Der Finanzplatz Zürich hat heute einen ganz anderen Charakter als vor zehn Jahren. Die Veränderungen werden sich in den nächsten Jahren eher beschleunigen, schreibt Christian Bretscher.

Von Christian Bretscher, Geschäftsführer Zürcher Bankenverband

Die aktuelle Studie «Finanzplatz Zürich 2019/2020» des kantonalen Amtes für Wirtschaft und Arbeit und der Stadtentwicklung Zürich vermittelt einen fundierten Überblick über die nach wie vor zentrale Bedeutung des Finanzplatzes für den Standort Zürich. Mit seinem Anteil von 17 Prozent an der Wertschöpfung und von 10 Prozent der Arbeitsplätze im Kanton Zürich ist die Finanzbranche nach wie vor der wichtigste privatwirtschaftliche Sektor der Region.

In der Stadt Zürich hat der Finanzplatz im Jahr 2017 eine Wertschöpfung von mehr als 40'000 Franken pro Einwohnerin und Einwohner oder mehr als einen Viertel der gesamten Wertschöpfung erarbeitet.

Bereinigung von Altlasten

Bei der Beurteilung des insgesamt eher bescheidenen Beitrags des Finanzplatzes an das kantonale Wirtschaftswachstum (0,3 Prozentpunkte) ist zu berücksichtigen, dass das für die aktuelle Studie massgebliche Jahr 2017 für den Bankenplatz noch einmal geprägt war durch die Bereinigung von Altlasten. Vor diesem Hintergrund kann das leichte Wachstum um 1,5 Prozent durchaus positiv gewertet werden. Ausgesprochen erfreulich ist dabei das anhaltende, kontinuierliche Wachstum der Versicherungsbranche.

In den vergangenen Jahren haben die Grossbanken ihre Bilanzen stark verkürzt, Risiken abgebaut und ihre Eigenkapitalbasis verstärkt. Dies hatte den erwünschten positiven Effekt auf Sicherheit und Beständigkeit, nicht aber auf Gewinn und Wertschöpfung. Im Retailbanking lassen die Negativzinsen die Margen schwinden und das Volumenwachstum stösst an seine Grenzen.

Druck auf die Gebühren

Gleichzeitig dürften im Kreditbereich – sowohl bei den Geschäftskrediten als auch bei den Hypotheken die Risiken tendenziell eher steigen. Das Investmentbanking wurde auf eine unterstützende Funktion für das übrige Geschäft zurückgenommen. Der Druck auf die Gebühren ist markant gestiegen und wird, getrieben durch Digitalisierung und Wettbewerb, weiter zunehmen. Einfache Dienstleistungen im Zahlungsverkehr, Devisenhandel oder Kreditgeschäft können auch von Nicht-Banken erbracht werden und versprechen auch in Zukunft keine hohen Margen.

Zudem hat sich der Aufwand für Compliance-Aufgaben seit 2010 mehr als verdoppelt und wird zweifellos weiter ansteigen. Diese Entwicklungen machen deutlich, dass der Finanzsektor auch in nächster Zukunft nicht (mehr) der Ort des leicht verdienten Geldes oder der hohen Wachstumsraten sein wird.

Marktzugang zur EU

Entgegen allen düsteren Prognosen hat der Finanzplatz Schweiz seine weltweit führende Stellung im Private Banking auch nach der Aufgabe des Bankkundengeheimnisses und der Finanzkrise erfolgreich verteidigt und hält heute einen Anteil von rund 27 Prozent am Weltmarkt. Eine weitere Steigerung dieses Anteils ist durchaus möglich. Vor allem aber schafft das starke Wachstum des Gesamtmarktes erhebliches Potenzial, auch wenn die hohen Anforderungen an die Compliance das Wachstum in Schwellenmärkten anspruchsvoll machen. Umso wichtiger ist – insbesondere für kleinere Institute – der Marktzugang zur EU.

Um dieses Potenzial zu nutzen, geht es darum, dass der Finanzplatz seine traditionellen Stärken – Beratungsqualität, Kundennähe und Sicherheit – erfolgreich ausspielt und weiter stärkt. Dabei gilt es, die rasch voranschreitende Digitalisierung gezielt zu nutzen. Big Data und Künstliche Intelligenz können und müssen die Schweizer Finanzdienstleister dabei unterstützen, die Wünsche und Bedürfnisse ihrer Kunden noch besser zu erkennen und zu befriedigen.

Nicht einfach Prinzip Hoffnung

Dies gilt nicht nur für den klassischen Bereich der Anlageberatung, sondern auch für das Angebot weiterführender Dienstleistungen etwa in den Bereichen Vorsorge, Versicherungswesen, Kunst, Kultur und Lifestyle, für die sich branchenübergreifende Kooperationen anbieten. Als Bereiche mit Potenzial haben sich in den vergangenen Jahren zudem auch nachhaltige Anlagen und das Asset Management erwiesen.

Entgegen den Befürchtungen und Vorwürfen einiger Marktbeobachter huldigt die Branche dabei nicht einfach dem Prinzip Hoffnung, sondern treibt die Entwicklung sehr gezielt voran. Dass die entsprechenden konkreten Absichten und Projekte nicht öffentlich ausgebreitet sind, liegt in der Natur der Sache. Aber erinnern wir uns daran, dass noch vor wenigen Jahren kritisiert wurde, die Schweiz und der Finanzplatz Zürich würden Fintech und Insurtech verschlafen.

Bündelung der Kräfte

Heute gehört der Standort Zürich zu den anerkannten Hotspots der Entwicklung. Diese Fintechs arbeiten nicht isoliert, sondern in enger Zusammenarbeit mit den etablierten Unternehmen des Finanzplatzes. Gleichzeitig investiert die Branche stark in die Weiterentwicklung des Berufsbilds der Bank- und Finanzspezialistinnen und -spezialisten. Sowohl die Berufslehre als auch die Weiterbildung werden in enger Zusammenarbeit mit den Bildungsinstitutionen weiterentwickelt und den veränderten Bedürfnissen angepasst.

Digitalisierung und Industrialisierung werden deshalb auch in der Finanzbranche nicht Arbeitsplätze vernichten, sondern Arbeitsplätze verändern und zusätzliche Arbeitsplätze schaffen. Diese werden allerdings nicht zwingend in den Banken selbst entstehen. Die vorliegende Studie zeigt, dass bereits heute ein wachsender Teil der Dienstleistungen des Bankensektors von Externen erbracht wird. Diese Entwicklung dürfte im Zeichen der Bündelung der Kräfte und der Spezialisierung weiter anhalten.

Gegenseitiges Vertrauen

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass der Finanzplatz seine Erneuerung entschlossen vorantreibt. Er hat bereits heute einen ganz anderen Charakter als noch vor zehn Jahren und wird sich in den nächsten zehn Jahren in mindestens gleicher Geschwindigkeit weiterentwickeln.

Dabei ist es das erklärte Ziel der Branche, tragende Stütze der Zürcher und der Schweizer Wirtschaft zu bleiben. Voraussetzung dafür ist eine von gegenseitigem Vertrauen und Wertschätzung geprägte Zusammenarbeit zwischen Finanzbranche, anderen Wirtschaftszweigen, Politik und Verwaltung. Diese enge Zusammenarbeit ist bereits heute eine Stärke des Finanzplatzes Zürich. Der Zürcher Bankenverband setzt alles daran, sie zu pflegen und weiter zu intensivieren.

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