Wolfsberg oder die Notwendigkeit eines «Adels im Bankwesen»

Am 8. Mai 2025 wird das UBS Seminar- und Konferenzzentrum Wolfsberg 50 Jahre alt. Viel ist über die wechselvolle Geschichte dieser Institution geschrieben worden, ebenso über die heutige Ausgestaltung. Weniger bekannt ist hingegen, wie und warum genau die heutige UBS zu diesem famosen Landgut kam. Exklusive Nachforschungen von finews.ch-Gründer und Autor Claude Baumann.

Im Frühjahr 1970 besichtigte die Generaldirektion der damaligen Schweizerischen Bankgesellschaft (SBG, heute UBS) ein Landgut oberhalb des Untersees, auf dem Seerücken bei Ermatingen im Kanton Thurgau. Noch nie zuvor wurde das Bankwesen dermassen radikal hinterfragt wie damals, was sogar die Schweiz als Ganzes in ihren Grundfesten erschütterte.

Spekulationen, hohe Verluste, Firmenkrisen, Skandale, Terroranschläge, Schwarzgeld-Transaktionen und feindliche Übernahmen sollten dem Jahrzehnt einen geradezu morbiden Charakter verleihen. Wie schwierig alles noch werden würde, ahnte die Gruppe leitender SBG-Leute nicht, die im Frühjahr 1970 durch das Landgut stapfte.

Sommerresidenz, Landwirtschaftsbetrieb und Fremdenpension

Wolfsberg-Dokumente von 1576 (Bilder: UBS)

Das Anwesen namens Wolfsberg hatte bereits eine ereignisreiche Geschichte hinter sich. Wolf Walter von Gryffenberg hatte es 1576 als Landwirtschaftsbetrieb errichtet. 1732 baute der Junker Johannes Zollikofer von Altenklingen das Hauptgebäude im Barockstil um und nutzte es als Sommerresidenz.

An der Wende zum 19. Jahrhundert liess der damalige Besitzer, Baron Jean Jacques von Högger, ein Gästehaus erstellen, worauf das Gut unter Charles Parquin – einem Bonapartisten, der dem Hof von Exkönigin Hortense auf dem benachbarten Schloss Arenenberg nahestand – zur ersten Fremdenpension im Kanton Thurgau wurde.

Mehrmals noch wechselte der Wolfsberg seine Besitzer und seine Ausgestaltung, wie einer aktuellen Ausstellung im Wolfsberg oder diesem Link zu entnehmen ist. Ein Geschäftsmann namens Paul Meyer-Schwertenbach war es, der das Anwesen 1938 erstand und dort bis zu seinem Tod 1966 residierte. Als er 1966 starb, verfiel das Anwesen.

Auf eigene Faust

Robert Holzach, Initiant des SBG-Wolfsbergs (Bild: Privatarchiv)

Dass die SBG den Wolfsberg von den Erben Meyer-Schwertenbachs erwerben konnte, ist Robert Holzach zu verdanken, damals Mitglied der Generaldirektion der SBG und de facto der oberste operative Leiter der Bank. Dessen Cousin, Paul Holzach, war ein Geschäftspartner Meyer-Schwertenbachs gewesen.

Es ist nicht bekannt, ob Holzach einen näheren Kontakt zu diesem Vetter hatte, doch ist anzunehmen, dass er mit seinem grossen Interesse an Familiengeschichte von der Verbindung zwischen Paul Holzach und Paul Meyer-Schwertenbach wusste – respektive, dass er den Wolfsberg schon lange kannte, bevor das Schlossgut in den 1970er-Jahren an die SBG überging.

Holzach setzte einiges aufs Spiel, zumal er den Wolfsberg bereits erworben hatte – auf eigene Faust und ohne das Plazet der Bank –, als er seine Direktionskollegen durch das Landgut führte.

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Ernst Mühlemann, langjähriger Wolfsberg-Leiter und Politiker (Bild: Keystone)

Er hatte die Visite geschickt aufgegleist und dafür seinen Militärkameraden aus dem Thurgauer Infanterieregiment 31, Ernst Mühlemann, aufgeboten. Dieser leitete damals das Lehrerseminar in Kreuzlingen. Holzach hielt grosse Stücke auf ihn, vor allem nachdem diese Ausbildungsstätte sowie die Klosterkirche in Kreuzlingen 1963 abgebrannt waren und Mühlemann den Wiederaufbau mit enormem persönlichem Einsatz an die Hand genommen hatte.

Nabel der Welt

Bei der Inspektion der SBG-Oberen auf dem Wolfsberg schilderte Mühlemann den Bodenseeraum so plausibel als Nabel der Welt, dass Holzach mit seinem nachgeschobenen Antrag «sur place», wie es im Jargon der SBG hiess, auf Anhieb durchkam. Bis heute werden die Worte von SBG-Präsident Alfred Schaefer nach der Präsentation kolportiert: «Messieurs, es ist zwar etwas teuer, aber ich glaube, cela vaut la peine. Gibt es hier auch etwas zu trinken?

Zu jener Zeit hatte die SBG ein Personalproblem. Zwischen 1960 und 1970 war die Belegschaft der Bank von knapp 4’000 Mitarbeitern auf fast 10’000 gestiegen. Davon war fast die Hälfte jünger als 25 Jahre. Angesichts dieser Entwicklung stellte sich erstens die Frage, wo sich weitere Beschäftigte rekrutieren liessen, und zweitens, wie dieses Personal auf die hohen Qualitätsansprüche der Bank «eingeimpft» werden konnte.

Edelmut, Vornehmheit, Stil- und Formgefühl

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Schloss Wolfsberg in Ermatingen im Kanton Thurgau (Bild: Privatarchiv)

Tatsächlich war es damals noch so, dass viele Führungskräfte der Bank keine akademische oder höhere Ausbildung besassen. Holzachs Vision war eine Kaderschmiede, in der die fähigsten Leute, nicht ohne militärischen Drill, zu universellen Bankangestellten ausgebildet werden sollten. Und seine Ansprüche waren nicht wirklich bescheiden; im Bankangestellten sah er mehr als nur einen gewöhnlichen Bürolisten.

«Ich glaube an die Notwendigkeit eines gewissen ‹Adels› im Bankwesen. Edelmut, Vornehmheit, Stil- und Formgefühl, Nobilität: Das sind offenbar ausnahmslos verstaubte, überholte, bestenfalls noch nostalgische Attribute in einer Zeit, welche die Selbstverwirklichung häufig in betonter Nonchalance oder Ungepflegtheit zu suchen scheint. Das völlige «Sichgehenlassen», sich salopp oder mindestens ‹lässig› über Bewährtes hinwegzusetzen, mag lustvoller, sicher anspruchsloser sein als die Einordnung und gelegentlich die Unterordnung unter Strukturen, die gestaltende Kraft entfaltet haben und nach wie vor entfalten.»

Sinn des Lebens

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Robert-Holzach-Park, seit Mai 2025 (Bild: finews.ch)

Holzachs Idee war nicht bloss die eines Ausbildungszentrums, sondern die einer «Denkstätte» (heute Think Tank) für Bankangestellte: «Der Bankier benötigt zur erfolgreichen Bewältigung seiner vielfältigen Aufgaben eine gefestigte Lebenshaltung. Um seine Aufgaben zu begreifen, muss er sich auch bemühen, den Sinn des Lebens zu begreifen, durch Denken und Nach-Denken Ordnung in das so komplexe Thema zu bringen.»

Am 21. Februar 1971, zu Beginn der Manöver des Feldarmeekorps 4, stürzte Ernst Mühlemann als Generalstabsmajor an Bord eines Helikopters nach einem Triebwerksausfall in dichtem Schneetreiben in einem Wald bei Rüti im Zürcher Oberland ab. Während Korpskommandant Adolf Hanslin sofort tot war, überlebten Mühlemann und der Pilot Hans Pulver.

Schwer verletzt wurden sie ins Zürcher Universitätsspital übergeführt. Später, als sich Mühlemann zur Rekonvaleszenz im Tessin befand, meldete sich Holzach bei ihm. Der Bankier erkundigte sich nach Mühlemanns Wohlergehen, kam dann aber rasch zur Sache: «Mit einem ‹zweiten Leben› kann man nicht einfallslos weitermachen.»

Holzach, noch nie ein Mensch überschwänglicher Sentimentalitäten, bot ihm kurzerhand die Leitung des Wolfsbergs an. Mühlemann sagte zu und wurde zu einem der engsten Vertrauten Holzachs.

Bankierskloster mit Bar

Vorher aber musste der Wolfsberg hergerichtet werden. Das Architektenpaar Rudolf und Esther Guyer erhielt den Auftrag, die Anlage umzubauen. Entlang einer Achse mit Wandelhalle und Empfangsfoyer entstanden Kursräume mit einer Aula, ein Schwimmbad mit Turnhalle und rund um einen Föhrenhof 120 kleine, spartanisch eingerichtete Einzelzimmer mit je 19 Quadratmetern Fläche.

Gemäss Holzach durfte der Wolfsberg keine Wohlfühloase werden, sondern sollte zweckmässig sein und den übergeordneten Ausbildungsansprüchen genügen, zu denen auch Bescheidenheit und Mass gehörten.

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Heutiges Gästezimmer auf dem Wolfsberg (Bild: finews.ch)

So galt der Wolfsberg im Volksmund bald als «Bankierskloster» – auch wenn nicht wenige SBG-Angestellte dort in der barähnlichen Remise manch feuchtfröhlichen Abend erlebt haben.

Die offizielle Eröffnung fand am 8. Mai 1975 statt. In einer Zeit, die bereits stark von den egalitären Ideologien der 1968er-Studenten- und Bürgerrechtsbewegung beeinflusst war, stellte Holzach in seiner Ansprache die ketzerische Frage: «Kann unsere Zeit auf eine Elite verzichten?»

Fulminantes Plädoyer für das tüchtige Individuum

Ausgehend von der Feststellung, dass vor dem Hintergrund der zunehmenden Nivellierung durch politisch linksgerichtete Kräfte über die Elite nicht in erster Linie geredet, sondern geschwiegen werde, stellte er ebendiese Elite als die wichtigste Institution dar für den Wohlstand und das Prosperieren einer Gesellschaft: «Das Hauptanliegen der Elite soll das Allgemeinwohl sein.»

Holzachs Rede war ein fulminantes Plädoyer für das tüchtige Individuum, das seine Aufgabe bewusst als Teil der Elite wahrnimmt. Und mit dem Wolfsberg wollte Holzach, zumindest was die Bankbranche anging, sozusagen eine Keimzelle für dieses Wirken schaffen.

Menschen unter Druck

Er sagte damals: «Zu allen Zeiten und auf allen Gebieten haben heraus- und hervorragende Leistungen einer Minderheit die Fortschritte für die Mehrheit langfristig möglich und zugänglich gemacht. Auf eine solche Hilfe der Elite könnte unsere Zeit nur verzichten, wenn sie eine weitere gesamtheitliche Fortschrittsentwicklung entweder nicht mehr braucht oder nicht mehr will oder wenn sie gleichwertige Hilfen anderweitig anbieten kann. Unterstellen wir einmal, dass unsere Gesellschaft einen weiteren Fortschritt, eine Fortentwicklung sowohl braucht als auch will, was erst recht für die nicht industrialisierten und für die weniger entwickelten Staaten zutrifft, dann reduziert sich das Problem auf die Frage nach einer alternativen Trägerschaft. Wer anstelle der Elite im Sinne unserer Vorstellungen könnte die nämliche Pionierfunktion ebenso gut oder besser wahrnehmen?»

Wer bei der SBG aufsteigen wollte, wurde im Wolfsberg gestählt. Dabei wurde nicht einfach gepaukt. Vielmehr wechselten sich Fach- und Führungsausbildung ab, immer verbunden mit der Absicht, die Kursteilnehmer mit gezielter Allgemeinbildung in Wirtschaft, Politik, Kultur und Sozialem zusätzlich zu fördern. Natürlich besass das Ganze einen gehörigen militärischen Charakter, und viele Übungen beruhten explizit auf der Tatsache, dass Menschen erst unter Druck ihre letzten Reserven aktivieren und dass sich so am besten feststellen lässt, ob jemand für eine Führungsfunktion geeignet ist.

Unzählige Persönlichkeiten

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Alexander Dubček (rechts), Leitfigur des Prager Frühlings, 1992 (Bild: Privatarchiv)

Neben dem Frontalunterricht fanden in diesen Seminaren auch Gruppendiskussionen (Brainstorming) über politische, kulturelle und soziale Themen statt. Während einer Kurswoche gab es zahlreiche realitätsbezogene Übungen, also Rollenspiele – etwa, wie sich ein Niederlassungsleiter zu verhalten hat, wenn vor seiner Filiale gegen die Bank demonstriert wird. Dabei stellte man solche Situationen mit Statisten so wirklichkeitsgetreu wie möglich nach. Beliebt waren auch Medientrainings, für das die SBG unzimperliche Boulevardjournalisten aufbot, die den Auftrag hatten, in fiktiven Interviews die Bankangestellten in die Enge zu treiben respektive in Erklärungsnot zu bringen.

Mühlemann gelang es zudem, den Wolfsberg über den Ausbildungsauftrag hinaus zu einem Begegnungszentrum von internationaler Ausstrahlung zu machen. Er organisierte Begegnungen mit Unternehmern, Politikern und Künstlern. Diese Dialoge sollten «einen Beitrag zur individuellen Emporbildung» liefern. Seiner Einladung folgten unzählige Persönlichkeiten wie Helmut Schmidt, Alexander Dubček, Michail Gorbatschow oder Franz Josef Strauss.

Um- und Ausbau

Die Wolfsberg-Verantwortlichen der ersten Stunde mussten sich in den frühen 1990er-Jahren von der damaligen SBG-Führung unter Robert Studer den Vorwurf gefallen lassen, das Ausbildungszentrum nicht dem veränderten Zeitgeschehen (Ende des Kalten Kriegs, Globalisierung, Amerikanisierung der Finanzwelt) angepasst zu haben. So kam es 1992 zur Pensionierung von Ernst Mühlemann. In der Folge evaluierten und überarbeiteten die Verantwortlichen das Konzept des Zentrums.

Zwischen 2005 und 2008 wurde es dann um- und ausgebaut. Dabei entstand auch ein neuer Unterkunftstrakt, der modernsten Komfortansprüchen gerecht wurde, so dass das asketische Element, auf das Holzach so viel Wert gelegt hatte, vollends verschwand.

International ausgerichtet

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Gesamte Anlage aus der Vogelperspektive (Bild: UBS)

Heute firmiert das Ausbildungszentrum ob Ermatingen als «UBS Center for Education and Dialogue» und ist eine Tochtergesellschaft des Konzerns. Vom einstigen «Bankierskloster» oder der «Zentralschule für das SBG-Kader» hat sich das Zentrum zu einer international ausgerichteten Institution gewandelt, die nun vor allem Anlässe für andere Unternehmen sowie für UBS-Kunden veranstaltet und im Vergleich zu früher einen wesentlich geringeren Anteil an bankinterner Ausbildung anbietet.

Die jährlich rund 30 Veranstaltungen des Wolfsberg Dialogue Program stellen die Kundinnen und Kunden von UBS in den Mittelpunkt, schaffen exklusive Möglichkeiten für Begegnungen und verbinden Menschen: Die drei thematischen Plattformen des Wolfsberg Dialogue Program – «Economics», «Politics» und «Passion» – sind dabei auf die globalen Megatrends unserer Zeit und strategische Themen von UBS ausgerichtet.

Die Veranstaltungen ermöglichen Begegnungen mit Expertinnen und Experten, Dialoge am Puls der Zeit sowie gewinnbringenden Austausch mit bedeutenden Persönlichkeiten – exklusiv auf Einladung.