Die Welt steht an der Schwelle zu einer neuen industriellen Revolution, die von erneuerbaren Energiequellen angetrieben wird. Doch aufgrund der Energiekrise wenden sich viele Staaten wieder fossilen Energieträgern zu.

Von Edward Lees, Co-Head und Senior PM, Environmental Strategies Group, BNP Paribas Asset Management

Die Bemühungen der Regierungen, ihre Abhängigkeit von Brennstoffimporten aus Russland zu reduzieren, sind die Hauptursache der Energiekrise. Aber es spielen auch andere Faktoren eine Rolle.

Der letzte Hitzesommer hat anschaulich gezeigt, wie der Klimawandel Probleme in der Energieversorgung verschärfen kann. Niedrige Wasserstände führten zu einem Mangel an Wasser für die Stromerzeugung und die Kühlung von Atomreaktoren; gleichzeitig schränkte die Winddürre die Leistung von Windparks ein.

Übergang zu sauberen Energiequellen

Das Ausmass der Krise erforderte eine sofortige Reaktion der Regierungen und eine stärkere Nutzung aller Energiequellen, einschliesslich fossiler Brennstoffe, um den Energiebedarf im kommenden Winter decken zu können.

Doch dies ist keine Kapitulation im Kampf gegen den Klimawandel, sondern könnte den Übergang zu sauberen Energiequellen mittelfristig sogar beschleunigen.

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Krise treibt Energiewende an

Erstens hat die Krise alle – auch Klimaskeptiker – gezwungen anzuerkennen, dass der Bedarf an diversifizierten und erneuerbaren Energiequellen akuter ist als je zuvor, und die strategischen Auswirkungen der Energieabhängigkeit von einem anderen Land werden besser verstanden.

Zweitens hat sie Länder, Unternehmen und einzelne Haushalte dazu gebracht, über ihren Energieverbrauch nachzudenken. Bei der Energiewende geht es nicht nur um sauberere Energiequellen, sondern auch um mehr Energieeffizienz und eine Senkung des Gesamtverbrauchs.

Führende Rolle Europas

Europa hat im Kampf gegen den Klimawandel eine führende Rolle gespielt. Der Plan «Fit für 55» der EU zielt darauf ab, die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen zu verringern, die Nutzung erneuerbarer Energiequellen auszuweiten, die Entwicklung von Elektroautos zu beschleunigen und Optionen für saubere Energien in Luft- und Schifffahrt voranzutreiben.

Der Einmarsch Russlands in die Ukraine hat jedoch eine neue, kurzfristigere Strategie notwendig gemacht, die RePowerEU. Sie legt detailliert dar, wie Europa seine Abhängigkeit von russischen fossilen Brennstoffen reduzieren und letztlich beenden kann.

Übernehmen die USA die Führung?

Ihre drei zentralen Säulen sind Energieeinsparung, Diversifizierung der Lieferungen und Beschleunigung der sauberen Energiewende. Dieser Plan hat zwar die bedeutende Komponente erneuerbare Energien, verpflichtet sich aber auch zum Bau einer neuen Infrastruktur für verflüssigtes Erdgas.

Der Inflation Reduction Act von 2022 ist das wichtigste US-Gesetz für saubere Energie überhaupt. Das Paket von 369 Milliarden Dollar soll dazu beitragen, die Versorgung mit grüner Energie anzukurbeln, Landwirtschaft und Industrie zu entkarbonisieren, Investitionen in neue grüne Technologien und Energieeffizienz zu erhöhen sowie Gemeinden mit niedrigerem Einkommen zu helfen, sich an den Klimawandel anzupassen.

Neues Gesetz als Wendepunkt

Erste Analysen deuten darauf hin, dass die Massnahmen die Netto-Treibhausgasemissionen bis 2030 um 31 bis 44 Prozent gegenüber dem Stand von 2005 senken würden.

Das Gesetz wird zu Recht als Wendepunkt angesehen. Dies nicht nur in Bezug auf die aktuellen Energiesicherheitsbelange, sondern es erlaubt den USA auch, wieder international als glaubwürdige Partnerin im Kampf gegen den Klimawandel aufzutreten (zum Beispiel COP27).

Chinas erhöhte Ambitionen

Obwohl China von den mit Russland verbundenen Lieferproblemen relativ abgeschirmt ist, belastete das extreme Wetter im Sommer die Energiesicherheit des Landes. Das führte dazu, dass mehr Kohle für die Stromerzeugung verbrannt und Fabriken stillgelegt wurden. Zudem hat China seine Zusammenarbeit mit den USA im Bereich der globalen Erwärmung, die letztes Jahr an der COP26 angekündigt worden war, ausgesetzt.

Dennoch scheint China bereit, seine Verpflichtungen zur Dekarbonisierung fortzusetzen: Die Kohlenstoffspitze wird bis 2030 und die Kohlenstoffneutralität bis 2060 erwartet.

Investoren können Schlüsselrolle spielen

Dies ist eine grosse Aufgabe, da die Kohlenstoffemissionen ihren Höhepunkt auf einem viel höheren Niveau erreichen werden als in den USA, und die Kohlenstoffneutralität nur 30 Jahre später fällig wird. Allerdings waren die Investitionen in grüne Schlüsseltechnologien sehr hoch, und bis 2025 soll ein Drittel der Energieerzeugung aus erneuerbaren Quellen gewonnen werden.

Die Energiewende befindet sich an einem kritischen Punkt. Investoren können eine Schlüsselrolle spielen, um Fortschritte in der Dekarbonisierung zu erzielen, indem sie nach klimapositiven Anlagestrategien suchen. Mit einem holistischen Analyseansatz können Unternehmen identifiziert werden, die das Potenzial zu langfristigen Gewinnern haben.


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