Manche Entwicklungsländer könnten zu neuen Steueroasen avancieren, warnt Heather Low, Direktorin des Washingtoner Think-Tanks Global Financial Integrity, im Interview mit finews.ch.


Frau Lowe, der Automatische Informationsaustausch (AIA) und Facta besiegeln das Ende des Schweizer Bankgeheimnisses, hiess es verschiedentlich. Finden Sie das auch?

Vor allem für US-Bürger, aber auch für Europäer, ist es schwieriger geworden und mit mehr Risiken verbunden, Vermögen vor dem Zugriff des Fiskus zu verstecken. Trotzdem haben der AIA und Facta die reichen Personen in Entwicklungsländern nicht davon abgehalten, Vermögen ins Ausland zu transferieren. Der Grund hierfür ist, dass die USA mit den meisten Entwicklungsländern keine reziproken Abkommen zum Informationsaustausch ausgehandelt haben.

So liefern die USA keine Daten von Bürgern aus Entwicklungsländern, die in den Vereinigten Staaten ein Konto besitzen. Umgekehrt erwarten die Amerikaner aber von Banken in Entwicklungsländern, Informationen über Konten zu erhalten, welche US-Bürger dort führen.

«Entwicklungsländer könnten zu neuen Steueroasen werden»

Europäische Länder haben sich zwar auch dem AIA nach OECD-Standards verpflichtet. Doch müssen sich diese Länder reziprok zum gegenseitigen Informationsaustausch anerkennen. Tatsächlich sind dabei nur wenige Entwicklungsländer anerkannt worden. In der Folge profitieren derzeit nur die reichen Staaten vom AIA.

Oder anders gesagt: Entwicklungsländer mit einem funktionierenden und stabilen Bankensystem könnten zu neuen Steueroasen werden.

Wie lässt sich weiterhin mit Offshore-Konten in der Schweiz Geld vor dem Fiskus verstecken?

Die Steuer-Schlupflöcher in der Schweiz unterscheiden sich mit Ausnahme der USA nicht von jenen in anderen Ländern. Darunter fallen beispielsweise, dass Banken erst zur Weitergabe von Kundeninformationen verpflichtet sind, wenn der Kunde mindestens einen Viertel der Aktien einer Firma besitzt. Diese «25-Prozent-Regel» führt letztlich dazu, dass Eigner von Briefkastenfirmen nie mehr als 20 Prozent der Aktien besitzen.

«Reiche kaufen sich zwecks Steueroptimierung einen neuen Pass»

Auch für Konten mit weniger als 250'000 Dollar an Vermögenswerten per Ende 2015, entfällt die Informationspflicht. Es ist auch möglich, Staatsbürgerschaften oder Aufenthaltsrechte von diversen Ländern zu erwerben, die keine Einkommenssteuer belasten – der AIA macht so wenig Sinn.

Reiche Menschen können sich dem AIA auch entziehen, indem sie der Hausbank ihren wahren Wohnort verschleiern.

Welche Hintertürchen kennen Sie zusätzlich? 

Meldepflichtig sind nur Konten, auf welche Zinserträge oder Gewinne aus Anlagen fliessen. Geschäftskonten und Schliessfächer hingegen sind davon ausgenommen. Es gibt zudem ein paar Besonderheiten im Zusammenhang mit Stiftungen.

Trotz der Schlupflöcher ist der AIA nach OECD-Standards aber ein riesiger Schritt vorwärts. Nichts ist perfekt im ersten Anlauf. Doch nun gilt es, diese Steuer-Schlupflöcher zuzuschütten und alle Länder in das System zu integrieren.

«Es braucht eine schwarze Liste von Steueroasen, die Staatsbürgerschaften verkaufen»

Welche Verbesserungen würden Sie anbringen, um sicherzustellen, dass den Staaten Steuereinnahmen nicht entgehen?

Man müsste die oben erwähnte «25-Prozent-Regel» senken. Weiter sind Länder, die Staatsbürgerschaften oder Aufenthaltsrechter an Dritte zwecks Steueroptimierung verkaufen, auf eine schwarze Liste zu setzen sowie Geschäfts- und Schliessfächer in den OECD-Standard einzubeziehen.

Wie gross ist das Risiko, dass die Schweiz ein Offshore-Paradies für unversteuerte Vermögen oder eine Drehscheibe für Gelder krimineller Herkunft bleibt?

Die Schweiz wird solange als Anlaufstelle für Gelder aus Entwicklungsländern genutzt werden, solange die Abkommen zum AIA mit eben diesen Ländern nicht vertraglich festgezurrt und umgesetzt sind. Dabei ist festzuhalten, dass übermittelte Daten ausschliesslich an die zuständigen Steuerbehörden gelangen und nur für Steuerzwecke genutzt werden.

«Banken, die sich nur langsam bewegen, gehen mittelfristig unter»

Es ist schwierig, kriminelle Geschäfte wie Geldwäscherei, Korruption oder Menschen- und Drogenhandel einzudämmen, solange der AIA nach OECD-Standards nur für Steuerzwecke vorgesehen ist.

Die Schweiz profitierte viele Jahrzehnte vom sogenannten Swiss Banking. Wie sehen Sie die Zukunft der Schweizer Finanzhäuser?

Es wird in Zukunft sicher schwieriger werden, Wettbewerbsvorteile aus dem Schweizer Bankgeheimnis zu ziehen. Insofern müssen sich Schweizer Banken überlegen, welchen Mehrwert sie den Kunden bieten können, wenn es eines Tages gar kein Bankgeheimnis mehr geben wird. Banken, die sich nur langsam bewegen, gehen mittelfristig unter.


Heather Lowe ist Legal Counsel und Direktorin bei Global Financial Integrity (GFI). Diese Non-Profit-Organisation mit Sitz in Washington, D.C. setzt sich für mehr Transparenz im internationalen Finanzsystem ein. Davor war Lowe als Beraterin eines britischen Mitglieds des europäischen Parlaments in Brüssel tätig. Sie arbeitete auch als Anwältin für Banken bei den Kanzleien Clifford Chance in London und Bingham McCutchen in Bosten.