Am liebsten hätte Franco Polloni eine Nonstop-Zugstrecke zwischen Zürich und Lugano. Denn für ihn ist die Limmatstadt sein zweites Zuhause und ein Finanzplatz mit einer enormen Dynamik, wie er im Interview mit finews.ch erklärt. Der Schweiz-Chef von EFG International sagt auch: «Wenn wir bestimmte Kundengruppen nicht mehr bedienen, werden andere Finanzzentren in die Bresche springen.»  


Herr Polloni, wie kann EFG International im Schweizer Markt noch wachsen?

Viele Leute wissen das nicht. Aber wir hatten insgesamt schon immer einen grossen Stamm an Schweizer Kundinnen und Kunden. Das ist unser wichtigstes Segment, und da können wir weiterwachsen. Hinzu kommt die internationale Klientel, die hierzulande ein Konto bei uns hat. Auch im Geschäft mit unabhängigen Vermögensverwaltern sehen wir Potenzial.

Zürich hat in den vergangenen Jahren enorm an Dynamik gewonnen. Viele Kundinnen und Kunden, die früher nach Genf gingen, sind jetzt hier, zum Beispiel aus dem Nahen Osten oder aus den Ländern Zentral- und Osteuropas. Meines Erachtens wird die Limmatstadt immer mehr zum Dreh- und Angelpunkt für die Klientel aus den arabischen Staaten. Ein Vorteil ist zudem, dass wir bei der Segmentierung flexibler sind.

Was meinen Sie damit?

Unsere Kundenberaterinnen und -berater müssen sich nicht auf eine Kundengruppe oder einen Markt beschränken. Natürlich hat jeder oder jede seinen Heimmarkt, aber wenn jemand neben israelischen auch noch libanesische Kunden betreuen will, ist das möglich. Oder wenn jemand Schweizer Kunden hat, kann er durchaus auch noch «Non-domiciled Residents» bedienen.

«Ich gebe meinen Leuten immer drei Prioritäten mit auf den Weg»

Unsere Plattform gibt unseren Kundenberatern die Möglichkeit, ihre Beziehungsnetz nicht nur zu pflegen, sondern auch weiter zu entfalten.

Inwiefern?

Wir sind eine Organisation mit einer sehr flachen Hierarchie. Es gibt keine «Layers» mit reinen Managementfunktionen. Der Kundenberater berichtet an den Niederlassungsleiter, dieser an den Regionalverantwortlichen und zuoberst ist bloss noch der CEO. Mehr nicht. Zudem haben unsere Kundenberater eine gewisse Flexibilität bei der Preisgestaltung.

Flache Hierarchien in Ehren. Wie behalten Sie die Kontrolle über Ihre Leute?

Ich gebe meinen Leuten immer drei Prioritäten mit auf den Weg: Reputation, Kundenservice und Performance. Reputation ist das Wichtigste.

Was meinen Sie damit? Haben Sie von den Turbulenzen bei der Credit Suisse profitiert?

Wir haben profitiert, weil uns die Kunden heute als Alternative zu den Grossbanken sehen. Manche Kundinnen und Kunden transferieren nun den Grossteil ihres Vermögens zu uns.

Das zweite Stichwort, das Sie genannt haben, war Kundenservice. Das nehmen alle Banken für sich in Anspruch.

Ja, aber ich bin überzeugt, dass wir da besser sind als andere, weil wir erfahrene Kundenberaterinnen und -berater beschäftigen. Es sind alles Leute mit langer Erfahrung, die zum Teil schon mehrere Börsenkrisen selbst erlebt haben.

«Als ich 2017 angefangen habe, gab es keine Warteschlangen vor dem Haus»

Ausserdem haben alle unsere Kundenberaterinnen und -berater internationale Erfahrung. Vor diesem Hintergrund hat die Bank in den vergangenen Jahren enorm an Visibilität gewonnen.

Wie schwierig ist es heute, Talente zu finden?

Ich kann Ihnen sagen, als ich 2017 angefangen habe, gab es keine Warteschlangen vor dem Haus. Doch heute, und das mag vielleicht etwas arrogant klingen, sind wir sehr wählerisch. Die Bank hat einen grossen Wandel durchgemacht. Heute sieht die Branche, dass wir ein wichtiger «Player» sind. Das ist enorm wichtig.

Suchen Sie weiteres Personal?

Ja, wir suchen weiter. Und wir bieten als Bank eine Plattform, mit der sich niemand verstecken muss. Wir bieten Hypothekarkredite, Lombardkredite und Finanzberatung. Kurzum, wir sind für unsere Schweizer Klientel da.

Eine Akquisition in der Schweiz, wäre das denkbar?

Unser CEO, Giorgio Pradelli, sagt: «Wir sind Käufer.» Das heisst, wir schauen uns den Markt genau an.

Und?

Der Konsolidierungsprozess wird erst richtig in Gang kommen, wenn die Börse über längere Zeit rückläufig ist. Aber wir schauen uns laufend um. Wir führen informelle Gespräche. Tatsache ist aber auch, alle sprechen mit allen. Es braucht noch Zeit. Die grosse Konsolidierung wird nicht morgen stattfinden.

Wie haben Sie die Sanktionen gegenüber den russischen Kunden umgesetzt?

Die russische Klientel macht bei uns keinen bedeutenden Anteil aus. Die entsprechenden Vermögen belaufen sich auf eine einstellige Prozentzahl unserer totalen Assets under Management (AuM) von aktuell 167 Milliarden Franken (per Ende März 2022). Und von Russen mit Wohnsitz in Russland akzeptieren wir kein Geschäft mehr. In diesem Sinne bin ich froh, dass EFG International ein breit diversifiziertes Portfolio an Kunden hat.

«Für mich ist Datenmanagement das A und das O im Wealth Management»

Natürlich war es zu Beginn der Sanktionen für alle Banken aufwändig, die Kundenbeziehungen zu sichten. Aber wir haben eine sehr erfahrene Abteilung, die das schon früh vorbereitet hat und genau weiss, was zu tun ist. Wir setzen die Sanktionen weltweit um, weil wir hierzulande eine Konsolidierungspflicht haben.

Grundsätzlich waren die Schweizer Banken schon immer sehr vorsichtig im Umgang mit russischen Kunden. Wir dürfen nicht vergessen, dass die Schweiz eine lange Tradition in der Übernahme von ausländischen Sanktionen hat, seien es EU- oder US-Sanktionen. Wir können es uns auch nicht erlauben, abseits zu stehen, weil uns sonst der Zugang zum US-Dollar verwehrt bleibt. Dessen waren sich auch die Kundinnen und Kunden immer bewusst.

Für Russinnen und Russen, die einen russischen Pass besitzen, sonst aber nichts mit Russland oder dem Krieg zu tun haben, ist internationales Banking sehr schwierig geworden. Dieser Krieg ist für alle Betroffenen eine Tragödie.

Die Sanktionierung von Bankkunden in der Schweiz hat weltweit zu einer enormen Verunsicherung geführt. Denken Sie, dass dies dem Finanzplatz langfristig zusetzen wird?

Das ist die Konsequenz. Wenn wir bestimmte Kundengruppen nicht mehr bedienen, werden andere Finanzplätze in die Bresche springen – Dubai, Singapur. Und aufgrund unserer Konsolidierungspflicht nach Schweizer Recht können wir an solchen Finanzplätzen auch nicht mit anderen Instituten gleichziehen.

Was sind jetzt Ihre Prioritäten?

In diesen schwierigen Zeiten müssen wir nah an den Kunden sein. Die Volatilität an den Märkten ist für alle sehr anspruchsvoll. Das hat für mich und meine Leute nun die oberste Priorität.

Was heisst nah am Kunden zu sein?

Ich bin ein grosser Verfechter von Daten. Für mich ist Datenmanagement das A und das O im Wealth Management. Unsere Kundenberaterinnen und Kundenberater haben je rund 100 Kunden, und ich sage jeweils: «Jede und jeder von Euch muss jeden Tag die Liste der Kundinnen und Kunden durchgehen und schauen, wie er jede und jeden einzelnen optimal betreuen kann. Darum ist die Auswertung der Interaktionen zwischen unseren Beratern und ihren Kunden wichtig und erklärt auch unsere gute Performance in allen Regionen.

«In unserem Schweizer Markt ist das Tessiner Geschäft heute sehr profitabel»

Zweite Priorität hat die weitere Akquisition von Kundenberaterinnen und -beratern. Da sind wir derzeit sehr aktiv. Die Leute suchen Sicherheit und einen Arbeitgeber mit einer klaren Vision. Beides können wir bieten.

Ist EFG International im Tessin eigentlich profitabel?

Ja.

Wie setzt sich die Klientel im Tessin zusammen?

Mit der Akquisition von BSI im Jahr 2017 haben wir auch die Kundinnen und Kunden der früheren Banca del Gottardo übernommen, die zur BSI gehörte. Das waren mehrheitlich schweizerische und internationale Kunden.

Das hat bis heute dazu geführt, dass wir im Tessin mehrheitlich eine entsprechende Klientel haben, und nicht wie vermutet bloss italienische Kundinnen und Kunden. In unserem Schweizer Markt ist das Tessiner Geschäft heute sehr profitabel.

Wie erklären Sie sich das?

Während der BSI-Integration haben wir sehr gelitten, weil EFG International im Tessin damals noch als eine neue Bank galt. Gleichzeitig war da noch die Reputationsfrage der BSI nach ihren Verwicklungen in den 1MDB- Fall in Malaysia. Trotzdem haben wir den Turnaround geschafft und die Leute nehmen uns in der Region auch als Tessiner Bank wieder wahr. Sie haben ein grosses Vertrauen in uns und wir geniessen einen guten Ruf.

«Mein Vater sagte: Bist Du wahnsinnig, im Tessin macht niemand weiter»

Der Standort in Lugano ist heute der grösste von EFG weltweit und erbringt Dienstleistungen für die gesamte Gruppe. Hier arbeiten mehr als 500 Personen. Wir sind die Einzigen, die sämtliche Geschäftssparten vor Ort haben, also Private Banking, Capital Markets, Dienstleistungen für unabhängige Vermögensverwalter, HR, Risk-Management. Insofern sind wir die einzige internationale Bank mit einer so starken lokalen Präsenz im Tessin.

Bauen die beiden Schweizer Grossbanken im Tessin tendenziell eher ab?

Ob sie das tun, kann ich nicht sagen. Aber ich habe den Eindruck, dass sie viele wichtige Funktionen in die Deutschschweiz verlagert haben haben.

Wieviel Geld verwalten Sie im Tessin?

In der Region Schweiz und Italien verwalten wir rund 46 Milliarden Franken. Nach Zürich und Genf ist das Tessin der drittgrösste Private Banking Standort in der Schweiz. Zahlen zu den einzelnen Standorten legen wir jedoch nicht offen. Mit unserem Geschäft mit unabhängigen Vermögensverwaltern im Tessin sind wir Marktführer. Wir sind sehr stark im Tessin, was wenig bekannt ist.

Was macht Ihren Beruf für Sie so spannend?

Führen bedeutet für mich, die eigenen Leute zum Erfolg zu bringen.

Das klingt nach militärischer Schulung.

Ich war Offizier der Schweizer Armee. Ich erinnere mich, nach der ersten Woche in der Rekrutenschule bin ich zu meinem Vater gegangen und habe ihm gesagt: «Ich möchte weitermachen.» Mein Vater war Korporal. Er sagte: «Bist Du wahnsinnig, im Tessin macht niemand weiter.»

«Das Tessin ist der Kanton zwischen den beiden Weltstädten Zürich und Mailand»

Ich habe es dann trotzdem getan, weil ich Verantwortung übernehmen wollte. Das liegt in meinem Naturell. So habe ich viel gelernt, auch aus all den Fehlern, die ich gemacht habe. Ich habe gelernt, Menschen zu führen und zu motivieren, die nicht freiwillig in der Armee sind. Das ist eine grosse Herausforderung.

Insofern ist die Führungsschule der Schweizer Armee die beste der Welt. Das alles kommt mir in meinem Beruf zugute.

Wären Sie lieber Deutschschweizer?

Nein, aber Zürich ist für mich wie ein zweites Zuhause. Ich wohne im Malcantone, doch ich habe in Zürich studiert und auch noch Kollegen hier. Insofern ist mir die Deutschschweizer Kultur sehr vertraut.

Mittlerweile liegen Zürich und Lugano auch sehr nah beieinander. Das Tessin ist der Kanton zwischen den beiden Weltstädten Zürich und Mailand. Für mich persönlich wäre es noch besser, gäbe es eine Bahnverbindung Zürich-Lugano ohne Halt (lacht).


Franco Polloni leitet seit Mai 2017 Den Markt Schweiz und die Region Italien bei der Schweizer Privatbank EFG International. Zuvor arbeitete er in verschiedenen Führungsfunktionen bei der Banca del Gottardo, der Banca della Svizzera Italiana (BSI), die 2016 von EFG International übernommen wurde, sowie bei der Banca del Ceresio in Lugano. Seine Berufskarriere begann er 1993 in der Wirtschaftsprüfung und Steuerberatung bei der damaligen ATAG Ernst & Young in Zürich. Später wechselte er ins Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA), wo er für den damaligen Bundesrat Flavio Cotti arbeitete. Danach wechselte er zu STG-Coopers & Lybrand (später PwC) in Lugano. Von dort stiess er dann 2001 ins Bankwesen. Er studierte Jurisprudenz an der Universität Neuenburg sowie Wirtschaftswissenschaften an der Universität Zürich. Darüber hinaus erwarb er das eidgenössische Steuerberaterdiplom.

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