Auch Bankangestellte sind oft unterwegs. Beschleunigen sie damit die Klimakrise, und sind die entsprechenden Reiseanbieter dafür alleine verantwortlich? Natürlich nicht. Deshalb wäre etwas mehr Differenzierung im öffentlichen Diskurs gefragt, findet Jean-Claude Raemy.

Von Jean-Claude Raemy, Geschäftsleiter der Firma Travelnews

Neulich im Zug: Gegenüber von mir diskutieren zwei Studenten. Der Mann, so Mitte 20, holt zu einem gewaltigen Rundumschlag gegen die Kreuzfahrten aus. Dreckschleudern, die mehr Abgase ausstossen als alle Autos der Welt miteinander, sämtlicher Abfall wird einfach ins Meer gespült, und dann diese Ausbeutung der Arbeiter an Bord! Die Frau, Mitte 20, schüttelt verständnisvoll den Kopf und erzählt im nächsten Atemzug von ihrer bevorstehenden Reise nach Australien. «Geil», entfährt es da dem Kollegen.

Dieser Wortwechsel ist irgendwie bezeichnend: Da wird einfach losgezetert über ganze Branchen, mit irgendwo aufgeschnappten Halbwahrheiten. Niemand behauptet, dass die Abgase vieler Kreuzfahrtschiffe nicht schädlich sind. Aber deren Bemühungen in Sachen Umweltschutz übersteigen das Bemühen anderer Branchen um ein Vielfaches. Und dass die vergleichsweise kleine globale Kreuzfahrtschiff-Flotte nur einen Bruchteil dessen ausstösst, was die Cargoschiff-Flotten so ausstossen, scheint niemanden zu interessieren. Jedenfalls habe ich noch niemanden gehört, der verlangt hat, dass man endlich die Containerschifffahrt boykottiert.

Fehlgeleitete Initiativen

Es ist viel einfacher, auf dem rumzuhacken, was direkt erlebbar (in den meisten Fällen aber noch nicht mal erlebt wurde) ist und Gegenstand von zahllosen Diskussionen und Posts ist, als über wenig dokumentiertes wie eben Cargo-Schiffahrt.

Und dann gibt es noch gut gemeinte, letztlich aber fehlgeleitete Initiativen, die dem Tourismus schaden: Dass das Sultanat Brunei die Scharia-Gesetze einführt und damit die Steinigung von Homosexuellen erlaubt, ist widerwärtig, mittelalterlich und mit nichts zu rechtfertigen. Dass jetzt aber Persönlichkeiten wie George Clooney oder Ellen DeGeneres (und viele Branchenexponenten) dazu aufrufen, sämtliche Hotels zu boykottieren, die der Brunei Investment Agency des Sultanats gehören – also die Hotels der Dorchester Collection in London, Paris, Rom, Mailand und Los Angeles – geht doch am Ziel vorbei.

Bye Bye Brunei

Gestraft werden in erster Linie die Mitarbeitenden dieser Hotels, also Tourismusangestellte, die weit weg von Brunei sind und dessen Werte in den allermeisten Fällen auch nicht teilen. Die Dorchester Collection hat sich inzwischen öffentlich für Vielfalt und Respekt eingesetzt – ob das Doppelmoral ist oder Herausforderung des eigenen Inhabers, ist eigentlich irrelevant. Den schwerreichen, seit 51 Jahren regierenden Sultan von Brunei namens Hassanal Bolkiah werden die Boykottaufrufe sowieso nicht interessieren.

Statt auf ein paar Hotels einzudreschen oder «Bye Bye Brunei» zu skandieren – wie viele westliche Personen reisen pro Jahr schon dorthin? – wäre es doch konsequenter, wenn Grossbritannien dem Sultan den Ritterschlag oder Deutschland das 1998 verliehene Bundesverdienstkreuz aberkennen würde. Überdies kommt der Reichtum von Brunei nicht von neun Luxushotels, sondern vom Öl. Der einzige Weg, Brunei wirklich zu treffen, wäre also, uns endlich vom Öl loszusagen. Davon sind aber westliche Gesellschaften immer noch meilenweit entfernt.

Landschaftsbild mit Topmodel

Womit man wieder beim Tourismus ist. Das Kapazitätswachstum im Verkehr mag aktuell die Einsparungen bei den Ausstössen, erzielt durch vermehrtes Setzen auf hochmoderne Antriebssysteme und LNG- oder Biotreibstoffe, komplett ausradieren. Doch die Branche zeigt klar, dass sie gewillt ist, neue Wege zu gehen, um der Umwelt mehr Rechnung zu tragen. Diese Message dürfte man ruhig etwas lauter in die Welt tragen.

Inzwischen häufen sich ja die Prognosen, wonach der Tourismus demnächst in eine Rezession fallen könnte. Steigende Preise, schwächelnde Volkswirtschaften, der globale «Shift» der ökonomischen Kraft Richtung Asien, ja sogar die Abkehr von Instagram weg vom kuratierten «Landschaftsbild mit Topmodel» hin zu einer realen Präsentation des Lebens: All dies könnte das in den letzten Jahren fast ungebremste Wachstum der Reisetätigkeit zumindest im Westen etwas eindämmen.

Mit gutem Beispiel vorangehen

Ich bin überzeugt, dass jene Reiseunternehmen, welche sich offensiv und aktiv in die Umwelt-Thematiken einbringen und mit gutem Beispiel vorangehen, sich bei einem solchen Szenario besser halten werden.


Jean-Claude Raemy stiess Anfang 2017 als Redaktor und Mitglied der Geschäftsleitung zu travelnews.ch. Nach 14 Jahren bei der Fachzeitung «Travel Inside» wechselte er 2014 zu Kuoni Reisen, wo er als Senior Product Manager die Abteilung USA/Kanada/Ozeanien leitete. Infolge der internen Reorganisation Ende 2016 bei Kuoni ausgeschieden, zog es ihn zurück in die Medienwelt. Inzwischen ist Raemy Geschäftsleiter von travelnews.ch.