Milliardenspenden von Superreichen zeigen einen Weg, der bei philanthropisch engagierten Menschen immer beliebter wird. Julia Kleiser von der LGT erläutert im Gespräch die schlankere, effizientere Alternative zur Gründung einer Stiftung.


Julia Kleiser, hat MacKenzie Scott philanthropisches Spenden auf eine neue Basis gestellt?

Sie ist sicher aussergewöhnlich! In jüngster Zeit hat niemand so umfangreiche Spenden getätigt wie MacKenzie Scott seit 2019. Ein wesentlicher Aspekt ihres philanthropischen Engagements, der mich fasziniert, ist, dass sie die traditionelle Art des Spendens mittels gemeinnütziger Stiftungen in Frage stellt.

Was bedeutet «in Frage stellen» in diesem Zusammenhang?

Bisher waren Stiftungen und Trusts – die Bill & Melinda Gates Foundation in den USA oder die Jacobs Foundation in der Schweiz sind zwei Beispiele für solche bekannten, grossen und etablierten Stiftungen – für sehr vermögende Personen das bevorzugte Gefäss für philanthropische Tätigkeit.

MacKenzie Scott hingegen hat anscheinend kein Interesse daran, für ihre philanthropische Arbeit eine Stiftung zu errichten.

Stiftung ja oder nein – was spielt das für eine Rolle?

Durch den Verzicht auf eine Stiftung entfällt der Zeit- und Geldaufwand sowie die sonstige Bürokratie, die normalerweise mit ihr einhergehen, und dennoch, oder gerade deshalb, kann MacKenzie Scott wirksam und effizient umfangreiche Spenden ihrer Bestimmung zuführen.

MacKenzie Scott gehört zu einer der sehr reichen Privatpersonen, die Donor-Advised-Strukturen nutzen. Solche Strukturen existieren in unterschiedlichen Formen in zahlreichen Ländern. Sie lebt dadurch vor, dass man Milliarden rasch und ohne den Aufwand der «eigenen» Stiftung spenden kann.

Wofür steht der Begriff «Donor-Advised Fund», oder kurz DAF?

Ein DAF ist eine zweckmässige Struktur, die bei Philanthropinnen und Philanthropen in allen Vermögensklassen immer beliebter wird. Die Bezeichnungen und die rechtliche Detailgestaltung von DAFs können je nach Jurisdiktion unterschiedlich ausfallen.

Ausserhalb der USA und Grossbritanniens werden vergleichbare Strukturen zumeist als Dachstiftungen bezeichnet, so auch in der Schweiz. Hierbei handelt es sich um eine gemeinnützige Stiftung gemäss dem jeweiligen Landesrecht, unter deren Dach sogenannte philanthropische Fonds eröffnet werden können.

Solche Fonds lassen sich im Rahmen eines Vertrags mit der Dachstiftung errichten.

Worin liegen die Unterschiede zwischen einer Stiftung und einem DAF respektive einer Dachstiftung?

Die Grundprinzipien von Dachstiftungen und traditionellen Stiftungen sind dieselben: Spendengelder werden in eine gemeinnützige Struktur eingebracht und damit – allenfalls steuerlich vorteilhaft – aus dem Vermögen der Geberinnen und Geber ausgegliedert.

Die einzelnen Geberinnen und Geber definieren einen Zweck für den Philanthropie-Fonds, wobei nachträgliche Anpassungen oder Änderungen durchaus möglich sind. Zudem nimmt die Eröffnung eines Fonds meist wesentlich weniger Zeit in Anspruch als die Errichtung einer Stiftung.

Sobald der Fonds eröffnet ist, können Spenden für wohltätige Zwecke durch ihn getätigt werden.

Wieso ist die Struktur wichtig, wenn die Mittel für philanthropische Zwecke oder Projekte und Organisationen verwendet werden, die der Geberin oder dem Geber am Herzen liegen?

Es spricht einiges für Flexibilität: In vielen Ländern müssen traditionelle Stiftungen einen festen, in Stein gemeisselten Zweck aufweisen, der sich kaum ändern lässt. Eine Stiftung aufzuheben ist sehr schwierig. Daher findet man in zahlreichen Rechtsordnungen eine Vielzahl an kleinen Stiftungen, deren Unterhalt überproportional aufwendig und kostspielig ist.

Ein über eine Dachstiftung eröffneter Fonds kann hingegen im Lauf der Zeit leichter angepasst werden. Die Verwaltung erfolgt zentral und effizient über die Dachstiftung, sodass unterm Strich meist mehr Mittel für philanthropische Zwecke zur Verfügung stehen.

Legen die meisten Geberinnen und Geber denn nicht gerade auf die Solidität und Unveränderlichkeit von Stiftungen Wert?

Die geplante Lebensdauer von traditionellen Stiftungen umfasst zumeist mehrere Generationen. Aber genau wie in einem Familienunternehmen haben die Nachkommen nicht selten ganz andere Prioritäten und Interessen als die ältere Generation.

Ein Fonds im Rahmen einer Dachstiftung lässt sich leichter anpassen und kommt daher zum Beispiel für Familien infrage, die ihr philanthropisches Vermächtnis über Generationen weiterführen möchten. Auf diesem Weg geniessen die Nachkommen grössere Gestaltungsfreiheit und Flexibilität bei der Anpassung des karitativen Zwecks, der Laufzeit und der Bandbreite.

In zahlreichen uns bekannten Fällen fehlen nach dem Tod der Stifterin oder des Stifters – trotz des Stiftungsrats – eine professionelle und motivierte Führung der Stiftung. Bei Dachstiftungen hingegen gehört die professionelle Leitung von philanthropischen Fonds zur Kernaufgabe.

Wie steht es bei Geberinnen oder Gebern mit geringerem Spendenpotenzial als MacKenzie Scott?

Dieses flexiblere Format eignet sich gut für kleinere Spenden, etwa von vermögenden Privatpersonen, die nicht so grosse Summen bereitstellen wollen, wie sie Stiftungen normalerweise benötigen, um sinnvoll arbeiten zu können. Die Geberinnen und Geber profitieren von den Grössenvorteilen einer Dachstiftung, da die Eröffnung ihres Fonds unter solch einem Dach verhältnismässig weniger Aufwand, Ressourcen und Mittel beansprucht.

Wie funktionieren DAFs in der Praxis?

Die Geberinnen und Geber eröffnen innerhalb einer bestehenden Dachstiftung einen philanthropischen Fonds. Die Dachstiftung übernimmt die administrative Arbeit: Stiftungsratssitzungen, Berichterstattung an die Aufsichtsbehörde, Erstellen des Finanzberichtsund Überwachung der gemeinnützigen Tätigkeit.

Sie kann auch bei der Prüfung von potenziellen Organisationen und Projekten, die unterstützt werden, helfen. Für diese Dienstleistungen erhebt die Dachstiftung eine Gebühr. Im Allgemeinen ist diese jedoch geringer als die Kosten und den Unterhalt für eine «eigene» Stiftung.

Muss man nicht befürchten, dass es zu einem Kontrollverlust kommt, wenn es sich nicht um eine «eigene» Stiftung handelt?

Mögliche Vorbehalte der Geberinnen und Geber gegenüber Dachstiftungen beruhen häufig auf Befürchtungen vor einem Kontrollverlust. Tatsächlich verhält es sich jedoch so, dass alle Stiftungen – und somit auch Dachstiftungen – von Stiftungsräten gesteuert werden.

Selbst wenn eine Stiftung den Namen der Geberin oder des Gebers trägt, fällt grundsätzlich der Stiftungsrat die Entscheide. Sobald eine Geberin oder ein Geber Mittel steuerwirksam in eine karitative Struktur eingebracht hat, erfolgt ein gewisser Kontrollverlust – unabhängig von dem von ihr oder ihm gewählten Spendenkanal.

In den USA stehen DAFs in der Kritik, weil sie lange auf den Mitteln sitzen bleiben.

In der Schweiz und zahlreichen weiteren Länder sind die Dachstiftungen dazu verpflichtet, tatsächliche Tätigkeit vorzuweisen und somit Spenden zu vergeben. Auch Dachstiftungen sind einer Aufsichtsbehörde unterstellt. So hat beispielsweise die grösste Dachstiftung der Schweiz, die Swiss Philanthropy Foundation, seit ihrer Errichtung im Jahr 2006 318 Millionen Franken für wohltätige Zwecke eingesetzt.


Julia Kleiser ist seit 2021 für LGT Private Banking als Philanthropieberaterin tätig. Sie verfügt über mehr als 15 Jahre Berufserfahrung; vor ihrem Eintritt bei LGT war sie für die Abteilung Philanthropie der UBS und für die Stiftung Mercator tätig. Sie hat einen Master in International Affairs des Genfer Graduate Institute for International and Development Studies (IHEID) und ist ausserdem Co-Autorin des «LGT Leitfaden zur strategischen Philanthropie». Dieser systematische Leitfaden richtet sich an alle, die ihre Ressourcen einsetzen möchten, um einen positiven Beitrag für eine bessere Welt zu leisten.