Diese Gefahr besteht natürlich. Insbesondere auch, weil die Ertragslage im Swiss Banking nach wie vor recht komfortabel ist – der Leidensdruck fehlt noch weitgehend. Die Schweiz ist sehr gut im Reagieren, im Antizipieren von zukünftigen Entwicklungen wie der Digitalisierung und im proaktiven Agieren, ist sie weniger gut.

Dieses Antizipieren ist Teil Ihres Lehrganges Digital Wealth Management an der HWZ. Wie lernt man zu antizipieren?

Im Lehrgang wenden wir zwei Methoden an. Zum einen ziehen wir unzählige nationale und internationale Researchberichte und Studien, beispielsweise vom Gottlieb Duttweiler- Institut, heran. Viele dieser Experten laden wir in den Lehrgang ein und erarbeiten gemeinsam mit ihnen ein aktuelles, globales Lagebild und diskutieren mögliche Entwicklungen für die Wealth Management-Industrie.

«Heute ziehen Kunden Videokonferenzen vielfach vor»

Eine weitere Methode ist, die Meinungsführer und Innovationsentscheider weltweit in Bezug auf ihre Zukunftsperspektive zu interviewen und daraus Synthesen zu ziehen. Letztlich analysieren wir jährlich den Faktor Vertrauen der Wealth Management-Kunden: Wo liegen ihre Grenzen und wie bewegen sich diese? Daraus lassen sich Schlüsse in Bezug auf den aktuell möglichen Digitalisierungsgrad ziehen. Konkretes Beispiel: Vor Corona waren Videokonferenzen für Kundenmeetings ein No-Go. Heute ziehen Kundinnen und Kunden Videokonferenzen vielfach vor – sie ersparen ihnen beispielsweise eine Reise nach Zürich.

Eine Voraussetzung für ein digitaleres Wealth Managements ist die Datenanalyse. Banken sitzen zwar auf einer ungeheuren Menge von Daten, können aber noch nicht viel damit anfangen.

An diesem Punkt klemmt es bei praktisch allen Wealth Managern. Die Banken verfügen zwar über die Daten, doch sind diese noch nach Geschäftsbereichen fragmentiert, anstatt sie in einem grossen Datenpool zu sammeln. Vielfach war es die bankinterne Compliance, die sich früher gegen die systematische Nutzung aussprach.

Aber diese Haltung hat sich in der Industrie in den letzten 18 Monaten stark geändert. Man will in Zukunft «Smart Advisor-Lösungen» für Kunden anbieten – schliesslich wollen auch die traditionellen Banken ihre Produkte weiterentwickeln und verkaufen.

Können die Banken aus ihren veralteten IT-Strukturen überhaupt moderne Datenpools speisen?

Die Legacy-Systeme sind in der Tat ein echtes Problem für viele Banken weltweit. Einen interessanten Lösungsansatz verfolgt beispielsweise der Zürcher Fintech-Provider Additiv: Er baut eine Art zusätzliche Datenschicht über dem alten Legacy-System auf und kann so die dort gespeicherten Daten zusammenführen. Die andere und deutlich teurere Lösung für Privatbanken wäre, ein völlig neues IT-System aufzubauen. 

Digitalisierung verfolgt auch den Zweck der Skalierung: Werden Banken heute noch sehr aufwendige UHNW-Dienstleistungen irgendwann auch im Affluent-Banking anbieten können?

Der Trend geht in diese Richtung, ja. Es gibt Robo-Anwälte, die in gewissen Bereichen bereits heute schon besser sind als ganze Kanzleien. Es dürfte also zu einer deutlichen Beschleunigung von sehr aufwendigen Compliance-Prozessen kommen, beispielsweise bei der Anwendung von Länder-Regulatorien. Das wird zu einer Skalierbarkeit und Vereinfachung im internationalen Wealth Management führen.

«Die Fintech-Szene bringt zu wenig auf die Waage»

Doch in Bezug auf Kundenorientierung stellt sich immer die Frage: Wie weit soll die Skalierung und Digitalisierung gehen, dass diese nicht an den Bedürfnissen der Kunden vorbeigeht? Einfach gesagt: Ein Affluent-Kunde wird kaum je mit der Steuerproblematik von ausländischen Holdings betroffen sein.

Als wie stark würden Sie das Schweizer Innovations-Ökosystem bezeichnen, welches das digitale Wealth Management vorantreibt?

Abgesehen von Additiv ist die Schweizer Wealth Tech-Szene sehr überschaubar. Das ist angesichts der Bedeutung von Private Banking in der Schweiz überraschend und auch etwas enttäuschend. Insgesamt ist die Schweizer Fintech-Szene zwar sehr lebendig, bringt aber im internationalen Finanzmarkt zu wenig Gewicht auf die Waage.

Es fehlt das Venture Capital oder vielmehr: Das in der Schweiz verfügbare Venture Capital genügt nicht, um ein Schweizer Fintech-Start-up gleich auf die internationale Bühne zu heben. Es gibt aber positive Signale, dass sich die Industrie hier mehr engagieren will.

Venture Capital fliesst doch reichlich in die Schweiz, wie das Crypto Valley beweist.

Das stimmt. Und es wirkt seltsam, dass ausgerechnet im Kernmarkt «Wealth Management» in der Schweiz so wenig in die Innovation und in relevante Start-ups investiert wird. Auf der einen Seite gibt es natürlich Privatbanken, die die Digitalisierung sehr konservativ angehen und fast schon eine analoge Gegenstrategie fahren.

Das ist möglicherweise zu kurz gedacht, weil der digitale Rückstand so kaum noch aufholbar ist. Und dann gibt es die Mehrheit der Schweizer Wealth Manager die moderat in allen Bereichen der Digitalisierung folgen – aber keine Experimente machen. Nüchtern betrachtet würde es dem Finanzplatz Schweiz guttun, wenn wir auch im digitalen Wandel der Industrie die Führung übernehmen. Erste Ansätze in diese Richtung sind vor allem bei den beiden Grossbanken zu erkennen.

Welche Schweizer Bank hat das eingangs beschriebene hybride Modell im Wealth Management wirklich umgesetzt?

Die ehrliche Antwort: Bislang eigentlich keine so richtig. Die technologischen Lösungen wären im Markt bereits vorhanden, aber sie werden bislang noch nicht konsequent und flächendeckend eingesetzt. Wobei ich anfügen muss: Das Thema geniesst in praktisch allen Banken eine sehr hohe Priorität. Ich beobachte auch, dass die Banken beim Thema Digitalisierung immer mehr die Optik des Kunden einnehmen.

«So lassen sich Fehlinvestitionen vermeiden»

Das ist grundsätzlich richtig und sehr zu begrüssen. Doch genauso wichtig ist, die Skalierbarkeit der operativen Tätigkeit nicht aus den Augen zu verlieren. Es nützt einer Bank bezüglich Skalierung nichts, ein schickes Frontend für die Kunden zu entwickeln, während im Middle- und im Back Office noch die alten Maschinen und Prozesse laufen.

Wie beurteilen Sie internationale Konkurrenz?

Die Schweizer Banken beobachten die internationale Konkurrenz sehr genau. Die DBS in Singapur beispielsweise ist zwar keine klassische Privatbank, wird jedoch auch von Schweizer Banken wegen ihrer fortschrittlichen Digitalisierung sehr genau beobachtet. Grundsätzlich sind solche Peer-Vergleiche auch sinnvoll, lassen sich dadurch auch Fehlinvestitionen vermeiden.

Das rein digitale Onboarding im Wealth Management, das ohne einen ersten echten Kontakt zum neuen Kundenberater stattfinden soll, hat sich beispielsweise als teurer Flop erwiesen. Damit sind wir wieder beim Thema Vertrauen, das eben nicht digitalisiert werden kann.


Martin Meyer ist ein Innovationsexperte und Banker. Er lehrt an der HWZ den Lehrgang «Digital Wealth Management» und ist Mitgründer des Think Tanks Inside Future. Er arbeitet seit mehr als 18 Jahren bei der UBS und ist dort Head Innovation im Global Wealth Management. 

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