Der Prozess gegen den einstigen Raiffeisen-Chef Pierin Vincenz und seine mutmasslichen Mittäter muss komplett neu aufgerollt werden. Ganz ähnlich wie den Staatsanwälten in Zürich ist es im vergangenen Jahr dem Bundesstrafgericht in Bellinzona mit dem Financier Florian Homm ergangen.

Die Hürden vom komplexen Wirtschaftsfällen erweisen sich ein ums andere Mal als zu hoch für Schweizer Ermittler und Richter.

Am (gestrigen) Dienstag hat die Zürcher Staatsanwaltschaft, aber auch das Bezirksgericht Zürich eine schlimme Schlappe einstecken müssen. Wie auch finews.ch berichtete, hat das Obergericht des Kantons Zürich das Urteil gegen Pierin Vincenz sowie gegen mutmassliche Mittäter umgeworfen. Dies, nachdem die Instanz schwere Verfahrensfehler in der Anklage feststellte.

Vor knapp zwei Jahren hatte das Bezirksgericht den ehemaligen Chef von Raiffeisen Schweiz unter anderem wegen Betrugs und ungetreuer Geschäftsführung zu drei Jahren und neun Monaten Freiheitsstrafe verurteilt; der andere mutmassliche Haupttäter, Beat Stocker, sollte sogar für vier Jahre ins Gefängnis. Drei weitere Personen wurden erstinstanzlich verurteilt; die meisten Parteien gingen umgehend in Berufung.

Über das schiere Volumen gestolpert

Doch zum Berufungsprozess wird es diese Jahr nicht kommen. Stattdessen muss die Staatsanwaltschaft die Klage komplett neu aufrollen. Das Obergericht hatte kritisiert, der Umfang der Anklageschrift von knapp 400 Seiten habe den vorgesehenen gesetzlichen Rahmen gesprengt. Durch diesen Umstand sei es den Beschuldigten erheblich erschwert worden, sich wirksam zu verteidigen. Das Anrecht auf rechtliches Gehör sei damit tangiert. Mit anderen Worten: die Zürcher Staatsanwälte sind über das schiere Volumen des Falls gestolpert.

Damit erging es ihnen ganz ähnlich wie der Strafkammer des Bundesstrafgerichts in Bellinzona, deren Urteil gegen den Ex-Hedgefonds-Manager und Financier Florian Homm sich im vergangenen Sommer in Luft auflöste. Wie die Schweizer Zeitung «Tages-Anzeiger» (Artikel bezahlpflichtig) berichtete, waren den Strafrichtern dabei nicht die Masse der Vorwürfe, sondern ein Detail in der Prozedur zum Verhängnis geworden.

Jahrelang auf der Flucht

Auch finews.ch hatte wiederholt über Homm und die jahrelangen Bemühungen der Bundesanwaltschaft gegen ihn berichtet. Der mittlerweile 65-jährige Finanzprofi war 2007 in Zürich unvermittelt untergetaucht und jahrelang als «das Phantom» auf der Flucht, bevor er auf einen US-Haftbefehl hin 2013 im italienischen Florenz festgenommen wurde. Italien lieferte ihn aber nicht an die Amerikaner aus.

Homm, der sich seither als tiefgläubiger Christ, Buchautor und Coach für Lebens- und Finanzberatung neu erfunden hat, hielt sich danach in Deutschland auf, wo ihn finews.ch einst interviewte.

Dem Schweizer Prozess gegen Homm drohte nach Verzögerungen bereits die Verjährung, als das Bundesstrafgericht in Bellinzona im Jahr 2021 doch noch ein Urteil fällte. Dem Richterspruch zufolge wurde der deutsche ehemalige Hedgefonds-Manager unter anderem wegen gewerbsmässigen Betrugs und ungetreuer Geschäftsbesorgung zu drei Jahren Haft verurteilt, davon 18 Monate auf Bewährung. Ebenfalls zog das Gericht Vermögenswerte ein und verhängte eine Geldstrafe auf Bewährung.

Ein «No-show» mit Folgen

Wie damals schon bekannt wurde, war Homm selber dem Prozess ferngeblieben. Und genau das sollte das Urteil gegen ihn zu Fall bringen.

Denn laut dem Zeitungsbericht hatte das Strafgericht Homm für seine Vorladung auch ein Ersatzdatum zugestellt – etwas, was die Strafkammer laut Prozessordung erst nach einem Nicht-Erscheinen hätte tun dürfen. Als der Deutsche tatsächlich nicht auftauchte und die damals grassierende Corona-Pandemie als Grund anführte, war es bereits zu spät. Der Faux-pas war passiert. Die Berufungskammer annulierte in der Folge das Urteil.

Auch hier muss nun das ganze, hoch komplexe Verfahren wiederholt werden. Offenbar ist frühestens Ende 2024 mit einem neuen Prozess zu rechnen.

Wo der Teufel steckt

Im Fall Homm ist offenbar unklar, was dies für die Verjährung der Vorwürfe bedeutet; im Vincenz-Prozess hat das Obergericht die Verjährung ausgesetzt. Bis gegen den Ex-Bankmanager und die anderen Beschuldigten erneut zum Prozess vor dem Bezirksgericht kommt, könnten dennoch mehrere Jahre vergehen.

Ob der sprichwörtliche Teufel nun im Detail steckt, wie in Bellinzona, oder in der Masse, wie in Zürich: Die Risiko von Verfahrensfehlern scheint bei Fällen diesen Ausmasses so hoch, dass Kläger und Richter nicht mehr zu robusten Urteilen gelangen. Die Signale, welche dies auch in Bezug auf den Finanzstandort Schweiz aussendet, sind bedenklich, wie finews.ch bereits kommentierte: Komplexe Wirtschaftsfälle drohen sich insgesamt den Möglichkeiten der Schweizer Gerichtsbarkeit zu entziehen.

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