Die Quittung für den grossen Murks
War das wirklich nötig? Hätte das Bundesverwaltungsgericht (BVGer) nicht zuletzt aus Staatsräson ein anderes Urteil fällen können, sollen oder müssen?
Gemäss dem am Dienstag bekanntgegebenen Entscheid fehlte der Verfügung der Finanzmarktaufsicht Finma, mit der sie im März 2023 die Additional-Tier-1-Anleihen (AT1) der Credit Suisse (CS) im Nominalwert von insgesamt 16,5 Milliarden Franken für wertlos erklärte, die rechtliche Grundlage. Der Eingriff habe sich weder mit den vertraglichen Anleihensbedingungen noch mit Bestimmungen im Banken- bzw. Finanzmarktaufsichtsgesetz respektive der Notverordnung des Bundesrats (die das Gericht en passant für verfassungswidrig erklärt hat) begründen lassen.
Alte Wunden aufgerissen, grosse Unsicherheiten
Daher hat das BVGer die Finma-Verfügung aufgehoben. Zur alles entscheidenden Frage, wer (die UBS als Rechtsnachfolgerin und/oder die Finma bzw. der Bund?) nun wem wie viel Geld (Nominalwert oder Marktwert zum Zeitpunkt der Abschreibung?) schuldet, hat sich das BVGer indes nicht geäussert – wohl deswegen, weil es damit rechnete, dass sein Entscheid an das Bundesgericht weitergezogen wird (was die Finma am Mittwoch denn auch prompt ankündigte).
Mit seinem 78-seitigen Urteil reisst das BVGer alte Wunden auf und schafft grosse Unsicherheiten für die UBS, die Bundesbehörden und letztlich wohl auch den Steuerzahler. Dabei war es der Schweiz doch mit einer kollektiven Kraftanstrengung (die Abschreibung der AT1 war neben umfangreichen Liquiditätszusagen und Garantien ein Teil des Massnahmenpakets) an diesem Wochenende Mitte März vor zwei Jahren gelungen, ihre zweitgrösste Bank, in deren Geschäftsmodell und Management Anleger, Kunden und Märkte jegliches Vertrauen verloren hatten, zu stabilisieren. Damit konnte verhindert werden, dass sich das Problem zu einer internationalen Finanzkrise auswächst.
Ende gut, alles gut?
Den Steuerzahler, der zeitweise beträchtliche Risiken schulterte, kostete die ganze Aktion keinen Franken, und die Integration der CS in die UBS ist ziemlich reibungslos verlaufen. Die Reputation des Finanzplatzes Schweiz litt weniger als befürchtet, und mit dem PUK-Bericht war die Angelegenheit sauber aufgearbeitet und eigentlich auch abgeschlossen worden. Das Krisenmanagement von Bund, Finma und Schweizerischer Nationalbank (SNB) war in der Sache offensichtlich erfolgreich.
Ist es nun also wirklich nötig, dass das BVGer zweieinhalb Jahre nach der Aktion «dem Bundesrat in den Rücken fällt», wie viele Medien am Dienstag getitelt haben?
Mit der CS-Aktion rote Linien überschritten
Der Erfolg der Aktion vom März 2023 darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Behörden damals mehrere rote Linien überschritten haben.
Erstens erwies sich die nach der globalen Finanzkrise 2008 und der damaligen Rettung der UBS mit enormem Aufwand entwickelte Too-big-to-fail-Regulierung (TBTF) für systemrelevante Banken als Papiertiger. Sie schützte die CS nicht vor dem Bank-Run, und die Bank konnte offensichtlich auch nicht geordnet abgewickelt werden. Seither hat die Schweiz nur noch eine Grossbank, entsprechend ist das TBTF-Problem noch ausgeprägter.
Nationalbankgesetz ausgehebelt
Zweitens gewährte damals die SNB auf Geheiss des Bundesrats mit einer flugs geschaffenen Kreditfazilität erstmals Liquidität ohne Sicherheiten, im Umfang von maximal 100 Milliarden Franken. Damit wurde de facto das Nationalbankgesetz ausgehebelt, das vorschreibt, dass die SNB Kredite nur «gegen ausreichende Sicherheiten» gewähren darf. Hintergrund dieser Regelung ist der auch international anerkannte Grundsatz, dass Zentralbanken als «Lender of Last Resort» in Krisen nur Banken beistehen dürfen, die illiquid, aber nicht insolvent sind (in der Praxis ist die Unterscheidung allerdings zugegebenermassen ziemlich knifflig).
Drittens setzte der Bund auch in anderen Bereichen auf Notrecht, z.B. für die Ausfallgarantie (Public Liquidity Backstop) im Umfang von 100 Milliarden Franken zugunsten der SNB für weitere Blankokredite.
Wenig schmeichelhafter Vergleich mit UBS 2008
Viertens versetzte die Finma mit ihrem Entscheid, das AT1-Kapital der CS voll zu beanspruchen und damit einen Totalverlust für die Obligationäre in Kauf zu nehmen, dem Markt für solche Instrumente einen Schlag (von dem er sich in der Zwischenzeit allerdings wieder erholte). Dabei hatten sich auch die Schweizer Behörden nach der Finanzkrise für AT1 starkgemacht.
Ernüchternd fiel auch der Vergleich mit der Rettungsaktion für die UBS im Jahr 2008 aus. Damals mussten die Behörden mitten in einer globalen Finanzkrise die grösste Schweizer Bank stabilisieren – wobei der letzte solche Fall (Schweizerische Volksbank in den 1930er-Jahren) etliche Generationen zurücklag. Dies gelang mit einer vergleichsweise eleganten Lösung, für die allerdings auf Notrecht zurückgegriffen werden musste.
Die Lehren aus 15 Jahren?
2023 war beim Finanzdepartement, bei der Finma und der SNB teilweise noch das gleiche Führungspersonal tätig. Die Erinnerung an den UBS-Fall war noch einigermassen frisch, und man hatte 15 Jahre Zeit, dafür zu sorgen, dass ein solcher Fall nicht mehr eintritt bzw. geregelt gelöst werden kann. Zudem handelte es sich bei der CS um ein relativ isoliertes Problem, die Stabilität der UBS und ausländischer systemrelevanter Banken war nicht in Frage gestellt. Trotzdem zimmerten Behörden ein Paket zusammen, das auf Notrecht basierte und mit dem sie sehenden Auges rote Linien überschritten: ein grosser Murks mit beträchtlichen operativen Risiken, bei dem offenbar auch grobe «handwerkliche» Fehler unterlaufen sind.
Das BVGer hat nun daran erinnert, dass der Erfolg nicht alle Mittel heiligt. Man muss nicht alle 360 Beschwerdeführer, die teilweise auch aus dem Ausland stammen, sympathisch finden, und es gibt Gründe, das Instrument der AT1 kritisch zu betrachten.
Signal für starken Eigentumsschutz und gegen Notrecht
Doch setzt das Urteil ein starkes Zeichen dafür, dass die Schweiz den Eigentumsschutz hochhält – ungeachtet allfälliger «übergeordneter Interessen». Genau das macht einen Rechtsstaat aus, der die individuellen Freiheitsrechte im Kernbereich frei von Opportunitätsüberlegungen wahren muss; Formulierungen wie die oben erwähnte «dem Bundesrat in den Rücken fallen» verraten ein seltsames Verständnis der Rolle der Gerichte. Erfreulich aus einer liberalen Perspektive ist auch das Signal, dass das BVGer in Bezug auf das Notrecht sendet; dieses darf nur ultima ratio sein.
Die Wahrscheinlichkeit, dass das Bundesgericht zu einem diametral anderen Schluss gelangen wird, ist indes nicht zu unterschätzen. Das Gericht in Lausanne gilt als etatistischer und damit weniger freiheitsfreundlich als dasjenige in St. Gallen. Ein Beispiel dafür sind die Entscheide des BVGer im Jahr 2010, in denen dieses schwere Bedenken gegen die Herausgabe von Kundendaten der UBS an die US-Justizbehörde äusserte; das Bundesgericht hob das Urteil 2011 auf und erklärte die Datenübertragung für rechtmässig.
Verliererin UBS – oder doch nicht?
Apropos UBS: Auf den ersten Blick geht die Grossbank, die neben der Finma (Vorinstanz) im Verfahren in St. Gallen als Beschwerdegegnerin auftrat (und sich dabei von der Crème de la crème aus der Anwaltskanzlei Bär & Karrer vertreten liess) als Verliererin vom Platz. Das Risiko, dass sie als Rechtsnachfolgerin der CS substanziell zur Kasse gebeten wird, ist aber doch eher gering. Wären die AT1 nicht für wertlos erklärt worden, hätte die UBS der Übernahme wohl gar nicht zugestimmt. Sollte das Bundesgericht überraschenderweise der Beurteilung der Vorinstanz folgen, dürfte der Bund und damit der Steuerzahler das finanzielle Risiko tragen müssen.
Auf einem anderen Gebiet könnte das Urteil die Position der UBS sogar stärken, weil es die Position des Finanzdepartements und der Finma schwächt. Diese sind bekanntlich ihre Kontrahenten im erbitterten Ringen um die künftige Gestaltung der Kapitalregulierung für die letzte international tätige systemrelevante Bank der Schweiz.