Jedes Schwellenland reagiert auf Krieg und Krise. Deshalb muss auch jeder Markt gesondert bewertet werden, erklärt Claudia Calich in einem Interview. Die Spezialistin für Schwellenländeranleihen stiess 2013 zu M&G, verfügt heute über mehr als 20 Jahre Erfahrung und verwaltet rund 2,7 Milliarden Franken im M&G (Lux) Emerging Markets Bond Fund.


Frau Calich, wie hat die russische Invasion in die Ukraine die Situation der Schwellenländer verändert?

Der Krieg hat die globalen Inflationsprobleme durch höhere Lebensmittel- und Energiepreise verschärft. Dabei reagierten die Volkswirtschaften unterschiedlich: Länder, welche Öl und Gas exportieren, haben besser abgeschnitten und müssen dank reichlich vorhandener Petrodollars weniger Anleihen ausgeben.

Am schwächeren Ende des Spektrums stehen dagegen Staaten, die Rohstoffe importieren und die zu kämpfen haben, wenn Energie- und Lebensmittelpreise in die Höhe schnellen. Diese Länder stufen ihre Wachstumsprognosen für 2022 zurück und erleben gleichzeitig einen starken Anstieg der Inflation.

Am stärksten gefährdet sind jedoch Staaten im High-Yield-Segment, die auf offene Märkte zur Refinanzierung fälliger Anleihen gesetzt haben. Sri Lanka ist ein solches Beispiel. Die Schuldenprobleme des Landes haben sich über die letzten fünf Jahren verschärft.

Weil es keine Devisenreserven mehr gab, konnten im Mai 2022 die Eurobond-Anleihen nicht mehr bedient werden.

Wenn, wie jetzt, die Zinsen in den USA steigen, nehmen die Finanzierungskosten für diese Länder zu. Wie können die Schwellenmärkte ihr Finanzierungsproblem lösen?

Wir rechnen zwar mit relativ vielen Ausfällen, aber die meisten dürften sich auf Asien konzentrieren, insbesondere auf den nach wie vor unter grossem Druck stehenden chinesischen Immobiliensektor, und auf Osteuropa. Davon abgesehen erwarten wir niedrige Ausfallraten, weil die Fundamentaldaten grundsätzlich immer noch stark sind und der Verschuldungsgrad nach der Pandemie so niedrig ist wie seit vielen Jahren nicht mehr.

Glücklicherweise haben die meisten Schwellenländer, die Geld im High-Yield-Markt aufnehmen, keine grossen Mengen an Eurobonds, die in diesem oder im nächsten Jahr fällig werden. Staaten, die aktuell ihren Refinanzierungsbedarf decken müssen, können sich um Konsortialkredite bemühen oder ihre Devisenreserven anzapfen.

Einige müssen möglicherweise sogar auf die Hilfe des IWF, multilateraler Banken oder bilateraler Partner zurückgreifen – auch wenn diese Unterstützung in der Regel nur dann gewährt wird, wenn Reformen geplant sind und die Schuldenbestände als tragfähig erachtet werden.

Schwellenmärkte gelten als risikoreicher für Portfolios. Wo sehen Sie die Chancen?

Wir glauben, dass in verschiedenen Bereichen gerade Schwellenländeranleihen aktuell historisch attraktiv sind. Das liegt auch an dem starken Abfall in der Wertentwicklung, den wir in diesem Jahr gesehen haben. Schneller als in den Industrieländern haben viele Zentralbanken dieser Staaten die Zinsen seit 2021 massiv angehoben.

Damit gab es für Anleger vergleichsweise attraktive Renditen – nominal und effektiv. Die anhaltende Stärke des US-Dollars sorgt dafür, dass die Währungen der Schwellenländer weiterhin attraktiv bewertet sind.

Wie steuern Sie Ihren Fonds durch diese schwierigen Zeiten?

Wir sind flexibel und versuchen, eine möglichst hohe Diversifizierung zu erreichen. Derzeit bevorzugen wir hochverzinsliche Staatsanleihen in Hartwährung, da die Bewertungen dort im historischen Vergleich immer noch sehr attraktiv sind.

Die Renditenaufschläge für diese Anlageklasse sind so hoch wie seit der Covid-Krise oder der Finanzkrise nicht mehr, daher müssen wir selektiv bleiben. Im High-Yield-Bereich kann man bei einer Reihe von Emittenten davon ausgehen, dass ihnen eine Umstrukturierung bevorsteht.

Sie werden bereits auf oder unter dem historischen Sanierungswert gehandelt, so dass das Abwärtsrisiko unserer Meinung nach derzeit eher begrenzt sein dürfte. Investment-Grade-Emittenten sehen wir als weniger attraktiv an, da die Renditenaufschläge fast wieder Vorkrisenniveau erreicht haben, auch wenn einige Länder, insbesondere in der Golfregion, von den hohen Ölpreisen profitieren.