Philanthropisches Kapital sinnvoll und strategisch einzusetzen, ist leichter gesagt als getan. Die LGT-Spezialisten Julia Kleiser und Rocco Baldinger zeigen im Interview auf, wie Spenderinnen und Spender Fallstricke vermeiden können.


Julia Kleiser und Rocco Baldinger, das Philanthropie- und Stiftungswesen befindet sich im Wandel. Was sind die wesentlichen Herausforderungen?

Baldinger: Der gemeinnützige Bereich und die Philanthropie entwickeln sich zurzeit sehr dynamisch. Zu den Herausforderungen gehört, dass die langfristige finanzielle Stabilität sowie eine effektive und auf den Stiftungszweck ausgerichtete operative Führung sichergestellt werden müssen. Ausserdem steigen laufend die Anforderungen an die Transparenz. Bei Organisationen, die auf Spenden angewiesen sind, trifft dies alles besonders zu.

Kleiser: In der Philanthropie erleben wir derzeit einen grundlegenden Wandel. Es geht beispielsweise darum, die tieferen Ursachen von Missständen und die Zusammenhänge zwischen globalen Problemen aufzufinden. Ein weiteres Anliegen ist, Lösungen zu entwickeln, die Probleme bei der Wurzel zu packen. «Systemverändernde» Philanthropie rückt immer stärker in den Vordergrund.

Sind Stiftungen und gemeinnützige Organisationen auf diese Herausforderungen vorbereitet?

Baldinger: Ja – wenn sie über eine strategische, langfristige Perspektive sowie den Willen und die operative Stärke verfügen, sich bei Bedarf entsprechend anzupassen. In dem Fall können sie die erforderlichen Veränderungen einleiten, um auch in Zukunft die gewünschte Wirkung zu erzielen.

Wieso reicht es nicht aus, Herzensprojekte und -anliegen finanziell zu fördern?

Baldinger: Philanthropische und gemeinnützige Organisationen funktionieren anders als gewinnorientierte Unternehmen. Bei Letzteren sind wir gewohnt, dass der Markt ihre Produkte oder Dienstleistungen beurteilt. Wenn Sie ein Produkt anbieten, werden Ihre Zielgruppen Ihnen unmissverständlich zu verstehen geben, ob Ihr Angebot Bedürfnisse abdeckt oder nicht.

In der Philanthropie funktioniert dieser Korrekturmechanismus nicht?

Baldinger: Tendenziell gehen wir alle davon aus, dass jeder philanthropische Ansatz generell vernünftig und von Natur aus gut ist, sodass er Beifall verdient. Sogar dann, wenn die Auswirkungen oder Ergebnisse ungünstig ausfallen.

«Wer engagiert sich ebenfalls auf diesem Gebiet?»

Gut gemeint ist aber nicht gleich gut gemacht, entsprechend ist es für eine erfolgreiche Organisation unabdingbar, über das nötige Fingerspitzengefühl zu verfügen.

Wie sollte ein Ansatz gestaltet werden, um möglichst grossen Nutzen zu stiften?

Kleiser: Die Leidenschaft, auf einem Gebiet nachhaltige, positive Veränderung zu erzielen, steht sicher am Anfang – aber wie sehen konkret die Bedürfnisse aus? Wir ermutigen jeden, die «Hausaufgaben» zu machen: Man sollte das Umfeld analysieren und sich fragen: Füllt die philanthropische Arbeit eine Lücke?

Wer engagiert sich ebenfalls auf diesem Gebiet? Gibt es Möglichkeiten zur Zusammenarbeit? Diese Fragen klingen vielleicht zunächst nicht sehr aufregend, sind aber entscheidend und führen auf lange Sicht zu Systemveränderung. Ansonsten laufen wir Gefahr, das Rad neu zu erfinden und letztendlich die gewünschte Wirkung zu verfehlen.

Baldinger: Die eher methodischen Fragen werden mitunter vernachlässigt, da wir gerne sofort die Ärmel hochkrempeln und uns schon ganz konkret an die Arbeit machen wollen. Erfolgskritisch sind jedoch insbesondere auch Fragen zur Governance.

«Die grossen Themen unserer Zeit erfordern höchst vielschichtige Interventionen»

Wie organisieren wir uns, wie möchten wir die Dinge tun, und was ist dabei der sinnvollste Ansatz für eine dauerhafte Wirkung? Diese Fragen sollten als Erstes erörtert werden.

Liegt eines der Probleme auch darin, dass Spenden nicht vollumfänglich an ihrem Bestimmungsort ankommen?

Kleiser: Wir hören manchmal Sätze, wie: «Ich möchte, dass meine gesamte Spende benachteiligte Kinder unterstützt.» Doch wie steht es mit der Umsetzung von wirksamen Programmen und der Bezahlung qualifizierter Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die es dafür braucht?

Natürlich wollen wir alle, dass unsere Spendenbeiträge die grösstmögliche positive Wirkung erzielen. Die grossen Themen unserer Zeit erfordern jedoch vielschichtige Interventionen.

Können Sie das anhand eines Beispiels erklären?

Kleiser: Nehmen wir den Kampf gegen modernen Menschenhandel. Bei einem derart komplexen Thema ist es wesentlich, dass philanthropische Interventionen dazu beitragen, ein Bewusstsein für das Thema zu schaffen, Kapazitäten aufzubauen und die gesamte Infrastruktur von wirkungsvollen Organisationen zu unterstützen, um das Problem an der Wurzel zu packen.

Nur ein Teil von philanthropischem Kapital wird dann vielleicht unmittelbar dafür sorgen, dass Opfer von Menschenhandel befreit werden.

Wie gross darf denn der Overhead einer Stiftung sein?

Kleiser: Ich würde umgekehrt fragen, was die gemeinnützige Organisation oder Stiftung erreichen will. Sind Zweck und Mission eindeutig definiert? Sind ihre Interventionen transparent, nachvollziehbar und wirkungsvoll? Es geht darum, die richtigen Fragen zu stellen, und sich so aufzustellen, dass gemeinnützige Organisationen wertvolle Arbeit leisten können.

«Hier geht es um Begriffe wie Transparenz und Rechenschaftspflicht»

Baldinger: Unnötige Kosten lassen sich auch vermeiden, wenn Stiftungen ihre Prozesse effizient und strukturiert gestalten – und diese auch regelmässig überwachen. «Was man messen kann, kann man auch steuern» – diese Maxime von Peter Drucker lässt sich genauso gut auf gemeinnützige, wie auf gewinnorientierte Organisationen anwenden.

Die Führungsgremien von Stiftungen sollten über Strukturen und Verfahren verfügen, um nachzuverfolgen, ob ihre Organisation die Mittel zielführend und im Einklang mit dem Stiftungszweck einsetzt. Hier geht es um Begriffe wie Transparenz und Rechenschaftspflicht. Zudem unterstreicht ebendieser Ansatz die Glaubwürdigkeit einer Organisation und würdigt damit den grossen persönlichen Einsatz der Mitarbeitenden.

Welches sind die häufigsten Fehler gemeinnütziger Organisationen?

Baldinger: Im Allgemeinen hat die (Selbst-)Regulierung dazu geführt, dass die Stiftungen professionelle und zielgerichtete Arbeit leisten. Dennoch zeigt sich hin und wieder, dass nicht alle Stiftungen über einen klaren strategischen Ansatz verfügen.

Bevor Philanthropen aktiv werden, sollten sie das Vorhaben ganzheitlich betrachten. Das heisst auch, sich mit zum Teil «langweiligen» Organisationsfragen zu befassen, die sich aus der strategischen Arbeit ergeben. Solche Dinge sind erfolgskritisch und wirken lange nach.

Soll ein Projekt dauerhafte Wirkung entfalten, muss man sich mit diesen Fragen beschäftigen.

Welche Rolle spielt dabei eine Bank? Als gewinnorientiertes Unternehmen verfolgt sie doch ein bestimmtes Ziel.

Baldinger: Die LGT und ihre Eigentümerschaft haben eine lange philanthropische Tradition, die auf etablierten Werten beruht. Deshalb haben wir ein tiefes Verständnis für Stiftungen, die auch in Zukunft relevante gemeinnützige Arbeit leisten wollen und nach Effizienz streben.

Kleiser: Wir sind Wegbereiter für Personen und Organisationen, die mit ihrer philanthropischen Arbeit mehr erreichen wollen. Unser Netzwerk, über das sich Gleichgesinnte auf der ganzen Welt austauschen können, bietet auch Zugang zu Wissenschaft und Forschung im Bereich Philanthropie.

«Durch solche Verbindungen lassen sich enorme Synergien nutzen»

Letztes Jahr haben wir gemeinsam mit dem Cambridge Centre for Strategic Philanthropy eine Studie zum Thema «Spenden im Nahen Osten» publiziert. Durch solche Verbindungen lassen sich Synergien nutzen und die Zusammenarbeit stärken – ein grosser Vorteil, da Philanthropen oftmals dazu neigen, das Rad neu zu erfinden.

Zahlreiche Banken professionalisieren ihre Philanthropieberatung. Sollte man hier vor allem auf die Grösse und auf umfassendere Erfahrungen setzen?

Kleiser: Es geht nicht so sehr um die Grösse, als vielmehr um Fachwissen in der Beratung sowie Kultur und Tradition der Bank. Die LGT Gruppe gibt mindestens zehn Prozent der jährlichen Dividenden an philanthropische Zwecke, unter anderem an LGT Venture Philanthropy, eine hochprofessionelle Stiftung mit mehr als 15 Jahren Erfahrung.

Dieses Engagement der Fürstlichen Familie ist in der Vermögensverwaltungsbranche einzigartig und ein zentraler Bestandteil unserer Nachhaltigkeitsstrategie. Es verdeutlicht auch, dass die Familie über langjährige, eigene philanthropische Erfahrung verfügt.

Baldinger: Wir zeichnen uns aus durch unser Fachwissen in der Begleitung und finanziellen Betreuung gemeinnütziger Organisationen sowie unseren Fokus auf langfristige und partnerschaftliche Kundenbeziehungen. So weiss ich als Stiftungsrat aus eigener Erfahrung, wie sich grössere Projekte, zum Beispiel eine Fusion zweier Stiftungen, strategisch und prozessual durchführen lassen.

Als eine auf Nachhaltigkeit fokussierte Privatbank bietet die LGT sowohl traditionelle Vermögensverwaltungs-Dienstleistungen, als auch Zugang zu einer bewährten Private-Equity-Impact-Plattform.


keiser 120x180Julia Kleiser ist seit 2021 für LGT Private Banking als Philanthropie-Beraterin tätig. Sie hat mehr als 15 Jahre Berufserfahrung; vor ihrem Eintritt bei der LGT war sie für die Philanthropie-Abteilung der UBS und für die Stiftung Mercator tätig. Ihr Studium am «Graduate Institute for International and Development Studies» in Genf schloss sie mit dem Master ab. Sie trug zum «LGT Leitfaden zur Strategischen Philanthropie» bei.

rocco 120x180Rocco Baldinger ist Senior Relationship Manager bei der LGT Bank (Schweiz) und leitet ein Team, das gemeinnützige Organisationen betreut. Zuvor war er in verschiedenen Funktionen für die Credit Suisse tätig. Er besitzt einen Master of Science in Business Consulting der ZHAW, einen Bachelor in Wirtschaftswissenschaften der FHNW und ist eidg. diplomierter Pensionskassenleiter.