Wie die globale Aufrüstung die Portfolios verändert

Der Saal war voll, die Diskussionen lebhaft, und das Interesse des Finanzplatz-Publikums wirkte wie ein Seismograf für die geopolitischen und finanziellen Verwerfungen, die sich seit dem russischen Angriff auf die Ukraine aufgetan haben. 

Die kräftigen Wertsteigerungen von Unternehmen wie Rheinmetall, Palantir oder Raytheon gehören zu den Talking Points an den Märkten. Dahinter verbirgt sich allerdings ein tiefgreifender struktureller Wandel, der unabhängig von den in Genf vorangetriebenen Friedensgesprächen wohl Bestand haben dürfte.

Von Kundinnen und Kunden angestossen

Decalia-Partner Xavier Guillon betonte, es gehe nicht darum, ein Produkt zu verkaufen, sondern «über die Zukunft nachzudenken». 

Der Anstoss für die Entwicklung einer Investment-Strategie, die ausschliesslich auf Verteidigung setzt, sei ursprünglich von Kundenseite gekommen, aus dem Gefühl heraus, «dass sich die Welt verändert».

Ein langfristiger Umbruch

Grundlegend sei die Frage, ob es sich bei den höheren Verteidigungsausgaben «nur ein kurzfristiger Ausschlag sind oder etwas, das die nächsten zehn Jahre und mehr prägen wird».

Damit leitete Guillon zu seinem Hauptreferenten über: Mark Galeotti, britischer Professor und ausgewiesener Russland- und Sicherheitsexperte. 

«Eine niederschmetternde Botschaft»

Galeotti weckte auf Anhieb die Aufmerksamkeit des Publikums: «Ich habe eine sehr unerfreuliche Botschaft: die Welt wird wieder gefährlicher.» Er untermauerte seine Diagnose mit Zahlen: 59 staatliche Konflikte im Jahr 2023, 61 im darauffolgenden Jahr. Auch 2025 sei auf Kurs für einen neuen Höchststand. «Wir kehren in eine Welt zurück, in der Krieg keine Ausnahme ist, sondern immer häufiger vorkommt.»

Dies im scharfen Kontrast zur Selbstzufriedenheit, die sich in Europa nach dem Kalten Krieg breitgemacht hatte, samt mehrerer sich zunehmend als illusorisch erweisenden Annahmen. So sei die stabilisierende Wirkung amerikanischer «Hyperpower» im Abnehmen begriffen, Kriege seien mittlerweile auch wieder abseits abgelegener und klar begrenzter «wars of choice» wieder ein Faktor. Der Glaube, man könne sich in Europa gefahrlos auf seinen Wohlstand konzentrieren, führe in die Irre und sei von der Realität überholt worden. 

Was Putin antreibt

Russland stelle heute eine grundlegende Herausforderung für die europäische Sicherheitsordnung dar. Er verwies auf Äusserungen von Wladimir Putin aus den Jahren 1999 und 2023, die deutlich zeigten, dass der Kreml den Westen als existenziell bedrohlich wahrnimmt: «Putin hat keinerlei Hemmungen, das Wort ‹Krieg› zu verwenden», sagte Galeotti, «nicht für die Ukraine, sondern für den Westen».

Beunruhigend seien auch die Perspektiven nach dem Krieg. «In diesem Tempo kann es nur noch ein, zwei Jahre weitergehen», sagte Galeotti. «Aber das ist nicht dasselbe wie Frieden.» Russland rüste nicht nur nach, sondern baue seine Kapazitäten weiter aus. Rund 40 Prozent des Haushalts flössen bereits heute in das Militär. 

Eine offene Frage

Auch ein Russland nach Putin wäre nicht zwingend kooperativer: «Vielleicht bekommen wir einen pragmatischen Kleptokraten... Oder einen jüngeren, intelligenteren Putin.» Die grundlegende Frage, ob Russland je konstruktiver Bestandteil einer europäischen Sicherheitsarchitektur werden könne, sei «seit Jahrhunderten ungelöst».

Galeotti weitete den Blick anschliessend noch weiter nach Osten: Chinas Aufstieg als militärischer Akteur, der hochentwickelte Rüstungsgüter exportiert, der Einsatz chinesischer Söldner in Afrika, die geopolitischen Folgen des Klimawandels vom Sahel bis nach Zentralasien: all dies komme einer tektonischen Verschiebung gleich. Drohnen, künstliche Intelligenz, elektromagnetische Kriegsführung und der «recon-strike complex» veränderten Angriff und Verteidigung. «Technologie stand immer an der Spitze der Kriegsführung», sagte er, «aber wir befinden uns an einem Wendepunkt.»

Der Blick der Anleger

Nach Galeotti trat Roberto Magnatanini, Lead Portfolio Manager des Decalia AEGIS Fund, ans Rednerpult. Seine Analyse knüpfte direkt an die Ausführungen seines Vorredners an, allerdings aus der nüchternen Perspektive des Investors. 

«Was viele immer noch unterschätzen», sagte er, «ist die langfristige Natur dieser Zyklen.» Munition lasse sich innert fünf bis zehn Jahren hochfahren. Panzer hingegen brauchten zwanzig bis dreissig Jahre. Kampfjets dreissig bis fünfzig. U-Boote fünfzig bis achtzig. «Es ist traurig», fügte er an, «aber es ist eine Tatsache: Dieser Zyklus wird bleiben.»

Die militärische Erosion Europas

Magnatanini verdeutlichte die dramatische Schwächung Europas. Deutschland verfüge heute über 77 bis 85 Prozent weniger Panzer als im Kalten Krieg, «und die Wartung entspricht häufig nicht dem, was man bei Panzern erwarten würde». Viele Streitkräfte seien «ein Hohn»: Strukturen ohne Material, ohne Einsatzbereitschaft, ohne Abschreckungskraft. 

Länder mit ausgeprägtem Sicherheitsbewusstsein wie Südkorea, Israel oder Norwegen investierten einen deutlich grösseren Teil ihres Verteidigungsbudgets in Ausrüstung. Weniger gut vorbereitete Staaten steckten dagegen einen Grossteil in Personal.

Kriegsbild der Drohnen-Ära

Auch technologisch sei ein Bruch sichtbar. Programme wie das US-Projekt für leichte Aufklärungshubschrauber hätten in einem drohnengesättigten Gefechtsfeld kaum Überlebenschancen. Das gleiche gelte für gewisse leichte Panzer und sogar für die legendäre A-10. «Luftabwehrsysteme machen sie extrem verwundbar, und ihre Rolle lässt sich heute wahrscheinlich effizienter – das heisst günstiger und risikoärmer – mit Drohnen erfüllen», sagte er.

Was die Aktien-Bewertungen der Branche anbelangt, sagte Magnatanini: «Nein, Rheinmetall ist keine Blase.» Nach Jahrzehnten als weitgehend stagnierender Industriewert wachse das Unternehmen nun mit 30 bis 35 Prozent, bei gleichzeitig stark steigenden Margen. «Die Gewinne werden bleiben.» 

Neue Chancen

Besonders attraktiv seien jedoch kleinere, weniger bekannte Unternehmen wie Exail, Kitron oder Norbit, die aus Nischen heraus dynamisch wachsen.

In der Fragerunde rückte ein Thema ins Zentrum, das Magnatanini als «Elefant im Raum» bezeichnete, nämlich das Verhältnis von ESG-Kriterien zu Rüstungs-Aktien. Das Panorama habe sich seit 2022 grundlegend gewandelt. Es wachse das Bewusstsein: «Ohne Sicherheit gibt es gar nichts.» Gewichtige institutionelle Investoren wie der norwegische Staatsfonds prüften seine ESG-Ausschlusskriterien unter dieser Optik. 

«Zurück ins Jahr 2019 ist keine Option»

Galeotti unterstrich, dass Sicherheit die Basis jeder modernen Gesellschaft sei; wer Verteidigung aus ESG-Gründen ausschliesse, verwechsle Mittel und Zweck.

Auf die Frage, was ein mögliches Friedensabkommen zwischen Russland und der Ukraine für Anleger bedeuten würde, antwortete Galeotti knapp: «Ein Waffenstillstand ist möglich. Frieden nicht.» Magnatanini pflichtete bei. Europa müsse seine Verteidigungsfähigkeit so oder so neu aufbauen. «Zurück ins Jahr 2019 ist keine Option.»

Ein Spiegel der Realität

Und so bestätigte der Anlass seine eigene zentrale These: Die Finanzmärkte sind ein Spiegel der realen Welt. Diese ist härter, gefährlicher und strategisch anspruchsvoller geworden.

Vor einigen Jahren wäre es schwer vorstellbar gewesen, mit einer Konferenz zu Investitionen in die Rüstungsindustrie einen Saal in Zürich zu füllen. Heute wirkt es wie selbstverständlich. Der Paradigmenwechsel ist da.