Der designierte Finma-Direktor bringt einen breiten Erfahrungsschatz mit. Das wird nötig sein: Urban Angehrn muss nicht nur gegen die Papierflut anschwimmen und den Geldwäsche-Sumpf durchwaten – sondern vor allem viel Augenmass beweisen.

Es scheint fast so, als folgte der Verwaltungsrat der Eidgenössischen Finanzmarktaufsicht (Finma) einer impliziten Regel bei der Kür des Direktors: Der Chef der Behörde kommt von extern und entstammt wechselweise dem Versicherungs- und dem Bankfach.

Für den auf den 1. November hin ernannten Urban Angehrn (Bild unten) würde dies jedenfalls zutreffen, auch wenn seiner Wahl laut Finma eine umfangreiche Suche voranging: Auf dem Direktorium wechselten sich seit der Neuorganisation der Finanzmarktaufsicht im Jahr 2009 der Ex-Versicherungs-Mann Patrick Raaflaub, der ehemalige Banker Mark Branson und nun Angehrn ab. Letzterer amtete zuletzt als Investmentchef der Zurich.

Mehr Spielraum eingeräumt

Wobei für Angehrn spricht, dass er in seiner Karriere breite Erfahrung in allen möglichen Winkeln des Finanzwesens sammelte – der Harvard-Doktor der Mathematik und ETH-Physiker hat im Versicherungswesen wie auch im Banking und dem Asset Management gewirkt, und das im in- wie auch im Ausland.

Er übernimmt eine Behörde, die unter der Oberaufsicht von Finanzminister Ueli Maurer den unterstellten Finanzdienstleistern punktuell mehr Spielraum und Eigenverantwortung einräumte, anstatt Vorgaben bis ins Detail festzulegen. Dieser von Angehrns Vorgänger Branson dezidiert vertretene Prinzipien-basierte Ansatz hat es erlaubt, im weltweiten Vergleich sehr günstigen Bedingungen für die Ansiedlung von Fintechs zu schaffen.

urban angehrn

Die Strategie steht schon

In der angebrochenen Strategieperiode 2021 bis 2024 will die Behörde nun der Digitalisierung, der Innovation und der Nachhaltigkeit noch mehr Gewicht beimessen. Das setzt auch den Rahmen für den neuen Direktor Angehrn; wobei er wohl wie seine Vorgänger erfahren wird, wie schnell unliebsame Überraschungen und externe Einflüsse die volle Aufmerksamkeit der Aufsicht erfordern. Das aktuelle Beispiel dazu liefert die Grossbank Credit Suisse (CS).

1. Credit Suisse: Aufsicht gefordert und herausgefordert

Die Finma führt derzeit gleich mehrere Untersuchungen gegen die CS. Im April wurde im Zusammenhang mit dem US-Hedgefonds Archegos von der Finma ein Enforcement-Verfahren gegen die Bank eingeleitet. Dabei werden insbesondere Hinweise auf Mängel im Risikomanagement untersucht, wie es damals hiess. Dafür wurde bei der Bank ein Untersuchungsbeauftragter einsetzen.

Bereits seit März wird im Kontext des Falles «Greensill-Fonds» ein Verfahren gegen die Bank geführt. Auch hier stehen Fragen des adäquaten Risikomanagements zentral. Die Behörde hat der Bank dabei vorsorgliche Sofortmassnahmen verordnet. Diese umfassen unter anderem Zuschläge beim Kapital und die Reduktion von Risiken.

Mit Blick auf die Governance läuft zudem im Zusammenhang mit der «Spygate»-Affäre rund um die Bespitzelung von ehemaligen Bankangestellten ein Enforcement-Verfahren gegen die CS. Dabei wird möglichen Aufsichtsrechts-Verletzungen bei der Bank nachgegangen. Die Grossbank hatte sich dabei gegen die Wahl des Finma-Prüfbeauftragen Thomas Werlen zu wehren versucht und dessen Unabhängigkeit in Zweifel gezogen.

2. Kapitalvorschriften: Die Schraube anziehen – aber mit Mass

Die Causa Credit Suisse liefert eine Steilvorlage für jene Kreise, die eine strengere Regulierung insbesondere der Grossbanken verlangen. So forderte die Sozialdemokratische Partei der Schweiz (SP) dieser Tage in mehreren Motionen das Verbot von Banker-Boni bei systemrelevanten Instituten sowie eine massive Erhöhung des harten Eigenkapitals bei den Grossbanken.

Dies, nachdem die Finma bei Ausbruch der Coronakrise im März 2020 und in Abstimmung mit der Nationalbank gewisse Eigenmittel-Vorschriften für die Branche gelockert hat. Nun wird es darum gehen, die Schraube mit Bedacht wieder anzuziehen. Bis Ende 2022 müssen die Schlussarbeiten an internationalen Regelwerk Basel III endlich verabschiedet sein; diesen Juli sollen auch neue Regeln im Umgang mit Liquiditätsrisiken inkraft treten.

Wie der SP-Vorstoss zeigt, steht die Finma dabei politisch unter Beobachtung. In der Ära Branson war die Finma wiederholt mit Vorstössen konfrontiert, die den Einfluss der Aufsicht zurückbinden wollten.

3. Fintech: Den Vorsprung verteidigen

Digitale Kontoeröffnung, Fintech-Lizenz, erste regulierte Kryptobörsen und Banken sowie ein Schweizer Distribued-Ledger-Gesetz: Innert weniger Jahren haben Bund und Finma mit einigem Tempo dafür gesorgt, dass der Schweizer Finanzplatz in Sachen Innovation und Startup-Ansiedlung vorne mittut. Obwohl sich die Finma nicht in der Rolle der Standortfördererin sieht, lässt sie in ihrer Vierjahres-Strategie trotzdem solche Töne anklingen: Dort setzt sich die Behörde das Ziel, die «Glaubwürdigkeit und die Attraktivi­tät eines integren und nachhaltigen Innovationss­tandortes» zu stärken.

Die Frage ist, wie sehr sich die Aufsicht in den kommenden Jahren aus dem Fenster lehnen muss, um den erarbeiteten Vorsprung zu verteidigen. Finanzbehörden anderer Länder betätigen sich recht unverkrampft als Wagniskapital-Geber oder formulieren Gesetze, die einzelen aufstrebenden Geschäftsbereichen auf den Leib geschrieben sind.

4. Geldwäscherei: Den Karren aus dem Sumpf ziehen

Doch Innovation und insbesondere die Digitalisierung bergen aus der Warte der Aufsicht eine ganze Reihe neuer Risiken. Zu denken ist an die Cyberangriffe, die mit der Verlagerung auf Online-Kanäle während der Coronakrise nochmals massiv zugenommen haben, aber auch an die Geldwäscherei-Gefahr bei Kryptowährungen. Im Risiko-Monitor von 2020 hat die Finma diese Problematik erstmals indentifiziert. Dies, während der Finanzplatz schon jetzt im Geldwäsche-Morast stecken zu bleiben scheint. Die Finma ist hier mit hochkomplexen, internationalen Fällen konfrontiert, und sanktionierte zuletzt auch wichtige Finanzmarkt-Akteure wie die CS und Julius Bär.

Durchwursteln ist dabei keine Lösung, wobei nicht nur die Aufsicht, sondern auch die Bundespolitik gefordert sind. Bei der nächsten Länderprüfung durch die internationale Geldwäsche-Überwachungsgruppe FATF (Financial Action Task Force) steht die Schweiz nämlich auf der Kippe, wie es heisst. Immerhin wird das Verdikt erst 2022 erwartet.

5. Unabhängige Vermögensverwalter: Anschwimmen gegen die Papierflut

Es ist eine Herkulesaufgabe der Finma: Bis Ende 2022 müssen alle unabhängigen Vermögensverwalter in der Schweiz ein Bewilligungsgesuch stellen. Das sind je nach Schätzung deutlich über 2'500 Schweizer Finanzinstitute mit völlig verschiedenen Grösse und Strukturen. Ziel der Übung ist die Unterstellung unter bewilligte Aufsichtsorganisationen (AO).

Für die Vermögensverwalter gilt dann auch das Regelwerk des Finig, also des Finanzinstituts-Gesetzes, das seit Anfang 2020 in Kraft ist. Ein solches Bewilligungsgesuch müssen die Vermögensverwalter zwar an eine der AO stellen, welche diese prüft. Nach einer Annahme durch die AO prüft aber auch die Finma jedes einzelne Gesuch. Man munkelt, dass die Finma den Termin von Ende 2022 angesichts der Papierflut verlängern könnte. Das ist wohl einer der ersten wichtigen Entscheide, die Angehrn treffen muss.

6. Nachhaltigkeit: Klimarisiken dingfest machen

Die Finma hat bereits in ihrem Geschäftsbericht 2020 festgestellt, dass Umwelt-, Sozial- und Governance-Themen (ESG) Zukunft auch zu dauerhaften Veränderungen im Kreditgeschäft der Banken führen können. Inzwischen hat die Behörde bewiesen, dass sie im Bereich Nachhaltigkeit gewillt ist, Nägel mit Köpfen zu machen. So sind grosse Schweizer Versicherer und Banken seit Juli verpflichtet, die Öffentlichkeit über die Klimarisiken ihres Geschäfts zu informieren. Es darf dabei vermutet werden, dass die Verpflichtung mittelfristig auf kleinere Institute ausgedehnt wird.

Die Kapitaldeckung vom Umweltrisiken überlässt die Finma aber weiter den Unternehmen – ganz anders als in der EU, wo bereits Zuschläge und Abzüge bei der Kreditvergabe diskutiert werden.

Nicht zuletzt im Licht der Vorfälle bei der Grossbank CS hat die Finma angekündigt, auch die herkömmlichen operationellen Risiken im Banking näher unter die Lupe zu nehmen. Im Fokus sind laut der Behörde die Machtverhältnisse auf der operativen Ebene und die Stellung der zweiten Verteidigungslinie (Risiko-Management und Compliance). Am den bestehenden Regeln für die Banken-Governance von 2016 will die Aufsicht vorerst aber nicht rütteln, wie ein Sprecher unlängst zu finews.ch sagte.

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