Der emeritierte Schweizer Finanzprofessor und Unternehmer Martin Janssen plädiert in seinem Gastbeitrag dafür, den Bundesrat im Rahmen einer Blockwahl durch das Volk zu bestimmen. Er sieht darin einige Vorteile gegenüber dem Demokratie-Defizit in unserem Land.

Die Schweiz hat eine lange Tradition demokratischer Entscheidungsfindung. Einige Elemente, besonders das obligatorische und das fakultative Referendum sowie das Initiativrecht, finden sich so nirgends auf der Welt. Mit ersterem kann ein Gesetzesvorschlag des Parlaments mit einem Volksmehr abgelehnt, mit dem zweiten die Verfassung mit Volks- und Ständemehr geändert werden. Es spricht viel dafür, dass die Bezeichnung «älteste Demokratie der Welt» treffend ist.

Auf der anderen Seite hat die Schweiz auch ein offensichtliches Demokratie-Problem: Exekutive, Judikative und Strafverfolgung werden nicht vom Volk, sondern von der Legislative gewählt. Und die Verfassung respektive deren Geist werden zunehmend ausgehöhlt.

Legislative und Parteien verletzen die Verfassung

Das Volk setzt sich bei Steuererhöhungen meines Erachtens leichtfertig über die Eigentumsgarantie hinweg. Der Bundesrat verlässt sich bei Covid und bei der Übernahme der Credit Suisse durch die UBS auf Notrecht, das unter dem Titel «äussere und innere Sicherheit» eingesetzt werden darf, um «eingetretenen oder unmittelbar drohenden schweren Störungen der öffentlichen Ordnung oder der inneren oder äusseren Sicherheit zu begegnen». Und die Legislative und die Parteien verletzen die Verfassung durch Nichtumsetzung von Verfassungsbestimmungen, ohne dass dies mit Konsequenzen verbunden wäre.

Mancherorts hat man sich anscheinend daran gewöhnt, dass die Verfassung nicht allzu wörtlich genommen werden muss. Im Folgenden wird ein kleiner Punkt dieses Sündenregisters aufgegriffen, das bei der bevorstehenden Bundesratswahl eine Rolle spielt.

In direktem Widerspruch zur Zauberformel

Gemäss Artikel 161,1 der Bundesverfassung (Instruktionsverbot) stimmen die Mitglieder der Bundesversammlung ohne Weisungen. Das steht mehr oder weniger in direktem Widerspruch zur Zauberformel, wonach die drei grössten Parteien je zwei Bundesräte stellen, die vierte einen. Natürlich macht eine Koalitionsregierung in Verbindung mit dem fakultativen Referendum Sinn.

Aber die Praxis, wonach die Parteien im Rahmen der Zauberformel faktisch festlegen, wer von ihrer Partei in den Bundesrat gewählt werden kann, verstösst offensichtlich gegen den genannten Artikel 161. Dies gilt seit der Aufnahme einer Ausschlussklausel in die Statuten der SVP verstärkt: Ein in den Bundesrat gewähltes SVP-Mitglied kann nämlich aus der Partei ausgeschlossen werden, wenn es nicht formell portiert wurde.

Einen «wilden» Kandidaten wählen

Im Hinblick auf die Ersatzwahl vom 13. Dezember 2023 hat die Sozialdemokratische Partei (SP) aus sechs Bewerbern zwei, Jon Pult und Beat Jans, auf das Bundesratsticket genommen. Weil dieses Ticket bei der Mehrheit der Parteien als «sehr links» gilt, wurde unter anderem von Christoph Blocher (SVP) vorgeschlagen, einen «wilden» Kandidaten zu wählen. Man liest interessante Strategien, wie die nicht-sozialistischen Parteien den Sozialisten nach der Wahl die Schuld in die Schuhe schieben könnten, warum nicht einer der beiden offiziellen Kandidaten gewählt wurde.

In dieser Situation lohnt es sich, einen Beitrag des verstorbenen Berner Ökonomie-Professors Jürg Niehans zu Rate zu ziehen. Er hat in einem Beitrag in den «Schweizer Monatsheften» (heute «Schweizer Monat») von 1999 vorgeschlagen, den Bundesrat im Rahmen einer Blockwahl durch das Volk zu bestimmen.

Extreme Gruppen hätten kaum Wahlchancen

So würden zwei Jahre nach der Wahl des Nationalrats die Bundesratswahl stattfinden, bei der, zum Beispiel, maximal sechs Siebenergruppen von Personen, die gemeinsam in den Bundesrat gewählt werden wollen, gegeneinander antreten. Die Siebenergruppen konstituieren sich selbst; eine Person kann in mehreren Gruppen vertreten sein. Erzielt keine Gruppe das absolute Mehr, findet ein zweiter Durchgang mit den beiden bestplazierten Gruppen statt.

Interessant an diesem Vorschlag ist, dass rasch klar wird, dass extreme Gruppen – nur Vertreter einer Partei, nur Frauen, nur Junge etc. – kaum Wahlchancen haben. Es werden sich also Siebenergruppen zur Wahl stellen, die relativ ausgewogen sind. Anders als heute werden sich aber Leute zusammenfinden, die gerne miteinander zusammenarbeiten würden und sich auch gegenseitig gut finden. Und natürlich wird der Kreis der Anwärter grösser als heute. Die Parteien könnten versuchen, ihre bevorzugten Kandidaten ins Rennen zu schicken, um die Zauberformel zu bewahren. Überleben wird diese aber nicht zwingend.

Zeit, sich mit Demokratie-Defiziten zu befassen

Es ist klar, dass die nächsten Bundesratswahlen ablaufen werden wie frühere. Offen ist, ob sich das SP-Ticket durchsetzt. Aber nach den Wahlen wäre Zeit, sich mit den obigen Demokratie-Defiziten zu befassen und auch eine Volkswahl des Bundesrates zuzulassen. Vielleicht auf der Basis der Idee von Jürg Niehans.


Martin C. Janssen unterrichtete mehr als 50 Jahre Volkswirtschaftslehre und Finanzmarktökonomie an der Universität Zürich, and der HSG, an der ETH und an anderen Bildungsinstitutionen im In- und Ausland. Im Jahr 2013 wurde er emeritiert, unterrichtete aber bis 2021 regelmässig. Im Jahr 1986 gründete er Ecofin, eine Beratungs- und Software-Unternehmung, die sich zu einer Gruppe kleiner Firmen entwickelt hat, die in der strategischen Beratung grosser Investoren, in der Bereitstellung von Anlage- und Vorsorgelösungen und als Entwicklerin von Fintech-Software für das Asset- und Risikomanagement tätig ist. Er ist CEO der Ecofin-Gruppe. Darüber hinaus ist er Mitbegründer der Vereinigung «alliancefinance», welche die Interessen kleiner Banken und unabhängiger Vermögensverwalter vertritt, Vorstandsmitglied der Swiss Risk Association und seit 1987 Mitglied der Mont Pelèrin Society.

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