Das Risikobewusstsein der Anleger ist zurück, wie Paolo Corredig, Länderchef von T. Rowe Price in der Schweiz im Interview mit finews.ch erklärt. Zuvor ausgeblendete Gefahren stünden den Investoren nun wieder klar vor Augen.


Herr Corredig, ist es zynisch, über Chancen und Opportunitäten in einer Krise zu sprechen?

Unsere wichtigste Aufgabe als Asset Manager ist, das uns anvertraute Kapital gerade in angespannten Marktphasen mit grosser Sorgfalt zu verwalten. Jede Krise birgt auch Chancen. Die Kunst dabei ist es, herauszufiltern, welche Unternehmen sich am besten der neuen Situation anpassen und ihre Strategien umsetzen können.

Wir haben versucht, die Opportunitäten zu nutzen, die sich durch die Verwerfungen auf dem Markt boten, insbesondere bei langfristig wachsenden Unternehmen.

Welche Verhaltensmuster gab es bei Ihren Kunden?

Positiv zu beobachten war, dass sie nicht in Panik verfielen, sondern rational, geduldig und besonnen geblieben sind.

«Asset Manager, die einen Geschäftskontinuitäts-Plan haben, werden gestärkt aus der Krise kommen»

Dies war sicherlich auch einer der Gründe, warum wir trotz der Krise Kapitalzuflüsse verzeichnen konnten – obwohl das von grossen Unsicherheiten geprägte Umfeld tendenziell für Abflüsse prädestiniert war.

Welchen Einfluss wird diese Krise längerfristig auf die Investorenwelt haben?

Das Risikobewusstsein, das in den vergangenen Jahren fast gänzlich verschwunden war, ist zurück. Exogene Gefahren, die zuvor ausgeblendet wurden, sind nun wieder ins Bewusstsein der Anleger gerückt. Das bedeutet auch, dass Asset Manager, die einen Geschäftskontinuitäts-Plan haben, gestärkt aus der Krise kommen werden.

Das US-Unternehmen T. Rowe Price hat schon viele Marktkrisen durchgemacht. Was unterscheidet es von anderen?

Es sind vor allem unsere lang gelebte Philosophie und Prozesse, die in den vergangenen Jahrzehnten aufgebaut wurden, die in solchen Zeiten zum Tragen kommen. Ich möchte Ihnen zwei Beispiele nennen.

«Dabei bleiben wir mit den Füssen auf dem Boden»

In den Jahren 1999/2000 wurden wir von führenden US-Medien heftig kritisiert, nicht am Hightech-Boom zu partizipieren. Tage später platzte die Blase – und gab uns recht.

Auch die Subprime-Krise ging gut für T. Rowe Price aus. Als die Kreditanalystin Susan Troll, die heute noch für uns arbeitet, im Zuge ihrer gründlichen Recherchen 2006 viele Warnzeichen erkannte und eine drohende Krise prognostizierte, haben wir uns vom Subprime-Kreditmarkt distanziert und Massnahmen ergriffen, um weitere Risiken zu reduzieren.

Diese Beispiele zeigen: Wir verfügen über die nötige Weitsicht und lassen uns durch kurzfristige Unsicherheiten nicht aus der Bahn werfen. Dabei bleiben wir mit den Füssen auf dem Boden und treffen unsere Entscheidungen aufgrund fundamentaler Faktoren.

Angesichts der anhaltend unklaren Situation dürften viele Investoren zurückhaltend bleiben. Mit welchen Argumenten wollen Sie Ihre Kunden zu neuen Engagements gewinnen?

Auf Sicht von 12 bis 24 Monaten bieten gemäss unserem Investment-Team Aktien im Vergleich zu den meisten Alternativen gute Renditeaussichten. Wir dürfen nicht vergessen, dass es sich hier um eine Naturkatastrophe und nicht um einen Kreditzyklus handelt.

Laut unseren Experten ist die Bewertung ein weiterer wichtiger Punkt: Unternehmen wie Netflix, Amazon und Zoom wurden in dieser Krise nicht überbewertet. Das Coronavirus hat ihre Positionen gestärkt und ihre Anpassung beschleunigt – dies ist ein Teil dessen, was diese Art von Zyklus ganz anders macht.

«Man könnte argumentieren, dass es jetzt sogar noch mehr Liquidität gibt als vor dem Virus»

Ein weiteres Argument ist eher akademischer Natur: Wenn die US-Notenbank potenziell jede Anlageklasse kaufen wird, und wenn die Zentralbanken eingreifen und die Wirtschaft durch die Corona-Pandemie unterstützen werden, dann sollten die Gewinnmultiplikatoren höher ausfallen, zumal mehr Kredite zur Verfügung stehen und die Zinssätze niedriger sind.

Man könnte argumentieren, dass es jetzt sogar noch mehr Liquidität gibt als vor dem Virus. Nicht zuletzt können wir mit der Tatsache gegenüber Kunden Vertrauen schaffen, dass sich unsere Stärken als aktive Manager gerade in Krisensituationen offenbaren. Der schnelle und umfassende Eingriff in die Portfolios erwies sich als Basis für unsere Outperformance.

Inwiefern spielt die Digitalisierung im Asset Management eine Rolle?

Digitale Technologien kommen in unserer gesamten Wertschöpfungskette zum Einsatz. Ein Beispiel ist der Einsatz von «Augmented Intelligence» als Ergänzung zur künstlichen Intelligenz. Maschinelles Lernen bietet gänzlich neue Werkzeuge für unsere Analysten.

«Man sollte die Nerven behalten und nicht emotional handeln»

Dank der jüngsten Fortschritte im Cloud-Computing und durch die Verfügbarkeit gewaltiger neuer Datenbestände ist es heute möglich, auch im Investitionsprozess von maschinellem Lernen zu profitieren. Unser eigens dafür eingerichtetes Equity-Data-Insights-Team entwickelte auf Basis der Performancedaten aus mehreren Jahrzehnten sowie von Millionen von Datenpunkten ein Modell, das jeder Aktie im Russell-1000-Index eine theoretische Bewertung zuweist.

Damit können Analysten abschätzen, wie die Bewertung auf Veränderungen der Fundamentaldaten reagiert, etwa auf einen Anstieg der Wachstumsrate des Unternehmens.

Was haben Sie persönlich aus dieser Krise gelernt?

Man sollte die Nerven behalten und nicht emotional handeln. Hat man einen Plan, sollte man diesen prüfen und gegebenenfalls Änderungen vornehmen. Eine weitere wichtige Erfahrung, die ich auch in früheren Krisen gemacht habe: Auch in schweren Zeiten darf der Optimismus nicht versiegen. Eine Vogel-Strauss-Politik ist sicherlich nicht der richtige Ratgeber.

Wo hatten Sie persönlich nach zweieinhalb Monaten Lockdown am meisten Nachholbedarf?

Mir fehlte der persönliche Austausch – sowohl mit meinen Freunden, als auch mit unseren Kunden. Zoom-Meetings sind zwar ein gutes Hilfsmittel. Aber sie ersetzen nicht den zwischenmenschlichen Kontakt, den ich übrigens auch mit meinen Kollegen vermisste.


Paolo Corredig ist Länderchef von T. Rowe Price in der Schweiz. Er stiess Anfang August 2012 als Head of Intermediary Business zum Unternehmen. Zuvor war er bei Invesco Schweiz tätig, wo er während sechs Jahren den Fondsvertrieb leitete. Davor arbeitete er in verschiedenen Positionen bei der Basler Bank Sarasin (heute J. Safra Sarasin) sowie im Vertrieb von Julius Bär, der Dresdner Bank und bei Zurich Financial Services.

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