, die mehr Einfluss haben, aber wir haben 8 Prozent davon – und übrigens haben wir kein Vetorecht. Unter dem qualifizierten Mehrheitswahlrecht verlieren wir noch und noch, wenn es um die Regulierung der Finanzmärkte geht. Die Finanzindustrie wird 100 Prozent Einfluss auf das britische Recht haben.

Aber Tatsache ist doch, dass London in den letzten Jahren nichts verloren hat: Die Hedgefonds-Industrie und das Asset Management sind doch extrem einflussreich...

Es tut mir leid, aber ich bin da fundamental anderer Meinung.

Es gibt doch einen Grund, weshalb das Asset Management und die Hedgefonds die City nicht verlassen haben. Diese Branche hatte einen riesigen Einfluss auf die europäischen Regelwerke.

Rudn 25 Prozent dieser Industrie ist innert neun Monaten verschwunden, nach der Implementierung von AIFMD (die Alternative Investment Fund Managers Directive, der jüngste Gesetzesartikel zur Hedgefonds-Industrie in Europa).

Aller Hedgefonds?

Ja, Hedgefonds, Managed Funds. Selbstverständlich sind sie gegangen. Es ist schon erstaunlich, dass die Reaktion der EU auf die Kreditkrise eine Regulierung der Hedgefonds war, eine Industrie, die weder Kredite vergibt oder aufnimmt, abgesehen vom täglichen Handel. AIFMD kam zu einem äusserst ungünstigen Zeitpunkt und beweist, wie gefährlich es ist, wenn Sie die Kontrolle über Ihr Leben und Ihre Wirtschaft nicht behalten.

Ich glaube an den Wettbewerb, inklusive Steuer- und Regulierungswettbewerb. Die Idee, aus allem das Gleiche zu machen, ist grundsätzlich gegen diesen Wettbewerb gerichtet. Es gibt einfach Unterschiede zwischen verschiedenen Dingen, und dies führt zu mehr Business, nicht zu weniger.

Wo sehen Sie die britische Finanzindustrie in fünf bis zehn Jahren?

Falls Grossbritannien einen globalen Weg beschreitet, wird die Finanzbranche markant grösser sein als heute!


Schmunzelnd auf der Sonnenterrasse

Mit dieser Äusserung bricht der Kopf der britischen Brexit-Bewegung das Interview nach fünf Minuten abrupt ab und flüchtet in die sichere Begleitung von drei Männern, die darauf warten, mit ihm ein Selfie zu schiessen. Später steht er auf der Sonnenterrasse, wo er sich schmunzelnd eine Zigarette anzündet und die Aussicht über See und Berge geniesst.

Farage hat seine Mission erfüllt. Zwanzig Jahre hat er dafür hergegeben, Grossbritannien aus der EU – «diese korrupte Union», wie er sie nennt – zu führen. Für ihn ist der Kampf ausgefochten – für die City beginnt er erst jetzt, ohne ihn.


Der 53-jährige Nigel Farage ist Mitgründer der UKIP, der Unabhängigkeitspartei Grossbritanniens. Er verliess die Universität 1982, um als Rohstoffhändler zu arbeiten. Seit 1999 ist er Mitglied des Europäischen Parlaments. In der City hat er für Drexel Burnham Lambert und Refco gearbeitet. Mit dem Aufstieg der UKIP, welche Farage zwischen 2006 und 2009, und von 2010 bis 2016 anführte, wurden seine Beziehungen zur City schwächer. Als Farage im Juni 2016 nach erfolgreicher Brexit-Kampagne zurücktrat, betitelten ihn seine Kritiker als Feigling. Die konservative Regierung von Theresa May hat vergangene Woche den formellen Austrittsprozess aus der EU vollzogen.

War die Übernahme der Credit Suisse durch die UBS rückblickend gesehen die beste Lösung?
War die Übernahme der Credit Suisse durch die UBS rückblickend gesehen die beste Lösung?
  • Ja, es gab keine andere, wirtschaftlich sinnvolle Alternative.
    26.57%
  • Nein, man hätte die Credit Suisse abwickeln sollen.
    18.89%
  • Nein, der Bund hätte die Credit Suisse übernehmen sollen.
    27.99%
  • Man hätte auch ausländische Banken als Käufer zulassen sollen.
    9%
  • Man hätte eine Lösung mit Schweizer Investoren suchen sollen.
    17.55%
pixel