Finanzprofessor Martin Janssen fordert SNB-Leitzinserhöhung
Nächste Woche steht ein Zinsentscheid der Schweizerischen Nationalbank an. Viele Ökonomen erwarten eine Senkung des Leitzinses und schliessen sogar einen negativen Leitzins in diesem Jahr nicht aus. Der emeritierte Finanzprofessor Martin Janssen hält einen solchen Schritt für falsch. Ihm erscheint vielmehr eine Erhöhung des Leitzinses notwendig, wie er in seinem Gastbeitrag auf finews.ch schreibt.
Am 19. Juni 2025 steht der nächste Zinsentscheid der Schweizerischen Nationalbank (SNB) an. Viele Fachleute erwarten eine Senkung des Leitzinses von heute 0,25 auf 0 Prozent und schliessen sogar einen negativen Leitzins in diesem Jahr nicht aus.
Ich finde eine weitere Senkung des Leitzinses falsch – aus folgenden Gründen erscheint mir vielmehr eine Erhöhung des Leitzinses notwendig:
1. Nicht im Interesse der schweizerischen Volkswirtschaft
Die Grenzproduktivität des Kapitals in der Schweiz dürfte heute zwischen 2 und 3 Prozentpunkten pro Jahr liegen. Würde der Leitzins auf 0 Prozentpunkte p.a. gesenkt, würden Firmen, die Mühe haben, einen Kapitalertrag von 3 Prozentpunkten pro Jahr zu erreichen, noch mehr staatlich gefördert.
Das ist nicht im Interesse der schweizerischen Volkswirtschaft. Im Gegenteil: Es entstehen Zombie-Firmen, die besseren Firmen die Ressourcen wegnehmen, ohne dass deren Produkte auf dem Markt wirklich Erfolg haben. Solche Firmen sollten tendenziell nicht vom Staat gefördert werden.
2. Politische Abhängigkeit von der EU
Der Schweizer Franken ist seit Jahren zu schwach. Die mit der aktiven Schwächung der heimischen Währung verbundenen Devisenmarkt-Interventionen haben zu einem unverhältnismässigen Devisenbestand geführt. Die SNB macht die Schweiz auf diesem Weg wirtschaftlich und vor allem politisch von der EU abhängig.
In einer Krise kann die SNB keine europäischen Bonds verkaufen, ohne mit massivem Protest der EU rechnen zu müssen. Die SNB müsste ihre Geldpolitik dann möglicherweise einer EU-freundlichen Politik unterordnen.
3. Unerwünschte Umverteilung
Ein zu schwacher Franken ist gleichbedeutend mit einer Umverteilung von den Haushalten zu den Eigentümern von Exportfirmen (bei grossen Unternehmungen überwiegend Ausländern).
Liegt die gewichtete Auslandwährung um 5 oder mehr Prozentpunkte zu hoch respektive der Franken zu tief, macht das rasch mehr als 1 Prozentpunkt des verfügbaren Einkommens aus, der umverteilt wird.
4. Fachkräftemangel mit allen seinen Folgen
Die SNB war in den vergangenen Jahren wegen ihrer Politik die grösste Treiberin der Zuwanderung von Firmen und Arbeitskräften in die Schweiz.
Sie hat damit wesentlich zur Immigration aus der EU, zu einem ungenügenden realen Pro-Kopf-Einkommenswachstum und zum Fachkräftemangel mit allen seinen Folgen beigetragen.
5. Expansive Geldpolitik unangemessen
Die importierte Inflation wird in diesem Jahr bei etwa -2,5 Prozent p.a. liegen, vor allem getrieben durch einen sinkenden Ölpreis und einen geschwächten Franken. Die inländische Inflation dürfte vielleicht mit 1 Prozent p.a. ausgewiesen werden.
Würde man die inländische Inflation umfassender messen, dürfte diese unter anderem dank zunehmender Stauwirkungen real eher bei 3 Prozent oder 4 Prozent p.a. liegen. Da erscheint eine derart expansive Geldpolitik, wie sie heute schon betrieben wird, nicht angemessen.
6. Pensionskassen in schwieriger Lage
Die tiefen, teilweise sogar negativen Zinsen der vergangenen Jahre haben die Pensionskassen in eine schwierige Lage gebracht.
Es war kaum möglich, mit vertretbaren Risiken eine Rendite zu erzielen, die einen genügend hohen Umwandlungssatz sicherstellten.
Meine Schlussfolgerung
Es würde nicht schaden, läge die importierte Inflation bei -4 Prozentpunkten und die inländische bei 1 bis 2 Prozentpunkten pro Jahr. Das ist nicht, wie die SNB immer wieder behauptet, deflationär.
Es würde der Schweizer Volkswirtschaft bei einer solchen Konstellation kurz-, mittel- und langfristig viel besser gehen. Und wir würden von den USA auch nicht wiederholt der Währungsmanipulation bezichtigt.
Martin C. Janssen unterrichtete mehr als 50 Jahre Volkswirtschaftslehre und Finanzmarktökonomie an der Universität Zürich, an der Universität St. Gallen (HSG), an der ETH Zürich sowie an anderen Bildungsinstitutionen im In- und Ausland. Im Jahr 2013 wurde er emeritiert, unterrichtete aber bis 2021 regelmässig. Im Jahr 1986 gründete er Ecofin, eine in Zürich ansässige Beratungs- und Vermögensverwaltungs-Unternehmung, die sich zu einer Gruppe kleiner Firmen entwickelt hat.