Marketing Kommunikation
Für Investoren, die ein Engagement in bestimmten Segmenten meiden oder auch nur auf öffentlichen Druck reagieren möchten, ist Desinvestition die naheliegendste Konsequenz.

Doch bringt es sie ihren nachhaltigen Investmentzielen wirklich näher, wenn sie sich von Vermögenswerten wie Öl- und Gasaktien trennen? Oder ist es nicht vielleicht produktiver, auf Unternehmen Einfluss zu nehmen und zu versuchen, sie in eine nachhaltigere Zukunft zu dirigieren?

Russlands Krieg gegen die Ukraine hat die Diskussion um Desinvestition in die Schlagzeilen gebracht. Ein verantwortungsbewusster Vermögensverwalter hat die Pflicht, zu handeln, und erhöht dadurch den Druck auf die übrige Branche, sozialen und ethischen Aspekten im Investmentprozess mehr Gewicht beizumessen. So könnten sogar Präzedenzfälle für Investments in Ländern geschaffen werden, in denen mutmaslich Menschenrechte verletzt werden.

Denkwürdiger Vorstoss von Aktionären

Schon vor der aktuellen Krise wurde immer heftiger darüber diskutiert, ob es effektiver ist, Positionen abzustossen oder auf Unternehmen einzuwirken, um sie zu verantwortungsbewussterem Verhalten zu bewegen.

So gab es zum Beispiel in den USA bei ExxonMobil – der grössten privatwirtschaftlichen Ölgesellschaft der Welt – im vergangenen Jahr einen denkwürdigen Vorstoss der Aktionäre, als sich der eher unbekannte Hedgefonds Engine No. 1 erfolgreich drei Sitze im Verwaltungsrat sicherte, um den Klimaschutz1 voranzutreiben.

Das war ein bemerkenswerter Coup, der rasch dazu führte, dass ExxonMobil seine Ziele für die langfristige Ölförderung zurückschrauben musste.

Beteiligungen von 1,5 Milliarden Pfund verkauft

Auf der anderen Seite argumentieren nach wie vor viele, der Ausstieg aus einem Investment sei ein wesentliches Instrument, um nachhaltige Investmentziele zu erreichen.

Der britische Versicherer Scottish Widows gab unlängst Pläne bekannt, sich von Beteiligungen im Wert von 1,5 Milliarden Pfund zu trennen – darunter solche aus CO2-intensiven Branchen.

Wie fördert die Desinvestition nachhaltige Investmentziele?

Theoretisch spricht aus dem Kapitalabzug der Wunsch der Vermögenseigner, ihr Engagement in umstrittenen Tätigkeiten im Einklang mit ihren Überzeugungen zurückzufahren oder zu vermeiden, dass sie von bestimmten Branchen profitieren. Häufig wird das auch als einfachste Antwort auf den Druck von Interessengruppen oder der Öffentlichkeit empfunden.

Für Fondsmanager, die gezwungen sind, ihre Positionen zu entkarbonisieren, ist es der schnellste Weg, die CO2-Intensität ihrer Portfolios zu senken. Wer sein Kapital abzieht, sendet ein Signal. Er beteiligt sich nicht länger finanziell, weil ein Unternehmen beispielsweise seinen Klimaverpflichtungen nicht gerecht wird oder bei der Umstellung auf grüne Energie unwiderruflich die falsche Richtung einschlägt.

Oftmals nur Verschiebungen

Doch solche Massnahmen verschieben die CO2-Belastung unter Umständen lediglich von einer Bilanz in eine andere, denn womöglich wird die Position ja von einem weniger kritischen Investor übernommen.

So hiess es, dass der Ölriese BP durch die Veräusserung des Ölfelds Prudhoe Bay in Alaska an das etwas undurchsichtige nicht börsennotierte Unternehmen Hilcorp den CO2-Fussabdruck2 des Konzerns verkleinern könnte. Unter dem Strich haben sich die Emissionen aber erhöht, weil der neue Eigentümer nicht mehr dieselben Anreize hat, umweltfreundlich zu arbeiten.

Gefahr einer Lose-Lose-Situation

Möglicherweise ist eine Desinvestition auch nicht so wirkungsvoll wie beabsichtigt. Forschungsarbeiten der Stanford Graduate School of Business3 aus dem Vorjahr zeigen, dass der Rückzug aus «schmutzigen Unternehmen», die nachhaltige Investmentziele verfehlen, nicht annähernd so viel bringt, wie all jene gerne glauben möchten, die zu diesem Mittel greifen.

Mehr noch, wer Kapital abzieht, nimmt dem Unternehmen womöglich die finanziellen Mittel, die es braucht, um die Umstellung auf eine grünere Zukunft zu schaffen – so dass Desinvestition im Kampf gegen den Klimawandel in einer Lose-Lose-Situation mündet.

Stimmgewalt ist effektiver

Wer dagegen am Tisch sitzen bleibt, weiter mit dem Verwaltungsrat spricht und seine Stimme erhebt, der bewahrt sich seinen Einfluss und kann Verbesserungen einfordern. Vermögensverwalter bezeichnen das als «Aktionärsaktivismus».

Im Jahr 20204 von Harvard veröffentlichte Forschungsergebnisse bestätigten sogar, dass «der Ausstieg nicht so effektiv ist wie Stimmgewalt, um Unternehmen zu sozial verantwortlichem Verhalten anzutreiben».

ExxonMobil und Shell: Weckruf für alle, die das Klimathema verschlafen haben?

Von allen hochkarätigen Initiativen der letzten Zeit könnte sich das am Ölriesen ExxonMobil statuierte Exempel als ausschlaggebend erweisen. Dem aktivistischen Hedgefonds Engine No. 1 gelang es, nach einer Kampfabstimmung drei klimafreundliche Mitglieder in den Verwaltungsrat von ExxonMobil einzuschleusen.

Das betrachteten viele nicht nur als Triumph nachhaltig orientierter Investoren über Big Oil, sondern auch als unmissverständliche Demonstration dessen, was Aktionärsaktivismus bewirken kann.

Schlechte Figur

Das Unternehmen machte seit zehn Jahren eine schlechte Figur, weil es Nachhaltigkeitsfragen notorisch links liegen liess, und war dafür berüchtigt, Aktionärsbedenken über die Energiewende5 vom Tisch zu wischen, wie Kritiker behaupteten. Engine No. 1 zog die Wirtschaftskarte und belegte anhand der vorliegenden ESG-Daten, dass ExxonMobil seinen Ertrag langfristig steigern könnte, wenn es Emissionen verringert.

Mit der Ernennung der neuen Verwaltungsratsmitglieder wurde die Chefetage um Erfahrungen mit grüner Energie zwangsbereichert.

In der Öl- und Gasindustrie löste der Vorfall eine Schockwelle aus. Wenn ein aktivistischer Investor so etwas mit Amerikas grösster Ölgesellschaft machen konnte, stand fest, dass kein Unternehmen sicher war – auch ausserhalb des Energiesektors. Jedes CO2-intensive Unternehmen wusste: Was ExxonMobil passiert war, drohte allen.

Entscheidendes Signal

Auch die Klimaentscheidung gegen den Ölriesen Shell im Jahr 2021 betrachteten manche als entscheidendes Signal, dass sich der Dialog über die Verantwortung der Unternehmen für den Klimawandel verändern würde. Shell verlor in den Niederlanden einen Grundsatzprozess.

Ein niederländisches Gericht ordnete an, dass das Unternehmen seine Emissionen verringern müsse. Angestrengt worden war die Klage von sieben Gruppen, darunter Greenpeace und Friends of the Earth Netherlands.

Irritierte Investoren

Shell hat inzwischen zwar Berufung gegen das Urteil des niederländischen Gerichts eingelegt, doch waren die Investoren Ende letzten Jahres so irritiert, dass sie der geplanten Verlegung des Unternehmenshauptsitzes aus den Niederlanden ins Vereinigte Königreich zustimmten. Ausserdem läuft auch ein von der auf Umweltrecht spezialisierten Kanzlei ClientEarth eingeleitetes Verfahren gegen den gesamten Verwaltungsrat von Shell.6

Das alles belegt zumindest, dass Aktionärsaktivismus Beharrlichkeit und Geduld erfordert: Bereits 2017 brachten Shell-Aktionäre einen Beschlussantrag ein, der von dem Unternehmen verlangte, Ziele zur Verringerung seiner CO2-Emissionen zu setzen. Der Fall macht aber auch deutlich, dass Engagement Rechenschaftspflicht für die Handlungen – oder Unterlassungen – eines Unternehmens hervorbringt und dass Leitungsgremien von Unternehmen ohne angemessene Klimastrategien verstärkt unter Beschuss geraten könnten.

Kann Desinvestition überhaupt die richtige Entscheidung sein?

Einer Theorie zufolge wird die Förderung von Öl, Gas und Kohle ein Geschäft bleiben, solange es Nachfrage gibt – selbst wenn die Rentabilität unter hohen Kapitalkosten leidet. Doch, wie es Bill Gates 20197 in einem Kommentar in der «Financial Times» formulierte: «Desinvestition hat die Emissionen bislang vermutlich um etwa null Tonnen reduziert. Schliesslich konnten die Unternehmen, die Stahl und Benzin produzieren, ihren Kapitalhunger anderweitig stillen.»

Für manche Investoren ist jedoch irgendwann der Punkt erreicht, an dem Dialog nichts mehr bringt – vor allem über fossile Brennstoffe. Europas grösste öffentliche Pensionskasse ABP gab im Oktober 2021 bekannt, dass sie sich von allen Positionen in fossilen Brennstoffen trennen will, da sie «für uns als Aktionäre keine ausreichende Chance» sieht, «bei diesen Unternehmen8 auf die nötige, erhebliche Beschleunigung der Energiewende zu dringen».

Verschärfte Richtlinien

Im selben Tenor äusserte Swiss Re, die zweitgrösste Rückversicherung der Welt, im März 2022, sie werde im Rahmen einer Verschärfung ihrer Richtlinie zu fossilen Brennstoffen keine neuen Öl- und Gasfeldprojekte mehr rückversichern oder versichern und auch nicht mehr direkt darin investieren.

Ausserdem erklärte sie, sie werde ab Juli 2023 für die führenden 10 Prozent der CO2-intensivsten Öl- und Gasgesellschaften keine Einzelversicherungen mehr abschliessen. Die Versicherung der obersten 5 Prozent der CO2-intensivsten Unternehmen hat sie bereits 20219 untersagt.

Ja, Investoren müssen Unternehmen Zeit einräumen, um sich anzupassen, wenn sie einen nachhaltigeren Kurs einschlagen. Doch gleichzeitig sollten diejenigen, die den Klimawandel nicht ernst nehmen, nicht auf Kompromissbereitschaft setzen können.

Härtere Gangart angezeigt

Sicherlich könnte bei Unternehmen, die sich nicht schnell genug umstellen, eine härtere Gangart angezeigt sein – vor allem in Anbetracht des wegweisenden Berichts des Weltklimarats der Vereinten Nationen (IPCC) vom veergangenen Jahr10. Darin hiess es, es sei «eine sofortige, rasche und gross angelegte Verringerung» der Emissionen erforderlich, um verhängnisvolle Folgen für den Planeten abzuwenden. Sich Zeit zu lassen, steht ESG-Anlegern nicht gut zu Gesicht.

Vielleicht wäre es sinnvoller, Dialog und Desinvestition gemeinsam zu betrachten, sozusagen als die beiden Seiten ein- und derselben Medaille, und nicht als Entweder-oder-Problem. Natürlich kann man eine Zeitlang versuchen, die andere Seite zu überzeugen, doch wer nicht bereit ist, sein Kapital abzuziehen, wirkt dabei wenig glaubwürdig. Daher sollten Investoren die Drohung, ihr Kapital abzuziehen, als letztes Mittel in der Hinterhand behalten.

  • Mehr Informationen über Natixis Investment Managers finden Sie hier

Glossar

  • Ausschlusskriterien – vermeiden Wertpapiere von Unternehmen oder aus Ländern auf der Grundlage traditioneller moralischer Werte, Standards und Normen.
  • Aktionärsaktivismus – beinhaltet die Aufnahme eines Dialogs mit Unternehmen zu nachhaltigen Investments und die Ausübung von Aktionärsrechten sowie Engagement, um Veränderungen zu bewirken.
  • Desinvestition – schreibt pauschal vor, jede Investition in Unternehmen, die an bestimmten kontroversen Tätigkeiten beteiligt sind, zurückzunehmen.

1 CNBC, 2021
2 Bloomberg, 2021
Stanford Business School, 2021
4 Harvard Business School, 2020
Fortune, 2021
6 Responsible Investor, 2022 
7 Financial Times, 2019
8 The Guardian, 2021
9 SwissRe, 2022
10 IPCC, 2021


Alle Investments sind mit Risiken verbunden, einschliesslich des Risikos eines Kapitalverlusts.

Diese Unterlagen werden ausschliesslich zu Informationszwecken zur Verfügung gestellt und sind weder als Anlageberatung noch als Empfehlung oder als Angebot zum Kauf oder Verkauf eines Wertpapiers oder als Angebot einer Dienstleistung zu verstehen. Anleger sollten vor jeder Investmententscheidung Anlageziele, Risiken und Kosten sorgfältig prüfen. Die geäusserten Einschätzungen und Ansichten entsprechen dem angegebenen Datum und können sich aufgrund von Markt- und sonstigen Bedingungen ändern. Es kann nicht zugesichert werden, dass Entwicklungen wie prognostiziert ablaufen.

In der Schweiz: Diese Unterlagen werden von Natixis Investment Managers, Switzerland Sàrl, Rue du Vieux Collège 10, 1204 Genf, Schweiz oder deren Vertretung in Zürich, Schweizergasse 6, 8001 Zürich, zur Verfügung gestellt.