Der Hype um Bitcoin drängt andere erfolgreiche Nutzungen der Blockchain in der Finanzindustrie in den Hintergrund, sagt Nils Bulling, Digital-Stratege bei Avaloq, im Interview mit finews.ch. Alte IT-Strukturen der Banken verhindern eine raschere Entwicklung.


Herr Bulling, um Kryptowährungen wie Bitcoin ist nach 2017 ein erneuter Hype ausgebrochen. Nützt dies insgesamt der Relevanz der Blockchain in ihren anderen Anwendungsbereichen – oder droht die Reputation zu leiden?

Was bei der aktuellen Entwicklung anders ist als 2017, ist das grosse Interesse bei institutionellen Anlegern, auch getrieben durch regulatorischen Rückenwind. Zudem hat Teslas 1.5 Milliarden-Investition in Bitcoin und Teslas Erwägungen, Bitcoin als Zahlungsmittel zu akzeptieren, dem Thema eine neue Dimension verschafft. All dies trägt dazu bei, dass Bitcoin an Bedeutung und Vertrauen gewinnt, was sich indirekt positiv auf die Wahrnehmung der Blockchain-Technologie auswirkt. Die starke Präsenz in den Medien führt dazu, dass sich mehr Leute mit der Thematik befassen.

Bitcoin ist das sichtbarste und erfolgreichste Produkt der Blockchain – und erntet die ganze Aufmerksamkeit. Zulasten anderer erfolgreicher Anwendungen?

Bitcoin ist für die breite Öffentlichkeit sicherlich das prominenteste Blockchain-basierte Produkt. Aufgrund der aktuellen Bewertungen könnte man es zurzeit durchaus ein erfolgreiches Beispiel nennen. Für uns ist besonders spannend, was Banken und Vermögensverwalter, längerfristig von der Blockchain-Technologie erwarten. Ein interessantes Anwendungsfeld ist zum Beispiel Decentralized Finance (DeFi); der Dollar-Wert, der in DeFi-Applikationen steckt, ist innerhalb eines Jahres um das Fünfzigfache gestiegen.

Die Finanzindustrie zeigte sich anfangs begeistert von der Blockchain-Technologie. Bis auf Versuche im Bereich Handelsfinanzierungen oder digitale Transaktionswährungen ist es bislang aber merkwürdig still um relevante Use Cases.

Es gibt einige Entwicklungen, die für die breite Öffentlichkeit wohl weniger sichtbar sind. So soll in Japan nächstes Jahr eine Blockchain-basierte Börse an den Start gehen, zum Handel digitaler Vermögenswerte.

«Blockchain hat bereits wichtige Probleme gelöst»

Und auf der Digital Asset Issuance Plattform der Singapurer Börse wurde erst kürzlich eine digitale Anleihe im Wert von 400 Millionen Singapur Dollar emittiert. Wenn man ausserdem das Ethereum-Ökosystem betrachtet, gibt es viele spannende Anwendungen wie dezentrale Kreditvergabe und dezentrale Börsen. Die realen Use Cases nehmen kontinuierlich zu. Aber ich gebe Ihnen Recht – das technologische Potenzial ist bei Weitem nicht ausgeschöpft.

Welche echten Probleme in der Finanzindustrie hat die Blockchain bis heute gelöst?

Wir stehen am Anfang einer vielversprechenden Entwicklung. Die Blockchain hat das Potenzial, der nächste grosse Innovationstreiber für die Finanzindustrie zu sein. Aber auch das Internet brauchte etwa zwei Jahrzehnte, bis es Mainstream wurde. Grundvoraussetzungen für viele Blockchain-Anwendungen sind eine breite Adoption und eine enge Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Parteien – das braucht Zeit. Allerdings hat die Blockchain bereits einige wichtige Probleme auf individueller Basis gelöst. Denken Sie an Länder mit Hyperinflation, wo jemand sein Geld durch die Umwandlung in Bitcoin vor dem Wertverfall sichern konnte. Einen entsprechenden Anstieg von Bitcoin-Trades gab es in Venezuela. Oder denken Sie an Menschen ohne Zugang zu Bankdienstleistungen, die so einen notwendigen Kredit erhalten haben. Die Blockchain trägt zu einer grösseren finanziellen Inklusion bei und fördert so die Demokratisierung von Finanzdienstleistungen.

Die Hoffnung der Banken bei der Blockchain liegt in ihrem Potenzial, Ineffizienzen aufzulösen und massiv Kosten zu sparen. Gibt es darin bereits erfolgreiche Anwendungsbeispiele?

Wenn man sich existierende Ineffizienzen (komplexe Prozesse, Dateninkonsistenz, Legacy IT) und die riesigen Einsparmöglichkeiten (gemäss einer Accenture Studie 8 bis 12 Milliarden Dollar pro Jahr im Investment Banking) vor Augen führt, macht es absolut Sinn, dass Banken weiter in Richtung Blockchain gehen. Bei der IT-Infrastruktur im Banking besteht ebenfalls grosses Potenzial zur Kostensenkung. Wegen der komplexen Ausgangslange bedingt durch veraltete Systeme und die vielen verschiedenen involvierten Parteien braucht diese Entwicklung aber Zeit.

Digitalisierung von Prozessen und der Einsatz der Blockchain für Prozesse sind nicht dasselbe. Wie würden Sie den Unterschied definieren?

Die Digitalisierung von Prozessen bedeutet für mich analoge Inputs wie Papierdokumente, Bilder oder Sprache durch entsprechende Technologien zu digitalisieren und im Anschluss manuelle Prozessschritte maschinell auszuführen. Idealerweise vollautomatisiert oder mithilfe von Robotic Process Automation und AI. Der Einsatz der Blockchain hat eher einen strukturellen Charakter und ergänzt die oben genannte Digitalisierung.

«Die Tokenisierung von Assets macht im Niedrigzinsumfeld Sinn»

Die Blockchain kann helfen, Prozesse zu vereinfachen und effizienter zu gestalten, gerade bei Anwendungsfällen, bei denen mehrere Parteien auf Daten zugreifen müssen, wo man Informationstransparenz, Rückverfolgbarkeit, Widerstandsfähigkeit und Sicherheit braucht. Dank diesen Eigenschaften erübrigen sich beispielsweise die Notwendigkeit von Intermediären und des Datenabgleichs.

Im Schweizer Banking ist die Tokenisierung von realen Assets en vogue: Autos, Kunst, Weine – treffen die Banken hier ein Kundenbedürfnis oder schaffen sie bloss einen neuen Markt, der ihnen Erträge bringt?

Im aktuellen Marktumfeld mit Niedrigzinsen und hoher Marktvolatilität trifft das Investieren in non-bankable Assets sicherlich bei einigen Kunden das Bedürfnis nach alternativen Anlagemöglichkeiten. Bei der Tokenisierung von Assets geht es nicht nur um Autos, Kunst oder Weine, sondern auch um exklusive Immobilien oder Private Equity. Es handelt sich um eine flexible Methode, die es erlaubt, gewisse Assetklassen, die je nach individuellem Kundenbedürfnis unterschiedlich sein können, einer breiten Masse effektiv zugänglich zu machen. Die Tokenisierung ermöglicht Banken und Vermögensverwaltern eine differenzierte und hochpersonalisierte Anlageberatung.

Die Blockchain ist das Instrument für Decentralized Finance, also für Peer-to-Peer-Transaktionen ohne Finanzinstitute als Vermittler. Wie sehen Sie die Zukunft von DeFi – und von der traditionellen Finanzindustrie?

DeFi finde ich persönlich sehr vielversprechend, nicht nur weil es die letzten technologischen Entwicklungen vereint (IoT, Blockchain, AI und Big Data), sondern auch weil es ein enormes Potenzial für die Menschheit hat – besonders für diejenigen ohne Zugang zu Bankdienstleistungen. Für Finanzinstitute sehe ich durch DeFi die Möglichkeit, neue Geschäftsmodelle zu erschliessen, wie etwa die sichere Verwahrung von Private Keys, das Anbieten von innovativen Versicherungslösungen oder die automatisierte Verifikation von Identitäten. DeFi scheint mir allerdings abstrakter als Kryptowährungen und Tokenisierung – zumindest konzeptionell – was die Adoption in der Praxis komplex gestalten dürfte. Den Untergang der traditionellen Finanzindustrie wird DeFi aber nicht einläuten. 


Nils Bulling ist seit Anfang 2019 Head Digital Strategy & Innovation bei Avaloq. Der promovierte Computer-Wissenschaftler war zuvor als Berater bei der Boston Consulting Group und als Business Analyst bei Capgemini in Deutschland tätig.

War die Übernahme der Credit Suisse durch die UBS rückblickend gesehen die beste Lösung?
War die Übernahme der Credit Suisse durch die UBS rückblickend gesehen die beste Lösung?
  • Ja, es gab keine andere, wirtschaftlich sinnvolle Alternative.
    26.69%
  • Nein, man hätte die Credit Suisse abwickeln sollen.
    18.58%
  • Nein, der Bund hätte die Credit Suisse übernehmen sollen.
    28.14%
  • Man hätte auch ausländische Banken als Käufer zulassen sollen.
    9.05%
  • Man hätte eine Lösung mit Schweizer Investoren suchen sollen.
    17.54%
pixel