«Fünf Fragen, die ich Stefan Bollinger gerne stellen würde»


In dieser Rubrik nehmen Autorinnen und Autoren Stellung zu Wirtschafts- und Finanzthemen.


Unlängst wurde Stefan Bollinger, CEO von Julius Bär, von Schweizer Medien als «Phantom» am Finanzplatz bezeichnet, als jemand, den man zwar zu sehen glaubt, der aber nicht wirklich präsent ist. 

Das liess mich aufhorchen. Die Botschaft dahinter – unabhängig vom aktuellen Fall: Das Unternehmen hat einen CEO, aber keinen Leader.

Wenn ein CEO Visibilität und Kommunikation vermeidet – bewusst oder unbewusst –, entsteht eine unsichtbare Barriere zwischen Führung und den Menschen: Mitarbeitenden, Kunden, Investoren und Medien. 

«Wenn der Kapitän von der Brücke geht, verliert die Crew das Vertrauen, selbst wenn der Kurs stimmen sollte.»

Besonders in einer Organisation, wie im aktuellen Fall jeder von Julius Bär, die sich mit Kostensenkungen, Arbeitsplatzabbau, Restrukturierungen und den Altlasten vergangener Skandale in einem tiefgreifenden Umbruch befindet, wirkt Abwesenheit nicht wie Souveränität, sondern oft wie ein Vakuum.

In diesem Vakuum gedeihen Unsicherheit, Gerüchte und Misstrauen. Mitarbeitende verlieren ihre Bindung zum Unternehmen. Externe Stakeholder fragen sich: Wer steuert das Schiff? Wie und mit welchem Ziel? Mit anderen Worten: Wenn der Kapitän von der Brücke geht, verliert die Crew das Vertrauen, selbst wenn der Kurs stimmen sollte.

Warum Stimme und Sichtbarkeit wichtig sind

Basierend auf meinen beruflichen Erfahrungen – nicht nur auf  C-Level-Ebene, sondern besonders  als ehemalige Mitarbeiterin krisengeschüttelter Unternehmen – habe ich eines gelernt: Wirksame Führung beruht auf vier eng miteinander verbundenen Prinzipien.

  • Erstens braucht es eine klare gemeinsame Orientierung. Ein CEO vermittelt Sinn und Richtung und schafft damit einen Zweck, der verhindert, dass Mitarbeitende in Verwirrung geraten oder in Distanz gehen.
  • Zweitens entsteht Vertrauen nur durch Transparenz. Sichtbare, offene CEO-Kommunikation stärkt die Glaubwürdigkeit und verhindert, dass Informationslücken durch Gerüchte oder Schweigen gefüllt werden.
  • Drittens ist es von zentraler Bedeutung, Engagement und Empathie zu zeigen. Mitarbeitende wollen nicht nur strategische Kennzahlen hören, sondern auch als Menschen wahrgenommen werden. Wer kommuniziert, zuhört und die emotionale Dimension der Veränderung anerkennt, vermittelt Fürsorge und schafft Sicherheit. Empathie wird damit zur unsichtbaren, aber entscheidenden Währung moderner Führung.
  • Viertens gelingt nachhaltige Transformation nur, wenn Kopf und Herz im Einklang stehen. Strategien und Analysen allein reichen nicht aus; entscheidend ist, wie Menschen fühlen, reagieren und sich anpassen. Führungskräfte, die Rationalität mit emotionaler Intelligenz verbinden, stärken Vertrauen, Resilienz und die Bereitschaft, aktiv an Veränderungen mitzuwirken.

Diskretion, Kontrolle und leise Kompetenz

Viele CEOs – insbesondere im Finanzbereich – bringen aufgrund ihrer internationalen Erfahrung eine Führungskultur mit, die von Effizienz, Leistungsorientierung, Wachstumsdruck und schlanken Hierarchien geprägt ist. Dazu gehören oft auch Diskretion, Kontrolle und leise Kompetenz.

«Ein CEO, der sich zurückzieht, verzichtet auf den grössten Hebel überhaupt: das menschliche Vertrauen.»

Diese Kultur kann in stabilen Zeiten funktionieren. Doch in Phasen intensiven Wandels kann ein rein «Back-Office-orientierter» Führungsstil als unsensibel wahrgenommen werden. Man riskiert, genau jene Menschen zu entfremden, deren Vertrauen man dringend zurückgewinnen müsste: Mitarbeitende, Kunden, Aufsichtsbehörden, Marktbeobachter und Medien.

Um auf den Fall Julius Bär zurückzukommen: Es gibt fünf Fragen, die ich Stefan Bollinger gerne stellen würde: 

  1. Wie möchte ich wahrgenommen werden – von Mitarbeitenden, Kunden und Stakeholdern – jenseits ihres Titels? Welche Führungspräsenz streben Sie an?
  2. Angesichts des umfassenden Wandels bei Julius Bär (Kostensenkungen, Überarbeitung der Risikokultur, strukturelle Veränderungen): Wie wollen Sie nicht nur das Was, sondern auch das Warum kommunizieren – um Unsicherheiten anzuerkennen und Motivation zu erhalten? 
  3. Wie definieren Sie Empathie in der Führung – nicht als rhetorische Weichheit, sondern als operatives Instrument? Welche konkreten Massnahmen (Listening Sessions, Townhalls, informelle Feedbackschleifen) sind Sie bereit, umzusetzen, um Verbindung und psychologische Sicherheit zu fördern?
  4. Wie passen Sie Ihren Führungsstil angesichts Ihrer Erfahrung bei Goldman Sachs – wo diskrete, ergebnisgetriebene Führung oft funktioniert – an die kulturellen Erwartungen einer traditionsreichen Schweizer Privatbank an?
  5. Wie messen Sie den Erfolg Ihrer Kommunikationsstrategie – nicht nur anhand finanzieller KPIs, sondern auch anhand von Mitarbeitenden-Engagement, Vertrauen und kultureller Ausrichtung? Und wie transparent werden Sie diese Kennzahlen nach innen und nach aussen teilen?

Gute Kommunikation ist nicht jedes CEOs Stärke. Aber daran lässt sich arbeiten. 

Sichtbarkeit ist nicht gleich Eitelkeit

Führung definiert sich nicht über die Position, die man innehat, sondern über die Köpfe und Herzen, die man erreicht. Ein CEO, der sich hinter verschlossenen Türen zurückzieht, verzichtet auf den grössten Hebel überhaupt: das menschliche Vertrauen.

Für jede Führungsperson im Wandel gilt: Zeigen Sie sich. Sprechen Sie. Hören Sie zu. Seien Sie echt. Unsichere Zeiten verlangen mehr als gute Tabellen. Se verlangen echte Führung.

Ich bin überzeugt: Das grösste Kapital eines CEOs ist nicht sein Lebenslauf oder seine finanzielle Expertise. Es ist die menschliche Verbindung, die er Schritt für Schritt aufbaut. Denn Vertrauen – einmal verloren – ist schwerer wiederherzustellen als jede Bilanz.


Brigitte Kaps, Gründerin und Geschäftsführerin von KAPS Advisory, berät CEOs und Managementteams in den Themen Change und Transformation. Sie bringt 25 Jahre internationale Berufserfahrung in Führungspositionen bei Auslandsbanken (ABN Amro, GE, RBS) mit, davon zehn Jahre im Bereich Corporate Finance und Investmentbanking. Bevor sie sich 2015 selbständig machte, leitete sie als Mitglied der Geschäftsleitung die Unternehmenskommunikation der Cembra Money Bank (ehemals GE Money Bank).