Die kontinuierlich wachsende Bedeutung der klein- und mittelkapitalisierten Biotech-Unternehmen mit ihrer innovativen Produktpipeline wird an den Finanzmärkten noch nicht wahrgenommen, schreibt Daniel Koller von Bellevue Asset Management.

Von Daniel Koller, Head Investment Team BB Biotech bei Bellevue Asset Management

Für viele Investoren ist Biotech zurzeit nicht besonders attraktiv. Der Nasdaq Biotechnology Index, der wichtigste Börsenindex des Sektors, hat in den vergangenen zwölf Monaten fast 20 Prozent an Wert verloren. Während Branchenschwergewichte wie Moderna oder Regeneron vereinzelt kräftige Kursgewinne verzeichneten, verloren die meisten klein- und mittelkapitalisierten Biotechs überdurchschnittlich.

Diesen Trend reflektieren die Verluste von 40 Prozent beim S-Network Medical Break-throughs Index (PMBI) und beim S-Network Healthcare Innovation Index (PHIX). Beide Indizes bilden niedrig kapitalisierte Biotechs und Pharmaunternehmen ab. Schwerpunktmässig handelt es sich dabei um Firmen mit Produkten in der klinischen Phase II oder III.

Undifferenziert getroffen

Ausschlaggebend für den aktuellen Abwärtstrend ist jedoch aufgrund der steigenden Inflation vor allem die Sektorrotation, weg von Growth hin zu Value. Dies hat den Biotechsektor undifferenziert getroffen. Biotechfirmen, die noch ohne Umsätze mit einem zugelassenen Produkt ihre Entwicklungspipeline finanzieren müssen, werden besonders abgestraft.

Mit den steigenden Zinsen werden künftige Gewinne wegen den damit einhergehenden höheren Diskontierungssätzen von Analysten weniger hoch bewertet. Die gesamte Biotechbranche wird dabei von Börsianern undifferenziert abgestraft. Zahlreiche Small und Mid Caps sind jedoch mittel- bis langfristig gut durchfinanziert und finanziell weitaus besser ausgestattet als in der Vergangenheit.

Gereifte Biotechs

In fundamentaler Hinsicht könnten kleine und mittelgrosse Biotechs von einer Markterholung bei Biotechaktien überproportional profitieren. 65 Prozent aller Wirkstoffe, die sich 2021 weltweit in der klinischen Entwicklung befanden, wurden nach einer Studie des IQVIA Institute for Human Data Science von Biotechfirmen durchgeführt, die weniger als 500 Millionen Dollar Jahresumsatz hatten und jährlich weniger als 200 Millionen Dollar in ihre Forschungs- und Entwicklungsprojekte investierten.

Noch 2016 lag der Anteil dieser von IQVIA als Emerging Pharma Companies klassifizierten Unternehmen bei unter 50 Prozent. Wie deutlich diese Biotechs gereift sind, zeigt eine andere Zahl der Studie: für 76 Prozent ihrer entwickelten Produkte stellten die Unternehmen 2021 eigene Zulassungsanträge. Das ist ein klares Indiz für die gestiegene finanzielle Unabhängigkeit, welche die Unternehmen in eine vorteilhafte Lage versetzt, ihre Produkte ohne Partner in Eigenregie zu vermarkten und damit über ein höheres Gewinnpotenzial zu verfügen.

Pipeline ist gefüllt

Die Small und Mid Caps unter den Biotechs können das Kommerzialisierungs-Potenzial immer besser abschöpfen, weil sie bei Therapien der neuesten Generation häufig zu den Pionieren zählen. An erster Stelle zu nennen sind hier die Zell- und Gentherapien, das Gene Editing und die mRNA-Technologie, die mit den Impfstoffen gegen Covid-19 von Moderna und BioNtech den grossen Durchbruch geschafft haben.

Rund 800 klinische Wirkstoffe sind aktuell solchen neuartigen Ansätzen zuzuordnen. In fundamentaler Hinsicht sind kleine und mittelgrosse Biotechs folglich sehr gut aufgestellt. Der entsprechende kurstreibende Nachrichtenfluss ist vorhanden, denn in diesem Jahr wird vor allem in der Krebsmedizin, der Neurologie und den seltenen genetisch bedingten Erkrankungen eine Vielzahl von klinischen Studienergebnissen und Zulassungsentscheidungen erwartet.

Hohe Preissetzungsmacht

Das Beteiligungsportfolio von BB Biotech sollte davon überproportional profitieren. Auf Sicht der nächsten drei Jahre schätzen wir, dass sich der Jahresumsatz der Beteiligungsfirmen mehr als verdoppelt. Ein Grossteil der Produktzulassungen entfällt auf die Indikationen Krebs, Stoffwechsel- und Nervenerkrankungen (vgl. Grafiken 1 und 2 unten).

Bei den Portfoliofirmen Alnylam und Ionis erwarten wir für 2022 die Entscheidung zur Zulassung für jeweils eine Therapie zur Verringerung der Symptome bei TTR-Amyloidose. Bislang gibt es keine adäquaten Behandlungsoptionen für diese erblich bedingten krankhaften Eiweiss-Ablagerungen, die zu schweren Organschäden führen. Dementsprechend hoch ist die Preissetzungsmacht.

Erwartetes Umsatzwachstum der Portfoliogesellschaften

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(Zum Vergrössern, Grafiken anklicken; Quelle: Bellevue Asset Management Research, Bloomberg, Mai 2021)

In der Krebsmedizin steht Arvinas vor dem grossen Durchbruch mit seiner neuartigen Technologieplattform für Moleküle, die krankheitsauslösende Proteine abbauen und dabei vor allem bei Zielmolekülen ansetzen, die mit herkömmlichen Therapieansätzen als nicht behandelbar gelten.

Vorreiter einer neuen Entwicklung

In diesem Jahr soll die zulassungsrelevante klinische Studie für das am weitesten fortgeschrittene Produkt ARV-110 zur Behandlung von Prostatakarzinomen starten, für den Arvinas bei der US-Behörde ein beschleunigtes Zulassungsverfahren erreichen will. Zwei weitere klinische Phase-III-Studien beginnt Arvinas mit Pharmapartner Pfizer für den Wirkstoff ARV-471 bei metastasierendem Brustkrebs, bei dem vorherige Therapien nicht mehr anschlagen.

Relay Therapeutics ist ein anderer Vorreiter in unserem Beteiligungsportfolio. Das Unternehmen bedient sich der künstlichen Intelligenz (AI) und des maschinellen Lernens (ML), um die vielversprechendsten klinischen Kandidaten zu identifizieren. Dabei modelliert und analysiert Relay am Bildschirm in frühen klinischen Studien Proteinbewegungen, um über die Interaktionen von Wirkstoff und pharmakologischem Ziel die Moleküle mit dem besten Wirkprofil zu identifizieren.

Sentiment verbessert sich

Mit der wachsenden Zahl an Erfolgsmeldungen sollten wieder mehr Investoren dem Sektor Aufmerksamkeit schenken. Das Stimmungsbild dreht sich langsam bereits wieder zugunsten des Biotechsektors als Ganzes.

Der jüngsten Umfrage von RBC Capital Markets zufolge erwarten 66 Prozent der befragten Investoren eine Biotech-Outperformance in diesem Jahr. Waren es in der zweiten Jahreshälfte 2021 noch 49 Prozent, die Biotechs als unterbewertet einschätzten, sind es jetzt 64 Prozent. Zugleich beabsichtigen 58 Prozent der Befragten, ihr Exposure in Biotech zu erhöhen.