Mit der sich weltweit beschleunigenden Energiekriese hat der Wind hinsichtlich ESG-Investitionen gedreht. Im Asset Management droht ein Kulturkampf, wie mehrere Beispiele illustrieren.

Nachhaltiges Investieren mit ESG-Siegel liegt im Trend. Das Akronym geht auf das Jahr 2004 zurück, als ein Bericht der Vereinten Nationen (Uno) dazu aufrief, Umwelt-, Sozial- und Corporate-Governance-Faktoren (ESG) bei Investitionsentscheidungen besser zu berücksichtigen.

Unter dem Eindruck von Firmenskandalen wie Enron oder WorldCom sowie der Exxon-Valdez-Ölpest schlossen sich zunächst bloss einige Finanzinstitute dem Aufruf an.

Kontroverse erst am Anfang

Anders dann nach dem Ausbruch der Corona-Pandemie: Plötzlich sprangen immer mehr Vermögensverwalter (Asset Manager) auf diesen Zug auf und entwickelten entsprechende Anlageprodukte.

Nach einer langen Phase ungeteilten Zuspruchs mehren sich nun allerdings – nicht zuletzt aufgrund des Ukraine-Kriegs und der drohenden Energiekrise – die Stimmen gegen die Verfechter einer reinen ESG-Lehre. Die Kontroverse steht zwar erst am Anfang, könnte aber ungeahnte Ausmasse annehmen. Hier sind zehn Beispiele, an denen sich der Konflikt entzündet. 

1. Schwarze Listen in den USA

Vor allem in den USA nimmt, ausgehend von republikanischen Politikern, die Kritik an der nachhaltigen Finanz rasant zu. Der sogenannte Backlash wird gerade in Texas deutlich: Dort ist seit dem 1. September 2022 ein Gesetz in Kraft, das staatlichen Stellen Vertragsabschlüsse mit Firmen verbietet, die ihre Beziehungen zu Energieunternehmen mit CO2-Emissionen eingeschränkt haben.

Zehn grosse Finanzanbieter, die mit ihrer nachhaltigen Anlagepolitik die Energieindustrie des Bundesstaats «boykottieren», sind deshalb auf eine schwarze Liste gesetzt worden. Davon betroffen ist auch die UBS, die für eine texanische Gemeinde eine neue Anleihe emittieren wollte. Texas gilt als besonders lukrativer Markt für die Emission von sogenannten Municipial Bonds.

Auch in anderen US-Bundesstaaten wie West Virginia und Florida werden Vermögensverwalter, die als ESG-freundlich gelten, von der Verwaltung staatlicher Gelder und der Teilnahme an Ausschreibungen für neue staatliche Aufträge ausgeschlossen.

2. Ein emotionaler Kulturkampf tobt

Der Kulturkampf um «Woke»-Ideen ist mittlerweile auch auf die Finanzbranche übergeschwappt. Im Brennpunkt steht dabei Larry Fink, Mitgründer und CEO des weltgrössten Asset Managers Blackrock.

Einerseits protestieren Umweltschützer, dass Fink zu wenig tut, um fossile Brennstoffe aus den Portfolios von Grossanlegern zu verdrängen. Anderseits werfen ihm republikanische Politiker in den USA vor, Energieaktien zu boykottieren.

In diesem Spannungsfeld hat sich Blackrock in den Augen der Kritiker bisher widersprüchlich verhalten. Der Asset Manager sehe zwar den Klimawandel als systemisches Finanzrisiko an. Gleichzeitig werde aber kein aktiver Beitrag geleistet, um die Dekarbonisierung der Wirtschaft zu unterstützen.

3. In der Krise schlägt das Pendel zurück

Der Ukraine-Krieg hat drastisch vor Augen geführt, wie verwundbar vor allem Europa im Energiebereich ist. Deshalb hat sich eine Bewegung formiert, die gegen die Unterversorgung im Energiesektor antreten will. Nach derer Logik sind die Investitionen in den Energiesektor auch deshalb zu tief, weil die grossen Vermögensverwalter ihre Investitionen vermehrt in Anlagen mit ESG-Siegel lenken.

Hinzu kommt ein Investitionsverhalten, das sich an der klassischen Unternehmensführung orientiert. Demnach sollen sich die Unternehmen ausschliesslich an den Kundenwünschen orientieren und dabei leistungsorientiert sowie finanziell diszipliniert bleiben.

Entsprechend lehnen sie eine von Asset Managern entworfene Agenda, den ESG-Trend in den Vordergrund zu stellen, in der jetzigen geopolitischen Lage ab und plädieren stattdessen für eine verbesserte Energiesicherheit.

4. Nachhaltiges Investieren ist kein Selbstläufer

Ob sich aktivistisches Verhalten von Grossinvestoren letztlich auch in einer besseren Anlagerendite niederschlägt, ist trotz aller Beteuerungen nicht einfach einzuschätzen. Weitherum anerkannt ist allerdings, dass es einen langen Atem braucht, um einen gewünschten und finanziell zugleich erfolgreichen Wandel in einem investierten Unternehmen herbeizuführen.

Die Energiemangellage zeigt ausserdem exemplarisch, wie schnell Versprechen zu erneuerbaren Energien über Bord geworfen werden. Ankündigungen in diesem Bereich dürfen deshalb nicht überbewertet werden.

5. Nachhaltigkeit in der Schweiz – zwischen Wollen und Müssen

Die Akteure im Swiss Banking haben die Nachhaltigkeit als Geschäft klar erkannt. Die Ausrichtung der Finanzprodukte nach nachhaltigen Kriterien soll den Ruf des Finanzplatzes als internationalen Hub für «Sustainable Finance» festigen. Hochrechnungen der Branche zufolge hat sich allein im Jahr 2021 das Volumen der als nachhaltig klassierten Anlagen hierzulande um 30 Prozent auf  fast 2'000 Milliarden Franken erhöht.

Allerdings schwankt das Swiss Banking zuweilen zwischen Wollen und Müssen. Mit vielen gutgemeinten Versprechen besteht nämlich die Gefahr, den Bogen zu überspannen. So sehen sich die Finanzakteure schnell einmal dem Vorwurf ausgesetzt, «Greenwashing» zu betreiben. Gemeint ist damit, Finanzprodukte anzubieten, die gar nicht so «grün» sind wie sie angepriesen werden (vgl. auch Punkt 7).

7. Die Gefahr eines Etikettenschwindels ist erkannt

Gegen einen Etikettenschwindel hat sich die Schweiz bisher vor allem mit Selbstregulierungs-Projekten behauptet. So hat der Dachverband, die Asset Management Association Switzerland (AMAS), für seine Branchde erstmals verbindliche Vorgaben erlassen, wie Kollektivvermögen mit Nachhaltigkeitsbezug erstellt und verwaltet werden.

Diese Regeln sind komplementär zu den Mindestvorgaben der Schweizerischen Bankiervereinigung (SBVg) , mit denen erstmals verbindliche Regeln für den Einbezug von ESG-Kriterien (Environmental, Social, Governance) in der Anlageberatung und Vermögensverwaltung gemacht werden.

Die Branche versucht mit den Initiativen einer Regulierung durch die Behörden zuvorzukommen. Das zuständige Staatssekretariat für internationale Finanzfragen SIF will dem Bundesrat bis Ende Jahr einen Bericht zum Thema «Greenwashing» im Finanzsektor vorlegen.

8. Schweizer Pensionskassen tun sich schwer

Die Diskussion um nachhaltiges Anlegen hat bei den Schweizer Pensionskassen einiges in Bewegung gebracht. So machen inzwischen fast die Hälfte der Vorsorgeeinrichtungen ihre Bestrebungen im Bereich der Nachhaltigkeit öffentlich, und rund ein Viertel nehmen direkten Einfluss auf die Nachhaltigkeitspolitik der Unternehmen, indem sie ihre Aktionärsrechte aktiv ausüben.

Diese Form des Engagements ist jedoch primär bei der Investition mittels Mandaten in Einzeltiteln möglich. Bei Kollektivanlagen wird Vorsorgeeinrichtungen nur noch selten ein Stimmrecht eingeräumt. Vielmehr obliegt es dort der Fondsleitung zu entscheiden, ob Aktionärsrechte ausgeübt werden.

9. Superreiche sind gespalten

Bei den privaten Vermögensverwaltern der Superreichen, den sogenannten Family Offices, hält sich das Interesse an nachhaltigen Anlagen bislang in Grenzen. Gemäss dem jüngst von der Credit Suisse publizierten «Single Family Office Index» haben 47 Prozent der Befragten nicht vor, in diese Thematik zu investieren.

Allerdings wenden sich jüngere Familienmitglieder häufig Ideen und Anliegen zu, die Sinn stiften sollen – insbesondere bezüglich Nachhaltigkeit, Innovation und Transparenz. In einigen Fällen haben sie aber (noch) gar kein Mitspracherecht hinsichtlich des Familienvermögens.

10. Im grössten Finanzmarkt der Welt kaum eine Thema

In keiner Region sind die Anleger aber so sensiblisiert für ESG-Themen wie in Europa. In den USA hingegen ist dies erstaunlicherweise nicht der Fall.

Trotzdem haben europäische Institutionelle zu einem für nachhaltige Anlagen kritischen Zeitpunkt ihre Pläne zur Emissionsreduzierung bekräftigt, wie die «Global Investor Study 2022» des britischen Wertschriftenhauses Schroders zeigt.

Exakt 42 Prozent der institutionellen Investoren in Europa (ohne Grossbritannien) sind auf dem Weg, bis 2050 Netto-Null-Emissionen in ihren Anlagestrategien zu erreichen. Damit liegen sie leicht hinter Grossbritannien (45 Prozent), aber ganz deutllich vor den Vereinigten Staaten, die nur einen Wert von 28 Prozent ausweisen.

Offensichtlich hinkt die Realität noch weit den vollmundigen Marketing-Verlautbarungen der diversen Asset Manager hinterher.


Mitarbeit: Samuel Gerber und Claude Baumann

 

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