Headhunter können sich vor Arbeit kaum retten: Die Finanzbranche hat sich von der Realwirtschaft entkoppelt, und Banker proben über Zoom den nächsten Karrieresprung. Das berichtet Stephan Surber, Senior Partner beim Kadervermittler Page Executive in der Schweiz.


Herr Surber, die Zahl der ausgeschriebenen Stellen am Finanzplatz hat einen neuen Höhepunkt erreicht: Die Stellenvermittlerin Michael Page misst für vergangenen August eine Zunahme des Job-Index von mehr als 6 Prozent und aufs Jahr besehen um fast 50 Prozent. Sie haben wohl alle Hände voll zu tun?

Das ist so. Letztes Jahr war es aber auf dem Stellenmarkt so ruhig wie seit der Finanzkrise nicht mehr. Finanzdienstleister haben jeglichen Personalausbau auf Eis gelegt. Was man allerdings nicht vergessen darf: in den letzten zehn Jahren hat der Schweizer Finanzsektor 10’000 Stellen verloren. Es werden also nicht x-neue Jobs geschaffen.

Eigentlich hätte man erwarten müssen, dass mit der Pandemie eine Abbauwelle kommt. Diese ist aber ausgeblieben. Wieso?

Die Finanzbranche hat sich hier von der Realwirtschaft entkoppelt. Zu verdanken ist dies nicht zuletzt der Börse, die sich nach dem zeitweiligen Einbruch vom Frühling 2020 stark entwickelt hat. Die Marktperformance hat auch die verwalteten Vermögen der Banken vermehrt und damit deren Einnahmen. Die Gesundheitskrise hat das Geschäftsmodell der Banken kaum tangiert.

Im aktuellen Bankenbarometer hält die Branche fest, in den letzten Monaten 440 Stellen geschaffen zu haben. Gleichzeitig warnen die Banken davor, zu viel in diese Zahl hineinzulesen. Ist der nächste Rückschlag nicht fern?

Die Entwicklung der letzten Monate ist noch nicht nachhaltig. Gerade bei den grossen Instituten sehen wir aber nochmals einen Digitalisierungsschub im Backoffice: Arbeiten, die zuletzt ins Ausland verlagert wurden, werden nun automatisiert.

«Die Talent-attraction-Abteilungen der grossen Banken schlafen nicht»

Die Führung und Entwicklung dieser Prozesse geschieht dabei zunehmend von der Schweiz aus. Die manuellen Headcounts im Ausland braucht es weniger. Dazu werden nun neue Stellen geschaffen, zumal in der IT.

Das Backoffice war in den letzten Jahren stets Ziel von Sparrunden. Das verändert sich jetzt?

Mit dem Rückwärtigen Dienst von früher ist das nicht mehr vergleichbar. Die Arbeiten sind sehr Technologie-lastig geworden. Gefragt sind werden hochausgebildete Kräfte mit einem Technik- oder IT-Hintergrund. Als Reaktion auf die neuesten Skandale und Debakel im Banking suchen auch die Abteilungen für Compliance und Risikomanagement nach Experten.

Die Digitalisierung ist doch nicht befürchtete Job-Killer?

Die Automatisierung gerade im Backoffice ist noch längst nicht abgeschlossen. Die Banken drehen auch weiter an der Kostenschraube. Diesen Trend wird nicht so schnell nachlassen. Für gut ausgebildete Fachleute im Bereich Technologie sehen wir aber auch längerfristig eine Nachfrage.

Die Finanzbranche konkurrenziert bei diesen Kräften mir den grossen Teich-Firmen, Fintech und diversen anderen Sektoren. Kommt sie überhaupt noch an Talente?

Das ist eine Challenge, gerade bei den jüngeren Jahrgängen. Umgekehrt muss man sehen, dass die Banken schon lange zu den grössten Arbeitgebern im Technologie-Bereich zählen. Die Talent-attraction-Abteilungen der Institute schlafen auch nicht.

«Beförderungen zum Managing Director sind bei den Grossbanken viel schwieriger geworden»

Sie versuchen, die Profile modern aufzustellen und auf die Frage nach Sinn und Wert der Arbeit im Bankfach Antworten zu finden.

Früher hat die Branche einfach die höchsten Löhne bezahlt.

Die Gehälter in der Finanzbranche stagnieren zumeist oder sind rückläufig. Für Top-Profile zahlen die grossen Tech-Firmen sowie die Pharmabranche hierzulande bisweilen sogar mehr. Mit dem Gehalt zu locken, das funktioniert heute nicht mehr so wie zuvor.

Und die Aussicht auf eine schnelle Karriere?

Wir sehen, dass die Banken derzeit eher von unten her aufbauen. Im oberen Kader wird es hingegen eng. Hier werden eher Posten weggespart oder keine neuen mehr geschaffen.

Managing Director wird heute keine und keiner mehr?

Früher war dieser Karriereweg relativ greifbar, vorausgesetzt, man war gut ausgebildet und brachte die Leistung. Das reicht heute leider nicht mehr. Es gibt genügend Seniors am oberen Ende des Unternehmens, und häufig entscheidet die interne Politik, wer noch in diesen erlauchten Kreis aufrückt. Beförderungen vom Executive Director zum Managing Director sind gerade bei den beiden Grossbanken in den letzten fünf Jahren viel schwieriger geworden.

Das muss für ehrgeizige Talente frustrierend sein.

Es ist tatsächlich zu beobachten, dass solche Kräfte nicht mehr vorwärts kommen. Damit gehen die Banken das Risiko ein, Talente zu verlieren.

Wir haben bisher noch nicht über die Kundenfront gesprochen. Wird dort weiterhin eingestellt?

Kundenberater, zumal im Private Banking, sind in jedem Zyklus gefragt. Auch die Investmentbereiche, Asset Management sowie Research und Analyse, suchen aktuel nach Personal.

«Es ist sehr komfortabel, sich über Zoom zu einem ersten Gespräch zu treffen»

Gerade Experten der Nachhaltigen Finanz (ESG) sowie für Privatmarkt-Anlagen sind weiterhin sehr gesucht.

Für Stellensuchende hat sich mit der Video-Konferenz während der Krise ein neuer Kanal eröffnet – Anstellungen erfolgten oftmals, ohne dass man sich je von Angesicht zu Angesicht getroffen hat. Wie beeinflusst dies heute die Jobsuche?

Sie ist sicher einfacher geworden. Es ist sehr komfortabel, sich über Zoom zu einem ersten Gespräch mit einem potenziellen Arbeitgeber zu treffen. Diese Möglichkeit wird nun weiterhin fleissig genutzt, wie wir beobachten. Aus Sicht der Arbeitgeber lässt sich mit Video-Konferenzen rasch herausfiltern, wer auf ein Profil passt   

Die Headhunter eilen nun von Zoom zu Zoom?

Seit dem Sommer treffen wir Kunden wieder vermehrt persönlich. Aber der neue Kanal hat unsere Arbeit sicher dynamischer gemacht. Es sind viel mehr Kandidaten leichter verfügbar. Der Corona-Lockdown hat zudem das tägliche Hamsterrad unterbrochen, und manch einer hat sich in dieser Zeit vertieft Gedanken zu seiner Karriere gemacht.


Stephan Surber ist Senior Partner bei der Page Gruppe und leitet die Kadervermittlung für die Finanzbranche in der Schweiz. Seine ersten Karriereschritte hatte er im Jahr 2000 bei der Axa-Vorgängerfirma Winterthur Versicherungen unternommen. Nach fünf Jahren im Asset Management wechselte er zu Page, wo er den Bereich Banking & Financial Services in der Schweiz für Page Executive aufbaute. Heute ist er für diesen Bereich in ganz Europa zuständig.