Zwar schwächen sich die Wachstumsraten in der Golfregion ab, doch die Vereinigten Arabischen Emirate bleiben ein «sicherer Hafen» für Investoren.

Von Charles de Quinsonas, Fixed-Income-Spezialist, M&G, London

Befragt man Emittenten von Unternehmensanleihen und Regierungsvertreter der Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) nach den Folgen der Ölpreis-Entwicklung für die Region, lautet die Antwort stets: «Es gibt keine Auswirkungen.»

Im Gegensatz dazu ist den meisten unvoreingenommenen Anlegern und Bankern in den Emiraten aber durchaus bewusst, dass das neue Ölpreis-Szenario drastische Folgen zeitigen wird.

In den vergangenen sechs Monaten sind die Ölpreise um 60 Prozent gesunken, was dazu führen wird, dass die Wachstumsraten in den Mitgliedstaaten des Golfkooperationsrates (GCC) nach einem sehr guten Jahr 2014 in 2015 und 2016 nachlassen werden.

Saudi-Arabien am deutlichsten unter Druck

Dabei wird Saudi-Arabien am deutlichsten unter Druck geraten, weil diese Volkswirtschaft auf Grund erforderlicher Sozialausgaben kaum über einen finanziellen Puffer verfügt. Beliebte Touristenziele wie Dubai und in geringerem Masse auch Abu Dhabi dürften hingegen nicht so stark in Mitleidenschaft gezogen werden, falls die Ölpreise auf ihrem aktuellen Niveau verharren sollten.

Trotzdem werden die mittelbaren negativen Folgen auch in den Emiraten spürbar sein. Diese Einschätzung basiert auf einer Vielzahl von Gründen.

Bankensektor belastet

Der Wohnimmobilien-Sektor in Dubai hat sich bereits abzuschwächen begonnen. So sind die Preise für eine Reihe von Objekten zuletzt um 15 bis 20 Prozent gesunken. Der Handelssektor in den Emiraten hat in den ersten beiden Monaten dieses Jahres nachgegeben und wird einer grossen Schwellenländerbank zufolge für 2015 wohl lediglich ein Wachstum im mittleren einstelligen Bereich vorlegen. Die Zahl der russischen Touristen ist wegen des jüngsten Abwärtstrends des Rubels zuletzt gesunken.

Allerdings dürfte dieser Effekt mittelfristig durch wachsende Besucherströme aus Asien ausgeglichen werden. Das sich eintrübende volkswirtschaftliche Umfeld wird vermutlich auch den Bankensektor belasten. Da die Banken in sehr hohem Masse von den staatlichen Einlagen abhängen, dürfte es zu einer steigenden Zahl Not leidender Kredite sowie zu einer Verschlechterung der Asset-Qualität kommen.

Weitere Sukuk-Anleihen

Seit 2008 hat das Segment der islamkonformen Finanzinstrumente ein rasantes Wachstum von durchschnittlich 20 Prozent vorgelegt und umfasste laut Schätzungen des Centre of Islamic Banking and Economics (CIBE) von 2014 ein verwaltetes Vermögen von 2,1 Billionen Dollar. Für das Jahr 2015 geht das in Dubai ansässige CIBE davon aus, dass das Volumen islamkonformer Anlagen weltweit auf 2,5 Billionen Dollar ansteigen wird.

Davon werden schätzungsweise 150 Milliarden Dollar auf Sukuk-Papiere (islamkonforme Anleihen) entfallen. Im vergangenen Jahr hat Grossbritannien seine erste Sukuk-Anleihe im Wert von 200 Millionen Pfund emittiert; nun folgen die Société Générale, die Bank of Tokyo-Mitsubishi und Goldman Sachs.

Umfassende Korrektur unwahrscheinlich

Aus der Perspektive eines Schwellenländer-Investors sind die Zinsdifferenzen im Nahen Osten bereits seit langem recht eng. Da die aktuellen Zinsdifferenzen das neue Ölpreis-Szenario noch gar nicht berücksichtigen, macht das relative Bewertungsniveau momentan einen teuren Eindruck. Die Spreads einiger der anfälligsten Anleihen könnten sich bis Ende 2015 deutlich ausweiten.

Zudem haben Anleiheinvestoren das wachsende geopolitische Risiko innerhalb der Region unterschätzt. Abgesehen davon erscheint eine umfassende Korrektur aber unwahrscheinlich, weil die Region im Vergleich zu anderen Schwellenländermärkten ein relativ «sicherer Hafen» ist.

Lokal stabile Investorenbasis

Auf Branchenebene könnten Bankenanleihen wegen der lediglich mässigen Wirtschaftsaussichten nachgeben, während auch der Wohnimmobiliensektor unter einen gewissen Verkaufsdruck geraten könnte. Das Segment der Gewerbeimmobilien könnte sich für Anleger hingegen als robust erweisen.

Gleiches gilt für Anleihen von Unternehmen, die in hohem Masse staatlich gefördert werden. Darüber hinaus wird für Anleihen innerhalb der Region auch das technische Umfeld von entscheidender Bedeutung bleiben, während eine sehr gute und stabile lokale Investorenbasis den Markt vor anstehenden schwankungsintensiveren Zeiten schützen könnte.