Die demografischen Veränderungen erfordern ein neues wirtschaftliches Denken. Dies sollten Investoren bei ihren Entscheidungen vermehrt berücksichtigen, schreibt Anne Richards, Chefin von M&G.

Von Anne Richards, CEO M&G Investments, London

An den Kapitalmärkten war in den vergangenen zwei Monaten ein deutlicher Stimmungswandel festzustellen: Die Sorgen über eine langfristige Stagnation und Deflation liessen nach, und Anleger wandten sich wieder risikoreichen Anlagen zu.

Viele Wirtschaftsexperten haben ihre Schätzungen des globalen Wirtschaftswachstums nach oben korrigiert. Dies vor allem für die USA, wo im Zuge der Einlösung des Wahlversprechens von Präsident Donald Trump mit einer Lockerung der geldpolitischen Zügel gerechnet wird.

«Demografische Entwicklungen haben einen grossen Einfluss auf uns alle»

Neben der kurzfristigen Dynamik in Volkswirtschaften wie den USA und Grossbritannien mit niedriger Arbeitslosigkeit und robustem Konsum gilt es, die langfristigen Entwicklungen im Auge zu behalten.

Eine solche ist die Verlagerung des Schwerpunkts der Wirtschaftspolitik angesichts des demografischen Wandels. Im Gegensatz zu wirtschaftlichen Variablen sind demografische Entwicklungen vorhersehbar und haben einen grossen Einfluss auf uns alle.

Höchststand bei Anzahl Kinder überschritten

Die Weltwirtschaft hat jetzt einen entscheidenden Wendepunkt überschritten: Zum ersten Mal seit Beginn der geschichtlichen Aufzeichnungen ist die Anzahl der Kinder unter fünf Jahren nicht mehr grösser als die der Erwachsenen ab 65 Jahren. Im Hinblick auf die Anzahl der Kinder haben wir also den Höchststand überschritten.

Laut Schätzungen der Vereinten Nationen (Uno) wird die Alterung der Bevölkerung weltweit zunehmen, und bis 2050 werden über 15 Prozent der Menschen weltweiten über 65 Jahre alt sein.

«Bis 2050 werden die meisten G7-Länder ein ähnliches Profil haben wie Japan»

Wirtschaftsexperten weisen oft auf die Herausforderungen hin, mit denen Japan aufgrund seiner alternden Gesellschaft konfrontiert ist. Bis 2050 werden die meisten G7-Länder ebenso wie China, Brasilien und Russland ein ähnliches demografisches Profil haben wie Japan heute.

Das so genannte Langlebigkeitsrisiko – also das Risiko, dass die Menschen länger als erwartet leben – könnte einen enormen Druck auf die derzeitigen Vorsorgesysteme ausüben. Aus Analysen von Merrill Lynch/Bank of America geht hervor, dass die alterungsbedingten Ausgaben bereits 40 Prozent der Staatsausgaben in den Industrieländern ausmachen – in den USA sogar 55 Prozent.

Durch die steigenden Gesundheitskosten könnten 60 Prozent der Staatsanleihen der Industrieländer bis 2050 unterhalb von «Investment Grade» bewertet werden, falls entscheidende politische Massnahmen ausbleiben.

Wirtschaftlichen Erfolg überdenken

Um den Herausforderungen einer alternden Gesellschaft zu begegnen, müssen wir länger arbeiten und über politische Ansätze und Initiativen nachdenken, die den Menschen Anreize bieten, über das traditionelle Rentenalter hinaus zu arbeiten.

Wenn diese Probleme nicht angegangen werden, könnte die Erhöhung der Altersabhängigkeitsquotienten weitreichende Auswirkungen auf die öffentlichen Finanzen, auf die Produktivitätsraten und die Ungleichheit haben. Ausserdem müssen wir unsere Vorstellung von wirtschaftlichem Erfolg überdenken.

Alternde Bevölkerungen stellen einen riesigen Erfolg für die Wissenschaft dar, da medizinische Fortschritte die durchschnittliche Lebenserwartung um Jahrzehnte verlängert haben. Sie stellen aber auch eine grosse Herausforderung für die politisch Verantwortlichen dar.

«Die politische Agenda wird zunehmend von der Reform der Einwanderungspolitik bestimmt»

Das Wirtschaftsmodell muss an diesen demografischen Wandel angepasst werden. Das Bruttoinlandprodukt (BIP) wird von Politikern und Wirtschaftsexperten als Massstab verwendet, um den relativen Erfolg der Wirtschaftspolitik weltweit zu vergleichen. Die Verwendung des BIP als Massstab für den wirtschaftlichen Erfolg ist jedoch irreführend.

Wenn wir nach Japan blicken – eine Volkswirtschaft, die eine hohe öffentliche Schuldenquote, eine Reduzierung des Verschuldungsgrads bei den privaten Unternehmen und im Staatshaushalt, Deflationsdruck und eine alternde Bevölkerung verzeichnete –, lässt das BIP darauf schliessen, dass das Land wirtschaftlich gegenüber den anderen G7-Ländern im Rückstand ist.

Betrachtet man jedoch das BIP nach der Anzahl der Menschen im erwerbsfähigen Alter von 15 bis 64 Jahren, erzielt Japan seit 1990 die drittbeste Wirtschaftsleistung in den G7-Ländern. Daher ist die Wirtschaftsleistung Japans viel stärker als viele glauben.

Die japanische Wirtschaft verzeichnete keine Jahrzehnte ohne Wachstum, sondern stabile Preise, eine geringe Arbeitslosigkeit und niedrige Zinssätze. Für den japanischen Durchschnittsbürger hat sich der Lebensstandard nicht verschlechtert, sondern sogar verbessert.

Alternative Messgrössen gewinnen an Bedeutung

Die politische Agenda wird zunehmend von der Reform der Einwanderungspolitik bestimmt. Daher sollten die politisch Verantwortlichen anerkennen, dass das BIP im Grossen und Ganzen ein demografisches Profil widerspiegelt, bei dem immer mehr Arbeitskräfte ins Berufsleben einsteigen.

«China dürfte in den kommenden Jahren ein deutlich geringeres Wachstum verzeichnen»

Diese Arbeitskräfte produzieren, verdienen und konsumieren – falls alles nach Plan läuft – mehr als im Vorquartal. Da die Zahl der Erwerbstätigen aufgrund der Alterung zurückgeht, ist aber das Gegenteil der Fall. Das bedeutet jedoch nicht unbedingt, dass eine Volkswirtschaft eine unterdurchschnittliche Leistung erzielt, wenn das Trendwachstum aufgrund einer geringeren Anzahl von Erwerbstätigen sinkt.

Die sich ändernde demografische Entwicklung, die in den Industrieländern und einigen Schwellenländern derzeit zu beobachten ist, wird sich auf das globale BIP zunehmend negativ auswirken. Insbesondere China, das nach der Krise ein globaler Wachstumsmotor war, dürfte in den kommenden Jahren im Vergleich zu den historischen Wachstumsraten ein deutlich geringeres Wachstum verzeichnen.

Künftig wird es für die politisch Verantwortlichen wichtig sein, bei der Messung des wirtschaftlichen Erfolgs nicht nur das BIP zu beachten, sondern auch alternative Messgrössen, die das wirtschaftliche Wohlergehen berücksichtigen.

Auswirkungen auf die Finanzmärkte

Natürlich hat die demografische Entwicklung weitreichende Auswirkungen auf die Finanzmärkte: Alternde Gesellschaften werden stärker sparen. Das wird Unternehmen zugutekommen, die Menschen dabei helfen, ihren Ruhestand zu planen, ihre Geldanlage darauf auszurichten und Vermögen aufzubauen.

Festverzinsliche Wertpapiere und dividendenzahlende Aktien dürften in diesem Umfeld profitieren. Diese beiden Anlageklassen schütten regelmässige Erträge aus, die Pensionierte nutzen können. Darüber hinaus kann die strukturelle Nachfrage nach Anleihen mit längeren Laufzeiten von Versicherern und Pensionskassen das künftige Wachstumspotenzial von Anleiherenditen begrenzen.

«Das Hauptaugenmerk sollte künftig mehr der Generationengerechtigkeit gelten»

Auch wenn es leicht ist, sich auf kurzfristige taktische Verschiebungen an den Märkten zu konzentrieren: Es bleibt immer wichtig, sich auf langfristige, nachhaltige Entwicklungen zu konzentrieren, die unsere Volkswirtschaften umgestalten.

Ein höheres BIP-Wachstum ist nicht unbedingt die Lösung für das Problem einer alternden Bevölkerung. Privatpersonen, Unternehmen und Regierungen müssen sich diesen Herausforderungen stellen. Möglicherweise stellen wir fest, dass das Hauptaugenmerk künftig mehr der Generationengerechtigkeit und den Lebensstandards gilt als dies in der Vergangenheit der Fall war.

War die Übernahme der Credit Suisse durch die UBS rückblickend gesehen die beste Lösung?
War die Übernahme der Credit Suisse durch die UBS rückblickend gesehen die beste Lösung?
  • Ja, es gab keine andere, wirtschaftlich sinnvolle Alternative.
    26.57%
  • Nein, man hätte die Credit Suisse abwickeln sollen.
    18.89%
  • Nein, der Bund hätte die Credit Suisse übernehmen sollen.
    27.99%
  • Man hätte auch ausländische Banken als Käufer zulassen sollen.
    9%
  • Man hätte eine Lösung mit Schweizer Investoren suchen sollen.
    17.55%
pixel