Die frühere Finma-Juristin Claudia M. Fritsche hat eine eigene Anwaltskanzlei gegründet, die einen Fokus auf regulatorische Untersuchungen setzt. Welche Leidenschaft verbirgt sich dahinter?


Frau Fritsche, was hat Sie bewogen, eine Anwaltskanzlei zu gründen, die auf regulatorische Untersuchungen spezialisiert ist?

Auf dem Markt gibt es eine Nachfrage nach Anbietern, die sowohl methodisch als auch fachlich in der Lage sind, komplexe Sachverhalte effizient und doch gründlich abzuklären. Untersuchungen und Fragen des Finanzmarkt-Enforcements sind ferner nicht nur meine Schwerpunktthemen, sondern auch eine jahrelange Leidenschaft. Die Firma Enquire zu gründen, ist daher eine logische Konsequenz.

Andere Kanzleien sowie die grossen Revisionsfirmen bieten auch Untersuchungen an. Was ist das Besondere an Enquire?

Wir sind eine Boutique mit klarem Fokus auf Untersuchungen. Darüber hinaus machen wir keine Rechtsberatung und vertreten auch keine Klienten in Verfahren. Das stärkt unsere Unabhängigkeit.

So vermeiden wir Interessenkonflikte mit anderen Mandaten desselben Klienten, was die Glaubwürdigkeit unserer Arbeitsergebnisse erhöht. Anders als eine Revisionsgesellschaft oder Consulting-Firma unterliegen unsere Arbeitsprodukte im Normalfall dem Anwaltsgeheimnis.

Urs Zulauf, früherer General Counsel der Eidgenössischen Finanzmarktaufsicht (Finma), ist Konsulent bei Enquire. Was ist seine Rolle?

Urs Zulauf Enquire 500

In dieser Rolle berät er Klienten von Enquire vorab in Fragen der Strategie, Policy und Kommunikation im Zusammenhang mit Untersuchungen. Daneben ist Urs Zulauf als unabhängiger Experte in Finanzmarktregulierung und -aufsicht sowie Titularprofessor der Universität Genf tätig. Wir funktionieren gut zusammen. Das wissen wir bereits aus unseren gemeinsamen Jahren bei der damaligen Eidgenössischen Bankenkommission (EBK, später Finma).

Enquire ist vergleichsweise klein. Wie bewältigen Sie die Verarbeitung grosser Datenmengen etwa bei Email-Reviews?

Die Fälle können sehr unterschiedlich sein und jeweils eine unterschiedliche Expertise erfordern. Wir setzen daher auf ein kleines Team erlesener Rechtsanwälte mit langjähriger Erfahrung als Unternehmensjuristen oder Aufseher. Über unser Netzwerk stellen wir dann ein massgeschneidertes Untersuchungsteam zusammen, das über die im konkreten Fall erforderlichen Fach- und Sprachkenntnisse verfügt.

«Die Innovation ist beeindruckend und erleichtert das Arbeiten mit grossen Datenvolumen»

Ebenso zentral ist für uns das Abstellen auf Legal and Forensic Technologies, wo wir mit Spezialisten wie Swiss FTS zusammenarbeiten. Die Innovation in diesem Bereich ist beeindruckend und erleichtert das Arbeiten mit grossen Datenvolumen.

Untersucht Enquire auch Verstösse gegen ausländisches, beispielsweise US-Recht?

Unser Hauptfokus liegt klar auf dem Schweizer Recht. In Abstimmung mit Experten anderer Jurisdiktionen, wie den USA, klären wir aber auch Fakten mit Blick auf mögliche Verletzungen ausländischen Rechts ab.

Ist Enquire auch für Behörden wie die Finma tätig?

Ja, das schliessen wir nicht aus, sofern dies ohne Interessenkonflikte möglich ist.

Was ist der Anlass für eine interne Untersuchung in einem Finanzinstitut?

Auslöser sind ernst zu nehmende Informationen, wonach ein Institut selbst oder seine Mitarbeitenden Regulierungen in gravierender Weise verletzt haben könnten. Diese Informationen können von verschiedenen Quellen stammen, etwa aus Beobachtungen der Kontrollfunktionen, einem Whistleblowing, aber auch aus Behördenanfragen oder Medienberichten.

Solche Berichte können auch Konkurrenten betreffen: Vorsichtige Institute klären von sich aus, ob sie allenfalls die gleichen Probleme haben.

Weshalb soll ein Finanzinstitut Compliance-Verstösse selber untersuchen lassen?

Nur gestützt auf einigermassen gesicherte Fakten kann ein Institut seine Rechts-, Compliance- und Reputationsrisiken beurteilen und seine Handlungsstrategie festlegen. So behält es das Heft am ehesten in der Hand. Zudem manifestiert es seinen Willen, potenzielle Unregelmässigkeiten nicht unter den Teppich zu kehren, sondern den Dingen auf den Grund zu gehen.

Für die Führungsverantwortlichen ist die interne Untersuchung ferner ein Instrument zur Wahrnehmung der Sorgfaltspflichten als Organ sowie anderer Rechtspflichten.

Erspart eine interne Untersuchung einen Beauftragten der Finma?

Nicht unbedingt. Grundsätzlich erwarten Regulatoren, dass beaufsichtigte Institute Verdachtsmomente ernst nehmen und diese aufarbeiten, falls nötig in einer internen Untersuchung.

Eine glaubwürdige Aufarbeitung und transparente Berichterstattung können behördliche Schritte verhindern; dafür gibt es aber keine Garantie. Klar ist hingegen: Regulatoren erwarten eine interne Untersuchung oder untersuchen selbst.

«Dies erhöht die Glaubwürdigkeit der Untersuchungsergebnisse»

Häufig werden interne Untersuchungen durch externe Rechtsanwälte oder Revisionsgesellschaften durchgeführt. Diese sind im Vergleich zu internen Mitarbeitenden unabhängiger. Dies erhöht die Glaubwürdigkeit der Untersuchungsergebnisse.

Es liegt dann im Ermessen der Finma, in wichtigen Themen trotzdem selber noch aktiv zu werden oder einen Beauftragten einzusetzen. Die Finma-Untersuchung dient vor allem der Behörde, während das Institut selber dafür verantwortlich bleibt, dass es die Fakten kennt und gegenüber Aufsichtsbehörden oder dem Richter seine Interessen wahren kann.

Wer verantwortet eine interne Untersuchung innerhalb eines Finanzinstituts?

Das hängt von den Umständen ab. In wichtigen Fällen ist die Auslösung und Oberleitung einer internen Untersuchung Aufgabe der Geschäftsleitung. Das gilt auch für Grossbanken.

Ist eine Involvierung der Geschäftsleitung in Verfehlungen wahrscheinlich, sollte der Verwaltungsrat oder ein Ausschuss desselben der Auftraggeber sein. Auf operativer Stufe werden interne Untersuchungen häufig durch die Legal- oder Compliance-Funktionen begleitet.


Claudia M. Fritsche ist Gründungspartnerin der neuen, auf regulatorische Untersuchungen spezialisierten Anwaltskanzlei Enquire in Zürich. Sie führte, koordinierte oder überwachte zuvor bei der Finma Ermittlungen zum grenzüberschreitenden Finanzdienstleistungsgeschäft, Geldwäscherei, Korruption, Sanktionsumgehungen oder Zinsmanipulationen. Auch als Partnerin der Consulting Firma BRP Bizzozero & Partners gehörten Untersuchungen zu ihren thematischen Schwerpunkten. Sie ist Autorin des bisher einzigen umfassenden Handbuches zu internen Untersuchungen in der Schweiz. Konsulent bei Enquire wird Urs Zulauf, der frühere General Counsel der Finma.