Mit dem Ende des Bankgeheimnisses hat sich die Schweiz als Vorreiter im Bereich des Privatsphären-Schutzes positioniert. DSwiss-CEO Tobias Christen erlärt im Interview, warum sich durch den Systemwechsel neue Möglichkeiten auftun.


Herr Christen, ist der Datenschutz mit dem Schweizer Bankgeheimnis gestorben?

Ganz im Gegenteil. Das Bankgeheimnis führte letztlich dazu, ein Bild der Schweiz zu zeichnen, in dem zwielichtige Motive dazugehörten. Das Land selbst aber bemühte sich seit Jahrzehnten aufrichtig um die Bekämpfung von Steuerbetrug und Geldwäsche.

Um der anhaltenden Kritik entgegenzuwirken, hat die Eidgenössische Steuerverwaltung schliesslich zugestimmt, Kundendaten an ausländische Steuerbehörden auszuhändigen. Heute ist klar: Was als «Tod des Bankgeheimnisses» bekannt wurde, hat die Schweiz sogar noch einen Schritt weiter gebracht: So ist sie heute Vorreiterin im Bereich des Privatsphärenschutzes.

Was genau macht die Schweiz zum Vorreiter beim Thema Datenschutz?

Die Bürger der Schweiz geniessen eines der stärksten Persönlichkeitsrechte im Bereich der Privatsphäre, einschliesslich der Datenschutzrechte. Wir zeichnen uns durch ein starkes und unabhängiges Rechtssystem aus und leben eine politische Kultur, die sich auf eine direkte Demokratie mit niedrigen Korruptionsraten stützt. Zudem leben wir einen kulturellen Respekt für die Wahrung der Privatsphäre des Einzelnen.

«Jeder Bürger wird ständig von Gesichtserkennungskameras überwacht und bestraft»

All diese Faktoren haben dazu beigetragen, dass weltweit führende Datenschutzvorkehrungen eingerichtet wurden: darunter der Nachrichtendienst Threema, der E-Mail-Anbieter Protonmail sowie unser Kennwort- und Dateimanager SecureSafe.

Ist der Schutz der Privatsphäre in einer modernen Gesellschaft immer noch relevant?

Ich würde fast sagen, dass er relevanter ist als je zuvor. Datenschutz ist ein Grundrecht aller Bürger auf der ganzen Welt. Und gleichzeitig ein Recht, für das wir uns angesichts der umfangreichen modernen Datenerfassung unbedingt einsetzen müssen. Nach Edward Snowdens Offenbarungen zur Massenüberwachung durch die US-Regierung wurde uns allen bewusst, dass die Digitalisierung mit neuen Bedrohungen für die Privatsphäre einhergeht.

Chinas «Sozialkredit»-System ist ein extremes Beispiel dafür. Jeder Bürger wird ständig von Gesichtserkennungskameras überwacht und bestraft, wenn er dabei erwischt wird, ein unerwünschtes Verhalten im Sinne des Staates an den Tag zu legen. Das schliesst alles mit ein: von gewalttätigem Verhalten bis zum einfachen Überqueren einer roten Ampel.

«Cyberkriminelle werden heutzutage immer raffinierter und organisierter»

Die Überwachung ist jedoch nur ein Teil der modernen Herausforderungen in Bezug auf die Privatsphäre. Cyberkriminelle werden immer raffinierter und organisierter. Die Möglichkeiten, mit cleveren Hacks an viel Geld zu gelangen, sind vielfältiger, da wir alle immer enger miteinander verbunden sind. Aus diesem Grund benötigen gerade wohlhabende Menschen einen besonders starken Schutz der Privatsphäre. Ihr Vermögen ist ständig von Betrügern gefährdet, die gestohlene Daten verwenden, um Identitäten zu stehlen und sich letztlich zu bereichnern.

Was ist der Unterschied zwischen Bankgeheimnis und Datenschutz?

Im Gegensatz zur Geheimhaltung zielt der Schutz der Privatsphäre im Wesentlichen darauf ab, den Einzelnen vor den Schattenseiten der Digitalisierung zu schützen, das schliesst unter anderem Massenüberwachung, Spam und die Monetarisierung personenbezogener Daten mit ein. Ebenso stellt er ein wichtiges Instrument dar, das es Innovatoren und Minderheiten auf der ganzen Welt ermöglicht, ihre demokratischen Rechte ohne Angst auszuüben.

«Banken befinden sich in einer einzigartigen Position: Sie können die Verwalter persönlicher Daten werden»

Seit Beginn der Finanzkrise im Jahr 2008 wurde die Regulierung des Finanzsektors wiederholt verschärft. Geheimhaltung wurde durch Transparenz ersetzt, um Steuerbetrug zu bekämpfen. Gleichzeitig hat die Einführung der DSGVO im Mai 2018 die Dateneigentumsrechte des Einzelnen in allen Branchen in Europa in den Mittelpunkt gerückt. Diese Bestimmungen erteilen dem einzelnen Bürger die Befugnis zu entscheiden, wann und mit wem personenbezogene Daten geteilt werden sollen.

Wird der Schutz der Privatsphäre zu einem Wettbewerbsmerkmal?

Ja, ohne Frage. Insbesondere im Finanzsektor. Banken befinden sich in einer einzigartigen Position: Sie können die Verwalter persönlicher Daten werden – immerhin sind sie seit Jahrhunderten bereits die Hüter der physischen Vermögenswerte. Neue Banktechnologien müssen jedoch ein klar definiertes und vollständiges Datenschutzversprechen bieten, das sich deutlich vom Angebot der Technologiegiganten unterscheidet.

Banken dürfen nicht den Fehler machen, das Geschäftsmodell von Google oder Facebook auf deren Stammgebiet einfach nur zu kopieren und so den Verkauf von Kundendaten zu fördern. Vielmehr müssen sie dem Kunden eine klare Alternative zum Verkauf seiner Daten bieten.

Die Anforderungen, die den Banken durch strenge Vorschriften längst auferlegt wurden, versetzen sie in die günstige Lage, beim Schutz der Privatsphäre und der digitalen Vermögenswerte mehr als nur wettbewerbsfähig zu sein.