Livia Moretti: «Bei einer Bank geht es vor allem um Vertrauen»
Livia Moretti, Sie waren fast zehn Jahre lang in leitender Funktion bei der Europäischen Zentralbank (EZB) tätig und sind nun seit 2023 CEO von CIC (Schweiz). Was hat Sie besonders beeindruckt, als Sie die Leitung der Bank übernommen haben?
Beeindruckt hat mich vor allem die Kundennähe der Bank. Diese Identität wollte ich von Anfang an bewahren, gleichzeitig aber auch unsere Governance-Instrumente und die Antizipationsfähigkeit bei unseren Dienstleistungen für Unternehmen, Unternehmende sowie vermögende Privatkundinnen und -kunden stärken und dadurch die Schweizer Wirtschaft unterstützen. Meine Erfahrung bei der EZB hat mir gezeigt, dass eine Bank nicht nur durch ihre Zahlen, sondern auch durch ihre solide Risikomanagementkultur und klare Verantwortlichkeiten definiert wird. Zunächst konzentrierten wir unsere Anstrengungen auf diese beiden Schwerpunkte.
Was haben Sie seit Ihrem Amtsantritt konkret umgesetzt?
Für 2024–2027 haben wir einen strategischen Plan mit drei Prioritäten lanciert: Stärkung der Kundenbindung, Modernisierung unserer Tools und Festigung unserer Teams. Dies bedingt Investitionen in unser Human Capital, aber auch eine Digitalisierung und Optimierung unserer internen Prozesse. Dadurch soll aber nicht die persönliche Beziehung ersetzt werden, ganz im Gegenteil: Die gewonnene Zeit können unsere Beraterinnen und Berater nutzen, um mehr denn je ein offenes Ohr für unsere Kundinnen und Kunden zu haben und sich auf deren Beratung zu konzentrieren. Im Übrigen haben wir intensiv an der Stärkung unserer Governance gearbeitet. Diese Arbeit erfordert viel Sorgfalt und lässt sich eher mit einem Langstreckenlauf als mit einem Sprint vergleichen. Eine grosse Herausforderung, denn von der Stabilität einer Bank – die das Geld ihrer Kundinnen und Kunden verwaltet – hängt das Vertrauen der Öffentlichkeit ab. Und dieses Vertrauen ist das wichtigste Gut einer Bank. CIC (Schweiz) verwaltet heute ein Vermögen von über 19 Milliarden Franken und Kredite in Höhe von nahezu 11 Milliarden. Das sind solide Zahlen, aber für uns zählt vor allem, was dahintersteckt: Geschichten von Unternehmen, Familien, Betriebsübergabe- oder Internationalisierungsprojekten. Unsere Aufgabe ist es, diese zu unterstützen, auch und vor allem in Zeiten wirtschaftlicher Turbulenzen.
«Meine Erfahrung bei der EZB hat mir gezeigt, dass eine Bank nicht nur durch ihre Zahlen, sondern auch durch ihre solide Risikomanagementkultur und klare Verantwortlichkeiten definiert wird.»
Livia Moretti, CEO von CIC (Schweiz)
Sie sprechen oft von Governance. Warum ist sie für eine Bank wie CIC (Schweiz) so wichtig?
Sie ist nicht nur für CIC (Schweiz), sondern für alle Banken weltweit von zentraler Bedeutung. Eine solide Bank ist ohne solide Governance undenkbar. Unklare Entscheidungswege und Strukturen verursachen schwere Schäden. Um diese Notwendigkeit einer klarer Governance zu verdeutlichen, vergleiche ich gerne den Untergang der Titanic 1912 mit dem Beinahe-Konkurs des Banco Popular Español im Jahr 2017. Nie hätte sich die fünftgrösste Bank Spaniens vorstellen können, dass ihre Kundinnen und Kunden aufgrund von mangelndem Vertrauen ihre Konten leeren würden. Beide Geschichten erzählen uns dasselbe: Selbstüberschätzung kann in eine Katastrophe münden. Im ersten Fall sank das Schiff aufgrund ungenügender Antizipation. Niemand hatte damit gerechnet, dass der Rumpf einem Eisberg nicht standhalten würde und – schlimmer noch – dass die Rettungsboote nicht für alle Passagierinnen und Passagiere reichen würden. Im zweiten Fall konnte die Bank dank eines gut vorbereiteten Aufsichts- und Rettungsplans gerettet werden. Die Lehre daraus ist einfach: Antizipation ist das wichtigste Gut jeder Einrichtung. Und die Governance muss klar und kohärent sein. Bei CIC (Schweiz) haben wir den Fokus auf klare Verantwortlichkeiten, Transparenz und eine auf allen Stufen gelebte Risikokultur gelegt. Die dafür erforderlichen Massnahmen sind mit grosser Sorgfalt umzusetzen und nehmen viel Zeit in Anspruch. Aber gerade diese Disziplin nährt das Vertrauen der Kundinnen und Kunden als wichtigstes immaterielles Kapital einer Bank.
Nach dem Credit-Suisse-Debakel steht in der Schweiz derzeit eine neue Bankenregulierung zur Diskussion. Wie stehen Sie dazu?
Zwei Klippen gilt es zu umschiffen: Nachsicht und Überregulierung. Es wäre ein Fehler, mit einer Flut neuer Vorschriften zu reagieren. In Bezug auf Konzeption und Umsetzung benötigen wir eine intelligente Regulierung und Aufsicht, die auf Kohärenz und Verhältnismässigkeit basiert. Eine kleine Regionalbank, eine ausländische Bank, die wie unsere Bank die Schweizer Wirtschaft unterstützt, und eine systemrelevante Grossbank haben unterschiedliche Risikoprofile. Die Regulierungs- und die Aufsichtsbehörde müssen dieser Vielfalt Rechnung tragen. Meine Europa-Erfahrungen zeigen mir, dass sich eine strenge Aufsicht mit Wettbewerbsfähigkeit vereinbaren lässt, wenn sie sowohl in Bezug auf Konzeption als auch auf Umsetzung vorhersehbar und ausgewogen bleibt. Die Aufsichtsbehörde muss «fair & tough» sein, das heisst streng und anspruchsvoll, aber auch fair, indem sie den Banken den Weg weist, ihre Partnerin wird. Wie ein Leuchtturm am Ende einer Mole soll die Aufsichtsbehörde nicht für uns die Route wählen, sondern auf Gefahren aufmerksam machen. Es gilt, einen auf gegenseitiger Achtung basierenden, regelmässigen Dialog zwischen Aufsichtsbehörde und Beaufsichtigten zu fördern.
Welche europäischen «Best Practices» sollte die Schweiz übernehmen?
Die Stresstests mit den «precautionary measures» (vorsorgliche Massnahmen) sind beispielsweise ein wertvolles Instrument. Die thematischen Überprüfungen der Governance könnten ebenfalls in Erwägung gezogen werden. Bevor diese Instrumente jedoch übernommen werden, müsste die Solidität der Hierarchiestruktur in aller Ruhe – und nicht bei hohem Wellengang in Krisenzeiten – überprüft werden. Auch das Prinzip der Verhältnismässigkeit und seine pragmatische Anwendung sollten in der Schweiz nach mehr als zehn Jahren Praxis und «lessons learned» in Betracht gezogen werden. In unsicheren Zeiten wie diesen ist es unsere Aufgabe, sicherzustellen, dass das Pendel unserer Schweizer Uhr den spektakulären oder unberechenbaren Bewegungen derer fernbleibt, die in Panik geraten – und am anderen Ende des Ausschlags denen, die aus übertriebenem Selbstvertrauen und Selbstgefälligkeit die Flucht nach vorne antreten.
«Wenn wir das kontrollierte Risiko der Banken überregulieren, hindern wir sie daran, ihrer Pufferrolle gerecht zu werden.»
Livia Moretti, CEO von CIC (Schweiz)
Welche Folgen können die von den USA auferlegten hohen Zölle für eine Bank wie CIC (Schweiz) haben, die auf Unternehmen spezialisiert ist?
Unsere Kundinnen und Kunden sind, wie Schweizer Unternehmen allgemein, den internationalen Märkten stark ausgesetzt. Wird ein Unternehmen mit einem plötzlichen Anstieg der amerikanischen Zölle konfrontiert, kann sein Geschäftsmodell von einem Tag auf den anderen ins Wanken geraten. Für uns heisst das, dass wir diese Unternehmen bei ihrem Cash-Management und ihrer Finanzierung unterstützen, um ihnen Luft zu verschaffen, auch wenn damit kalkulierte Risiken verbunden sind. Dabei ist die Liquidität der entscheidende Faktor. Wenn wir das kontrollierte Risiko der Banken überregulieren, hindern wir sie daran, ihrer Pufferrolle gerecht zu werden. Unsere Branche hat die Aufgabe, die Unternehmen und die Schweizer Wirtschaft zu unterstützen. Besonders wichtig ist dies in Zeiten einer Wirtschaftskrise. Deshalb gehört das kontrollierte Risiko zu unserem Geschäft. Das ist das Nettorisiko. Ein Nullrisiko gibt es nicht. Eine zusätzliche Schicht, um das inhärente Risiko – rein utopisch – auf null zu senken, könnte unseren Unternehmen schaden, wenn ihre Rentabilität oder sogar ihr Überleben auf dem Spiel steht. In einem sich fortwährend wandelnden geopolitischen Umfeld kommt dieser Partnerrolle noch mehr Bedeutung bei.
Aber wie genau baut CIC (Schweiz) diese enge Kundenbeziehung auf?
Mit Konstanz und lokaler Präsenz. Jede Regionalleiterin und jeder Regionalleiter kennt ihre bzw. seine Kundinnen und Kunden. Anders verhält es sich bei der Finanzierung einer Betriebsübergabe oder der Betreuung einer internationalen Expansion. Vertrauen entsteht hier durch kohärentes Handeln und durch die Antizipation von Bedürfnissen. Trotz des schwierigen makroökonomischen Umfelds haben wir das verwaltete Vermögen und Kreditvolumen gesteigert. Dies zeigt, dass ein echtes Vertrauensverhältnis besteht. Es lässt sich nicht durch Slogans verordnen, sondern muss durch zwischenmenschliche Beziehungen Tag für Tag von Neuem erarbeitet werden.
«Ich bin der festen Überzeugung, dass eine Bank – wie ein Schiff – niemals vollständig vor einem Eisberg geschützt ist. Aber wenn die Führung solide ist, der Leuchtturm funktioniert, die Besatzung geschult ist und die Passagierinnen und Passagiere Vertrauen haben, lässt sich jedes noch so stürmische Meer erfolgreich überqueren.»
Livia Moretti, CEO von CIC (Schweiz)
Wie wird der Finanzplatz Schweiz im Jahr 2040 Ihrer Meinung nach aussehen?
Er wird nach wie vor wettbewerbsfähig sein, wenn er drei Grundsätzen treu bleibt: Antizipation, Kohärenz und Verhältnismässigkeit. Krisen antizipieren statt erleiden. Sowohl bei der Konzeption als auch bei der Umsetzung für eine kohärente und verhältnismässige Regulierung sorgen, um den Zusammenbruch von kleinen und mittelgrossen Banken zu verhindern. Und die Vielfalt der Akteure erhalten, denn sie macht unseren Reichtum aus. Die Schweiz hat einzigartige Stärken: eine stabile Politik, eine stabile Währung und stabile Steuern, aber auch ein Image als seriöses und zuverlässiges Land. Wenn es uns gelingt, diese Stärken zu bewahren, und wenn wir weiterhin Brücken zwischen den globalen Märkten schlagen, bleiben wir für Kunden und Investoren aus aller Welt attraktiv. Ich bin der festen Überzeugung, dass eine Bank – wie ein Schiff – niemals vollständig vor einem Eisberg geschützt ist. Aber wenn die Führung solide ist, der Leuchtturm funktioniert, die Besatzung geschult ist und die Passagierinnen und Passagiere Vertrauen haben, lässt sich jedes noch so stürmische Meer erfolgreich überqueren. / rty
154 Jahre Schweizer Bankexzellenz
CIC (Schweiz) wurde 1871 von Basler Unternehmern gegründet und hat sich von einer Pionierin im Kreditwesen zu einer tragenden Säule des Schweizer Bankensektors entwickelt.
Ihre Mission? Unternehmen und vermögende Privatpersonen in jeder Phase ihrer privaten und beruflichen Entwicklung zu begleiten. Neben dem Hauptsitz in Basel verfügt CIC (Schweiz) über sieben Niederlassungen (Genf, Lausanne, Neuchâtel, Freiburg, Sion, Lugano und Zürich) und beschäftigt 480 Personen. CIC (Schweiz) ist eine Tochtergesellschaft der Crédit Mutuel Alliance Fédérale, einer der bestkapitalisierten Bankengruppen Europas.