Angesichts der Grösse der Olympischen Winterspiele von 2022 in Peking ist es bloss eine Frage der Zeit, bis die Chinesen ihre Skiferien in Europa verbringen werden, sagt Beat Wittmann im Interview mit finews.ch.


Herr Wittmann, Sie waren soeben in China und haben dort die Region Chongli besucht, wo in drei Jahren die Olympischen Winterspiele von Peking stattfinden. Was war Ihr Eindruck?

Mein Interesse am Wintersports in China hat eine persönliche Komponente, da ich meine Jugend in einem Schweizer Bergferienort verbracht habe. Zudem war ich früher Skilehrer und seitdem ein leidenschaftlicher Skifahrer geblieben. Für mich war es eine unglaubliche Erfahrung, dieses imposante Vorhaben in China mit eigenen Augen zu sehen.

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Mein persönliches Fazit ist klar: China ist mit seinem ambitionierten Plan für die Olympischen Winterspiele von 2022 in Peking in jeder Hinsicht auf Kurs. Die Veranstaltung wird den Wintersport weltweit beflügeln.

China gilt nicht unbedingt als Eldorado für Wintersport.

Der Wintersport in China ist Teil eines rasch wachsenden Sport- und Tourismus-Ökosystems, das die Behörden in Rekordzeit erstellen wollen. Die Spiele von 2022 werden die Popularität des Skisports nicht nur massiv erhöhen, sondern auch enorme Infrastrukturvorhaben ermöglichen. Das wiederum wird dazu führen, dass die Mittelklasse und die oberen Einkommensschichten ihren Konsum entsprechend anpassen und sich vermehrt einem Outdoor-Lifestyle hingeben werden.

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Vom wirtschaftlichen Standpunkt aus gesehen lassen sich die Investitionen folgende Kategorien einordnen: Infrastrukturvorhaben, Transport, Telekommunikation, Gesundheit/Medizin, Hotellerie und Gastronomie; dann persönliche Sportausrüstungen, wie Kleidung, Skis sowie Accessoires, dann der Maschinenpark für Skigebiete; dazu gehören Pistenfahrzeuge, Skilifte, Luftseilbahnen, Schneekanonen und last but not least Dienstleistungen im weitesten Sinn, also Skilehrer, Betreuungspersonen, Versicherungen, Finanzdienstleistungen, etc.

Daraus eröffnen sich attraktive Investitionsmöglichkeiten und Beratungsmandate für internationale Unternehmen. Allerdings nur für Firmen, die auch frühzeitig das Potenzial erkennen und entsprechend handeln.

In welchem Entwicklungsstadium befindet sich die chinesische Skibranche?

Der französische Club Med eröffnete 1995 das allererste, nach westlichen Massstäben organisierte Skigebiet in Yabuli. Inzwischen befindet sich die Branche in einer Transformationsphase. Mit den Olympischen Winterspielen von 2022 wird sich das Angebot an vielen kleinen Resorts in eine Reihe von gigantischen Skisportgebieten umwandeln.

Das Wachstum der Ausgaben im Bereich von Skiausrüstungen wird alle anderen Bereiche weit übertreffen. Die Margen sind dabei noch vergleichsweise hoch, zumal die meisten Chinesen auf internationalen Lifestyle und vor allem auf die besten Sportmarken setzen.

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Die Wertschöpfung im chinesischen Skimarkt teilt sich in folgende Segmente auf: Skiausrüstungen (15 Prozent), Erschliessung von Skigebieten (10 Prozent), Betrieb von Skigebieten (25 Prozent) sowie Ski-Services, Hotellerie und Spiele 50 Prozent. In gewissem Sinne erleben wir hier das nächste Kapitel in der «Liebesgeschichte» der Chinesen mit europäischen Luxusmarken.

Worauf achten die Chinesen im Besonderen beim Skisport?

Wesentliche Erfolgsfaktoren sind die Markenbotschaft und die digitale Erfahrung; das beinhaltet die Glaubwürdigkeit oder Reputation einer Marke, was letztlich eine «conditio sine qua non» oder vereinfacht gesagt eine Bedingung ist für einen nachhaltigen Geschäftserfolg im Reich der Mitte. Die Digitalisierung ist eine allgegenwärtige Herausforderung und damit recht eigentlich eine Jahrhundertchance.

Was hat Digitalisierung mit Wintersport zu tun?

«Mobile» ist in China mittlerweile das Ein-und-Alles. Die Konsumenten nutzen ihr Smartphone in vielfältigster Art und Weise, sei es, um etwas zu suchen, zu vergleichen, auszuwählen oder zu kaufen. Sie wickeln längst den grössten Teil ihres Alltags über das Handy ab. Angesichts dieser Entwicklung haben internationale Wintersport-Firmen bereits zahlreiche Massnahmen getroffen, um diese rasant wachsende Klientel zu «bewirtschaften».

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Internationale Marken können in China entweder mit einheimischen Detailhändlern kooperieren wie dies beispielsweise Head, Lowa oder Lasse Kjus mit B.C. Sports tun oder Descente mit Anta oder Amer Sports mit Salomon, Atomic, Arc’terix – oder aber sie eröffnen eine eigene Präsenz im Land wie Bogner oder Moncler.

Was ist Ihr Eindruck vom Skigebiet Chongli wo die Skiwettbewerbe stattfinden werden?

Geographisch gesehen liegen die meisten Skiresorts in China in drei Regionen: im Nordosten (Songhua Resort), in der Peking-Ära (Nanshan Resort) sowie in Chongli, dem grössten und am schnellsten wachsenden Wintersportgebiet Chinas.

Chongli (Bild unten) wird über die Olympischen Winterspiele von 2022 hinaus zu einem ganzjährigen Ferien- und Sportgebiet erschlossen. Im öffentlichen Verkehr ist eine Hochgeschwindigkeits-Bahn von Peking nach Chongli geplant, welche die Strecke von 250 Kilometern in 45 Minuten zurücklegen wird. Ausserdem ist eine Autobahn vorgesehen, auf der man von der Hauptstadt in zwei Stunden nach Chongli gelangen wird.

Darüber hinaus sind medizinische Einrichtungen wie Spitäler und Kliniken geplant sowie eines der modernsten Telekommunikations-Systeme in der Region, das innert der nächsten zwei Jahre vollumfänglich mit 5G funktionieren wird.

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Geplant sind überdies Fünf-, Vier- und Dreisterne-Hotels, Restaurants,Vergnügungsstätten und Einkaufszentren Wohngebiete sowie zahlreiche Sport- und Trainingseinrichtungen. China hat sicherlich ein enormes Potenzial, um hier auf das westliche Qualitätsniveau zu gelangen oder es dereinst sogar zu übertreffen. Umgekehrt eröffnen sich riesige Chancen für Reiseveranstalter aus Europa, Japan und Nordamerika.

Welche Breitenwirkung werden die Olympischen Winterspiele von 2022 international entfalten?

Angesichts der fast unvorstellbaren Grösse dieses Wintersportgebiets ist es bloss eine Frage der Zeit, bis anspruchsvolle Chinesen ihren Urlaub auch in Skigebieten Europas, Nordamerikas oder Japans verbringen werden. Weltbekannte Destination wie Davos oder St. Moritz, die für Übersee-Touristen verkehrstechnisch gut erreichbar sind, eine moderne Infrastruktur haben und Gastfreundschaft vorleben, werden vom Zukunftsmarkt China enorm profitieren.

Einige bekannte Skigebiete haben bereits begonnen, sich auf den chinesischen Markt auszurichten. Ein Beispiel dafür liefert das Schweizer Skigebiet Laax, das im Rahmen eines Co-Branding mit dem Chonglim Genting Resort eine «Freestyle Academy» in Chongli eröffnen wird.


Beat Wittmann ist Gründer und Partner der in Zürich ansässigen Finanz- und Unternehmensberatungsfirma Porta Advisors. In seiner mittlerweile mehr als 30-jährigen Karriere in der Bankbranche arbeitete er für die UBS, Credit Suisse, Clariden Leu und Julius Bär.