Zu beneiden sind die Direktoriumsmitglieder der Nationalbank nicht. Nach sechseinhalb Jahren ohne jede Zinsänderung stecken sie in der Zwickmühle: Entweder, sie handeln zu früh – oder sie werden für das Zuspätkommen bestraft.

Die vergangenen Tage waren wohl einigermassen schweisstreibend in den Berner und Zürcher Büros der Schweizerischen Nationalbank (SNB), zumindest im übertragenen Sinne. Die unerwartet hohe US-Inflationsrate von 8,6 Prozent im vergangenen Mai führte zu gröberen Verwerfungen an den Märkten. Die Investoren fürchten offensichtlich, dass die höchste Teuerungsrate seit 40 Jahren unweigerlich zu viel höheren Zinsen und zu einer Rezession führen muss.

Fed am Zug

An der heute Mittwoch stattfindenden Sitzung der amerikanischen Notenbank Fed wird eine Zinserhöhung von einem halben oder gar dreiviertel Punkt erfolgen, darin sind sich die Ökonomen einig. Dies hat dem Dollar auch schon mächtig Aufwind gegeben – mittlerweile ist er zum Franken praktisch auf Parität gestiegen.

In der Eurozone, wo die Inflation ähnliche Höhen erreicht hat, ist der Zinszyklus gegenüber den Amerikanern und den Briten verzögert. Präsidentin Christine Lagardes Team an der Spitze der Europäischen Zentralbank (EZB) hat am vergangenen Donnerstag aber die Zinswende eingeleitet und den ersten Schritt nach oben für die Juli-Sitzung angekündigt.

Bis Ende Jahr dürften dann noch mindestens ein grösserer Schritt erfolgen, voraussichtlich im September.

Bis Ende Jahr auf Null?

Gleich nach der Fed ist am Donnerstag die SNB am Zug. Hier sind sich die Ökonomen zumindest in zwei Punkten einig: Erstens hat die SNB den Spielraum, um früher zu handeln, als erwartet worden war. Und zweitens, dass der erste Zinsschritt seit dem Januar 2015 voraussichtlich nicht vor September erfolgen wird.

So geht das Ökonomen-Team der Grossbank UBS davon aus, dass die SNB den Leitzins im September um 50 Basispunkte und im Dezember um 25 weitere Basispunkte erhöhen und damit noch dieses Jahr die Ära der Negativzinsen beenden wird. Die UBS-Experten geben aber zu bedenken, dass die Unsicherheiten hoch bleiben. Eine weitere Eskalation in der Ukraine, ein Gasembargo, eine Euro-Rezession und weitere Marktturbulenzen könnten den geldpolitischen Ausblick der EZB radikal verändern, glauben sie.

Eine frühzeitige Erhöhung der Zinsen in der Schweiz, wo die Inflation deutlich geringer ist als in den umliegenden Staaten, würde da wenig Sinn ergeben.

Zu optimistisch

Auch die Kollegen bei anderen Banken gehen von einem ersten Schritt im September aus und verweisen auf die tiefere Inflation in der Schweiz. Diese ist bekanntlich im Mai auf 2,9 Prozent geklettert. Die SNB verfolgt das Ziel der mittelfristigen Preisstabilität, definiert durch eine Inflation von 0 bis 2 Prozent.

Das Hauptaugenmerk wird sich also auf die Einschätzung der weiteren Entwicklung der Inflation in der Schweiz richten. Im vergangenen März noch beurteilte die SNB die Aussichten ziemlich optimistisch. Durch die temporäre Natur der Energiepreis-Steigerungen und Abwesenheit von Zweitrunden-Effekten sollte sich die Inflation im Jahresdurchschnitt von 2,1 Prozent dieses Jahr auf 0,9 Prozent in den Jahren 2023 und 2024 zurückbilden.

Die massiven Teuerungsraten im Ausland lassen jedoch berechtigte Zweifel an dieser Prognose aufkommen. Auch SNB-Präsident Thomas Jordan hat sich schon öffentlich dahingehend geäussert, dass diese Inflationszahlen Teil der Lageurteilung sein würden. Für Thomas Stucki, dem Investmentchef der St. Galler Kantonalbank, ist klar, dass die SNB auf den Anstieg und die Verbreitung des Inflationsdruckes reagieren will.

Der Franken – doch nicht so hoch bewertet

Einen weiteren Schwerpunkt in der SNB-Beurteilung bildet für gewöhnlich der Wert des Franken. Nach dem initialen Anstieg gegenüber dem Euro nach Ausbruch des Krieges in der Ukraine hat er sich zum Euro bei ungefähr 1.04 und 1.05 eingependelt. In allen Lagebeurteilungen der vergangenen Jahr las sich dabei die Formulierung, der Franken sei «hoch bewertet». Erst das Statement vom vergangenen März sorgte hier für eine signifikante Veränderung.

Damals nämlich sagte Jordan sinngemäss, dass die SNB aufgrund der grossen Inflations-Differenz zur Euro-Zone eine nominale Aufwertung in Kauf genommen hat. Diese Aufwertung hilft der Schweiz, einen Teil der hohen Inflation abzufedern.

Es ist besser, den September abzuwarten

Für die UBS ist klar, dass die SNB jene Formulierung fallen lassen muss, um die Zinswende in die Wege zu leiten. Dies, weil das Argument des hoch bewerteten Franken dazu diente, die expansive Geldpolitik zu rechtfertigen.

Sobald also sich die Aufregung in den USA über die jüngste Entscheidung heute Mittwochabend gelegt hat, wird das Augenmerk hierzulande auf zwei Dinge gerichtet sein: Erstens die bedingte Inflations-Prognose, und zweitens der Stand des Franken gegenüber den Währungen der Haupt-Handelspartner. Diese zwei Dinge dürften die wichtigsten Hinweise auf die Entwicklung des Leitzinses in der Schweiz in kommenden Quartalen liefern.

Angesichts der ungewöhnlich grossen Unwägbarkeiten, insbesondere was die Entwicklung in der Ukraine betrifft, lassen vermuten, dass die SNB eher vorsichtig agieren wird – darin sind sich die Ökonomen der grossen Banken einig. Oder wie die UBS schreibt: «Die SNB tut gut daran, den September abzuwarten».

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