Über eine neue Weltordnung bestehen in politischen, wissenschaftlichen und wirtschaftlichen Kreisen divergierende Meinungen. An der FINANZ’24 nehmen zwei Roundtables das Thema aus unterschiedlichen Perspektiven auf.


Im Nachgang des Kalten Krieges, der zu Beginn der 1990er-Jahre mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion sein Ende gefunden hatte, etablierten sich die USA als globale Supermacht in einer weitgehend unipolar bestimmten Welt. In den letzten Jahren kehrten allerdings Rivalitäten zwischen Grossmächten zurück, die Erinnerungen an den Kalten Krieg wachrufen.

Den Begriff der Polarität wenden Wissenschaftler traditionell auf dem Gebiet der internationalen Beziehungen an, um das globale systemische Kräftegleichgewicht auf Basis der militärischen Macht zu bewerten.

Oberstes Gebot: Sicherung strategischer Ressourcen

Während eine Reihe von Staaten um eine umfassendere politische und strategische Führung buhlen, rücken global Sicherheitsfragen verstärkt in den Vordergrund und stellen die wirtschaftliche Interdependenz auf eine harte Probe.

Die Unterbrechung der Lieferketten zunächst durch die Pandemie und anschliessend fast nahtlos durch geopolitische Spannungen führten zu steigenden Preisen für Nahrungsmittel und Energie. Mehr noch: Wirtschaftliche Massnahmen entwickeln sich zum Druckmittel, um aussenpolitische Ziele durchzusetzen und sich selbst Möglichkeiten zu verschaffen.

Unmittelbarer Fokus

In diesem neuen geopolitischen Kräftemessen spielen die USA, China und Russland jeweils ihre Stärken aus. Der unmittelbare Fokus auf die Sicherheit strategischer Ressourcen wird zwangsläufig zu einer Neuordnung gewisser Allianzen und Wirtschaftsbeziehungen führen.

Der Wandel geht mit einem Mangel an Rohstoffen und Arbeitskräften einher, der an die Stelle des Überflusses an Arbeitskräften, Rohstoffen und Energie tritt, wie er das globale Umfeld bislang prägte. Die Verlagerung der Prioritäten fördert das Nearshoring und Reshoring von Produktion, um die Lieferketten, insbesondere diejenigen wichtiger strategischer Branchen zu stärken.

Unter dem Eindruck der pandemiebedingten Einschränkungen, der geopolitischen Spannungen sowie von globalen Fragestellungen wie Klimawandel und Migration und kontrovers diskutierten Themen wie Gender und Cancel Culture macht der Begriff der Polarisierung auch vor der Gesellschaft nicht Halt.

Multipolare Weltordnung: Bislang mehr Narrativ denn Fakt

Vor diesem Hintergrund ist nachvollziehbar, dass sich ein Bild wirtschaftlicher Entkoppelung, Deglobalisierung und Fragmentierung auf allen Ebenen zu formen beginnt. Schnell wurde dafür der Begriff der Multipolarität ins Narrativ aufgenommen. Eine klare Definition existiert bislang aber noch nicht.

Damit verbunden ist auch die Hoffnung, dass eine neue Weltordnung regelbasiert bleibt. In Expertenkreisen ist allerdings umstritten, ob eine nun stärker gespaltene Welt tatsächlich automatisch einer multipolaren Weltordnung Platz machen wird. Denn eine solche würde insbesondere auch eine multipolare Währungsordnung mit sich bringen.

Vormacht der US-Währung

Im globalen Währungssystem lassen sich zwar verschiedene Tendenzen erkennen, um die Abhängigkeit vom US-Dollar zu reduzieren. Uneinigkeit besteht generell über die Verteilung der Reservewährungen in einem multipolaren Währungssystem.

Während die einen eine symmetrische Verteilung einiger weniger Währungen sehen, gehen andere von einer Welt mit vielen wichtigen Währungen aus. Der US-Dollar wird darin nie ersetzt, sondern lediglich ergänzt. Die Frage, wie sich Polarität messen lässt, ist bislang unbeantwortet geblieben.

Wo Wirtschaftsbeziehungen zunehmend unter dem Eindruck sicherheitspolitischer Aspekte stehen, dürfte die Dominanz des US-Dollars anhalten, auch wenn die Sanktionen gegen Russland zu einer Neuordnung gewisser globaler Währungsbestände geführt haben.

Multipolare Weltordnung

Ungeachtet dessen wird in Expertenkreisen weiter über eine multipolare Weltordnung debattiert – ob hinsichtlich der militärischen Macht, der Währungen oder der Wirtschaftsstärke. Am Roundtabe des ersten Messetags der FINANZ’24 diskutieren Marius Brülhart, Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Lausanne; Caspar Hirschi, Professor für Geschichte an der Universität St.Gallen; Alexandra Janssen, CEO der ECOFIN Vermögensverwaltung sowie Professor Klaus W. Wellershoff, CEO und Verwaltungsratspräsident der Wellershoff & Partners unter Leitung von Fabio Canetg, Redaktor SRF und freischaffender Journalist, über «Polarisierung – Wohin die aktuelle Entwicklung führt und Lehren aus der Vergangenheit».

Die Schweizer Wirtschaft im multipolaren Umfeld steht im Mittelpunkt eines Roundtables am zweiten Messetag. Ihre Eindrücke und Meinungen dazu äussern Philip Mosimann, Verwaltungsratspräsident von Bucher Industries; Suzanne Thoma, Executive President, der Sulzer AG, sowie Andreas Wieland VR-Präsident Hamilton Medical AG.

Moderiert wird der Roundtable von Philippe Béguelin, Ressortleiter Märkte von «Finanz und Wirtschaft». Die grösste Finanzmesse der Schweiz findet am 24. und 25. April zum 25. Mal statt. Durchgeführt wird die Fachmesse für professionelle Anleger in der Eventhalle 550 in Zürich Oerlikon.

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