Der Artikel von Kornelia Fabisik, Assistenzprofessorin für Finanzen an der Universität Bern, beruht auf einem Seminar, das im Rahmen des Weiterbildungsprogramms der Swiss Financial Analysts Association SFAA angeboten wurde. ESG ist auch in der Finanzbranche ein wichtiges Thema und wird regelmässig in den Weiterbildungen der SFAA aufgegriffen. 

ESG-Investitionen erhalten immer mehr Aufmerksamkeit. Das Phänomen ist Jahrzehnte alt, aber erst vor 19 Jahren wurde das Akronym, das für Umwelt (E), Soziales (S) und Unternehmensführung (G) steht, erstmals von den Vereinten Nationen (Uno) geprägt.

Von 2010 bis 2020 wurde jeder dritte investierte Dollar nach ESG-Prinzipien verwaltet (US-SIF, 2020). Wie im Forschungspapier von Elizabeth Pollman hervorgehoben wird, entsteht mit der Ausbreitung des Begriffs ESG «[...] aus seinen Ursprüngen und der Annahme verschiedener Bedeutungen das Potenzial für Verwirrung, unrealistische Erwartungen und die Kooptation für unterschiedliche Ziele.»

Im Laufe der Jahre wurde der Begriff «ESG» in der Tat oft synonym mit dem Begriff «Nachhaltigkeit» verwendet. In den meisten Fällen lässt sich eine solche Verwendung jedoch nicht rechtfertigen, selbst wenn wir uns auf die Umweltsäule beschränken, bei der die Definition wahrscheinlich am einfachsten zu ermitteln ist.

Mangelnde Klarheit des Mandats

Bis zum Jahr 2020 dominierten im Bereich der ESG-Investitionen auf dem Aktienmarkt Strategien, die auf einem Ausschlussprinzip basieren. Ein Beispiel für eine solche Strategie wäre ein diversifizierter Fonds, der in den breiten Markt investiert, aber absichtlich Unternehmen ausschliesst, die in bestimmten Branchen tätig sind, wie zum Beispiel Tabak- oder alkoholische Getränkehersteller und so weiter.

Man kann davon ausgehen, dass die Anleger bei diesen Produkten klar definierte Präferenzen haben und die Vermögensverwalter klare Mandate. Allerdings stellen diese Strategien nicht mehr den grössten Anteil des in ESG-Fonds investierten Kapitals.

Nachhaltigkeits-Profil widerspiegeln

Stattdessen wurden sie kürzlich von ESG-integrierenden Anlagestrategien überholt. Um ein Produkt zu konstruieren, das ESG-Erwägungen integriert, stützen sich die Vermögensverwalter in erster Linie auf die Umwelt-, Sozial- und Corporate-Governance-Ratings (ESG) der Unternehmen.

Diese Ratings werden von ESG-Rating-Agenturen erstellt, von denen die meisten Daten zu Hunderten von Variablen sammeln, auswerten und zu einer einzigen Zahl oder einem einzigen Buchstaben verdichten, der das Nachhaltigkeits-Profil des Unternehmens widerspiegeln soll.

Die auf ESG-Ratings basierenden Anlageprodukte werden dann vermarktet und an Kleinanleger verkauft, oft mit dem Versprechen einer besseren Finanz- und Nachhaltigkeitsleistung.

Was erfassen die meisten ESG-Ratings?

Der wichtigste und am häufigsten missverstandene Punkt, der dem Konzept der ESG-Ratings zugrunde liegt, ist die Art und Weise, in der die Variablen gemessen werden. Zur Veranschaulichung dieses Punktes sei auf die drei unterschiedlichen Konzepte der Wesentlichkeit verwiesen:

  1. Materialität nach aussen/Auswirkungen (zum Beispiel auf den Planeten),
  2. finanzielle Materialität und
  3. doppelte Materialität.

Bis heute ist die «finanzielle Materialität» das Konzept, das fast zwei Jahrzehnte lang den Bereich der nachhaltigen Investitionen dominiert hat. Im Extremfall erhalten Unternehmen ein gutes ESG-Rating, wenn sie ihre ESG-Risiken erfolgreich gemanagt haben (zum Beispiel Lobbyarbeit gegen künftige Klimaregelungen), die sich negativ auf ihr Endergebnis auswirken würden.

Meine jüngsten Untersuchungen deuten jedoch darauf hin, dass die meisten Anleger davon ausgehen, dass eine gute ESG-Bewertung bedeutet, dass das Unternehmen sein Umfeld gut behandelt (das heisst, dass die äussere Wesentlichkeit im Mittelpunkt steht).

Können ESG-Ratings die Welt verändern?

Aswath Damodaran zufolge «geht die ESG-Bewegung davon aus, dass es einen kollektiven Konsens darüber gibt, was gut ist, und dass man es messen kann. Aber gibt es das?» Das ESG-Konzept beruht im Wesentlichen auf der Annahme, dass das Wertesystem aller Anleger identisch ist.

Das ist jedoch heute nicht der Fall. Daher wäre es naiv zu glauben, dass ESG-Ratings die Welt verändern können, selbst wenn wir von all den Fehlern abstrahieren, die in der ESG-Messung stecken. Die Zukunft der ESG-Ratings wird davon abhängen, ob ein gemeinsames Verständnis darüber entsteht, was diese Ratings messen sollten und ob die gemessenen Aspekte auf eine Weise erfasst werden, die den neuesten wissenschaftlichen Entwicklungen entspricht.

Jetzt anmelden zum SFAA Event

Am 28. November 2023 bietet die Swiss Bond Commission der SFAA einen Event zu «Swiss Bond Index und ESG». Die Schuldneranalyse nach ökologischen, sozialen und unternehmensführungsbezogenen Kriterien (Environmental, Social und Governance, ESG) wird auch am schweizerischen Geld- und Kapitalmarkt zusehends wichtiger.

Die Swiss Bond Commission hat deshalb einen Spezialisten der Schweizer Börse SIX eingeladen, den im Jahr 2021 lancierten ESG Swiss Bond Index vorzustellen. Zudem hat sie einige führende ESG Analysten (MSCI ESG, Morningstar Sustainalytics und ISS ESG) gebeten, den Swiss Bond Index nach ESG Kriterien zu analysieren sowie – nach einer kurzen Beschreibung der Methodologie – die Ergebnisse «Top Down» und «Bottom-Up» am Beispiel einiger Schuldner (Pfandbriefzentrale, Givaudan und die Eidgenossenschaft) vorzustellen.

Möglichkeit zum direkten Austausch

Nach den vier Kurzpräsentationen (maximal 20 Minuten) wird ein «Apéro Riche» serviert – mit der Möglichkeit zum direkten Austausch mit den ESG Spezialisten. Anmeldungen nehmen wir gerne an via Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!.


Kornelia Fabisik ist Assistenzprofessorin für Finanzen an der Universität Bern. Sie forscht in den Bereichen empirische Unternehmensfinanzierung, Corporate Governance und nachhaltige Finanzen mit Schwerpunkt auf Umwelt-, Sozial- und Governance-Ratings (ESG).

Sie ist Research Affiliate am Centre for Economic Policy Research (CEPR) und eine der Empfängerinnen des Lamfalussy-Forschungsstipendiums 2021 der Europäischen Zentralbank (EZB). Ausserdem erhielt sie den «2022 Rising Star Award» des International Corporate Governance Network (ICGN).

Ihre Forschungsergebnisse wurden im Journal of Financial Economics veröffentlicht und auf Konferenzen wie der American Finance Association (AFA), der Western Finance Association (WFA), der European Finance Association (EFA), der SFS Cavalcade North America und vielen anderen vorgestellt.

Marianne Bonato studierte Wirtschaftswissenschaften mit Schwerpunkt Finanzwesen an der Universität Zürich und arbeitete anschliessend bei der Schweizerischen Nationalbank (SNB) in der Abteilung für Devisenanlagen. Nach langjähriger Managementtätigkeit bei verschiedenen Finanzinstituten als Teamleiterin, Koordinatorin und Projektmanagerin war sie Mitglied der Geschäftsleitung eines Beratungsunternehmens, wo sie für den Aufbau der Firma und der Marke mitverantwortlich war.

Seit 2016 ist sie Mitglied der Geschäftsleitung von AZEK/SFAA und verantwortlich für Marketing, Kommunikation und Vertrieb.


Seit mehr als 30 Jahren bildet AZEK Fachleute in den Bereichen Finanzanalyse & Asset Management, Wealth Management, Finanzmarktoperationen, Financial Data Science und ESG aus. Die Absolventen haben Zugang zu einem breiten Weiterbildungsangebot des Dachverbandes SFAA. Das gesamte Angebot finden Sie unter diesem Link.