Zum chinesischen Neujahrsfest am 23. Januar schreibt Michael Power, Stratege bei Investec Asset Management, über den steten Kapitalfluss in die Neue Welt.

«There's a feeling I get when I look to the West, and my spirit is crying for leaving»

Michael_PowerDiese Zeile aus Led Zeppelins unvergesslichem Song «Stairway to Heaven» ist eine passende Analogie auf das derzeitige Dilemma der überwiegenden Mehrheit des weltweit mobilen Kapitals, von dem noch rund 85 Prozent im Westen und bisher nur 15 Prozent in der restlichen Welt investiert sind.

Investmentparty nicht zu Hause

Berücksichtigt man, dass im nächsten Jahrzehnt etwa 80 Prozent des Wirtschaftswachstums in diesem Rest und nur 20 Prozent im Westen generiert werden, muss das westliche Kapital befürchten, dass eine Investmentparty, so denn in den nächsten zehn Jahren eine steigt, auf jeden Fall nicht zu Hause stattfindet.

Die westlichen Regierungen wiederum müssen genau das Gegenteil befürchten, nämlich dass ein Grossteil «ihres» Kapitals lieber im Ausland feiert – anstatt zu Hause.

Finanzielle Repression bald an der Tagesordnung?

Wie viel westliches Kapital an der Party teilnimmt, hängt auch davon ab, inwiefern es seine instinktive Heimatpräferenz abschütteln kann. Diese ist in westlichen Kernländern wie den USA ausgeprägter als in Peripherieländern wie Schweden, Dänemark und Finnland, was auch daran liegen mag, dass in ersteren mehr attraktive Chancen im Inland zum Bleiben bewegen.

Daneben bewegt westliche Anleger die bis vor kurzem undenkbare, nun aber zunehmend bange Frage: Was passiert, wenn finanzielle Repression in der Alten Welt zur Tagesordnung wird und das westliche Kapital «elterliches» Ausgehverbot erhält und nicht mitfeiern darf, obwohl es zur Party der anderen eingeladen wurde?

Epochale Ausmasse

Besonders aufmerksam gilt es in diesem Zusammenhang zu verfolgen, wie sich das Gesamtbild in den nächsten zehn Jahren verändert, denn diese Veränderung hat epochale Ausmasse und vollzieht sich in Dimensionen, wie wir sie nicht mehr erlebt haben, seit die westliche Welt Anfang 1800 Asien im Zentrum der Weltwirtschaft ablöste.

Dieser Verlagerungsprozess – oder genauer die Verdrängung des Westens durch den Osten – wird laut, chaotisch und in Schüben verlaufen. Nicht alle sind gleichermassen betroffen, weil rohstoffreiche Länder wie Kanada, Australien, Neuseeland und Norwegen sich aus dem wirtschaftlichen Orbit der Alten Welt lösen und zu Ehrenmitgliedern der Neuen Weltwirtschaft werden.

Karawane zieht weiter

Und womöglich ist auch in der Neuen Welt nicht alles eitel Sonnenschein: Osteuropa muss noch viel tun, um sich seinen Platz in der Neuen Ordnung zu verdienen, und wenn Südafrika Erfolg haben will, muss es sich für seine neue Identität als Anrainer des Indischen Ozeans und gegen seine alte Identität als Mitglied der atlantischen Wirtschaftsgemeinschaft entscheiden. Für Anleger weichen alte Gewissheiten neuen Zweifeln.

Während all des Ungemachs, der Hitze des Gefechts und des Chaos der nächsten zehn Jahre sollten Anleger das arabische Sprichwort nicht vergessen, das da lautet: «Die Hunde heulen, aber die Karawane zieht weiter».

China hat die USA überholt

Nach meinem Dafürhalten müssen sich alle Anleger – im Westen und im Rest der Welt – in den nächsten zehn Jahren auf ihr Ziel konzentrieren und mit der Karawane weiterziehen, anstatt mit den Hunden zu heulen und zurückzubleiben.

Wie Daten des britischen Wirtschaftsmagazins «Economist» zeigen, hat China die USA 2011 bei unterschiedlichen Kennziffern vom Stahlkonsum hin bis zu Autoverkäufen überholt und damit ein Jahrzehnt wahrhaft monumentaler Veränderungen eingeläutet.

Das westliche Kapital mag dies bedauern: «There's a feeling I get when I look to the West, and my spirit is crying for leaving».

Letztlich muss das westliche Kapital aber jetzt die schwierige Entscheidung treffen, in wieweit die Abkehr vom Westen und die Hinwendung zum Rest der Welt tatsächlich in einen neuen Himmel führt, und wenn ja, welcher Weg der Beste ist.

Quo vadis Investor?

Sofern keine unvorhergesehene Katastrophe eintritt, bin ich letztlich davon überzeugt, dass bis 2022 netto mehr Kapital aus dem Westen in den Rest der Welt geflossen sein wird, als umgekehrt wieder in den Westen zurückschwappt.

Die grosse Wanderung des Kapitals von den abgegrasten und nur langsam spriessenden Weidegründen des Westens zu den chancenreichen und schnell wachsenden Weiden der restlichen Welt hat begonnen.

Ein Jahr der Reise

2012 ist nur ein Jahr auf dieser ereignisreichen Reise, und ich gehe davon aus, dass sich die unterdurchschnittliche Entwicklung der Neuen Welt im Vergleich zur Alten Welt, die wir im vergangenen Jahr erlebt haben, diesmal nicht wiederholt.

Wie während der meisten Zeit im 21. Jahrhundert fliesst 2012 mehr Geld in die Neue Welt als aus ihr heraus.

  • Ein Teil des wandernden Kapitals kommt in anderem Gewand daher: Westliche Multis, die im Rest der Welt investieren, lenken auch Kapital westlicher Anleger in die Neue Welt.
  • Für diese westlichen Besitzer von Kapital, die weniger risikofreudig sind oder die Perspektiven der Neuen Welt weniger gut einschätzen können, ist dieser Weg möglicherweise der beste, um ihr Engagement im Rest der Welt zu erhöhen.
  • Daneben ziehen Anlageklassen wie Rohstoffe, die ebenfalls vom Aufstieg der restlichen Welt profitieren, westliches Kapital an; gleiches gilt für Immobilienfonds, die sich auf die neue Welt konzentrieren.
  • Es ist unwahrscheinlich, dass sich Schwellenländeraktien zwei Jahre hintereinander schlechter entwickeln als ihre Pendants in den Industrienationen, zumal wenn man deren derzeitigen relativen und absoluten Wert betrachtet.
  • Auch wenn Aktien mit Abstand die meiste Aufmerksamkeit geniessen, vollzieht sich der grösste Wandel des kommenden Jahrzehnts womöglich im Anleihensegment: In den nächsten zehn Jahren sind Lokalwährungsanleihen der Schwellenländer aller Voraussicht nach unter allen Anlageklassen die grössten Gewinner. Ganz vorne im Anleihenklassement liegen daneben die Unternehmensanleihen der Schwellenländer.
  • Und auch das Liquiditätsmanagement wandelt sich: Globale Anleger, die sich der kommenden Veränderungen bewusst sind, werden zunehmend darauf bestehen, dass die Währungen in ihren Portfolien unabhängig gemanagt werden.
  • Der Dollar bleibt zwar wahrscheinlich die bevorzugte Basiswährung dieser Portfolios, aber 2022 hat der Dollar womöglich sein angestammtes Recht verloren, in allen global ausgerichteten Liquiditätsfonds den Ton anzugeben.
War die Übernahme der Credit Suisse durch die UBS rückblickend gesehen die beste Lösung?
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