Punkto Digitalisierung machten die Schweizer Privatbanken zwar Fortschritte, sagt Innovationsexperte und Dozent für digitales Wealth Management Martin Meyer im Interview mit finews.ch. Doch lebe die Branche noch stark von ihrem «Swissness»-Vertrauensvorteil.


Herr Meyer, führt die Digitalisierung im Wealth Management zu einem Einheitsbrei der Angebote, wenn alle Banken sich auf Algorithmen verlassen, um Kundenbedürfnisse zu treffen?

Nein, das sehe ich nicht so. Im Zuge der Digitalisierung im Wealth Management setzt sich bei den Schweizer Privatbanken das hybride Modell durch: Dienste werden digitalisiert und der Kundenberater bleibt das wesentliche Element in der Kundenbeziehung. Das macht gerade in Bezug auf die Differenzierung von Dienstleistungen sehr viel Sinn.

Erklären Sie das.

Vertrauen, also die menschliche Resonanz, spielt im Private Banking eine enorm hohe Rolle. Vertrauen lässt sich nicht digitalisieren. Das ist der Hauptgrund für das hybride Modell. Vollkommen digitale Modelle wie Robo-Advisor haben sich hingegen im Wealth Management mit vermögenden Kunden nicht durchgesetzt.

Der Grund: Robo-Advisor geniessen zu wenig Vertrauen. Revolut ist ein gutes Beispiel: Im Retail-Segment und Zahlungsverkehr ist dieser Anbeiter sehr erfolgreich. Aber Revolut sehr viel Geld anvertrauen würde derzeit wohl kaum jemand.

Wie wirkt sich die Komponente Vertrauen denn auf eine Differenzierung von Wettbewerbern im Wealth Management aus?

Digitalisierung ermöglicht Individualisierung. Durch Datenanalyse lernen Beraterinnen und Berater ihre Kunden viel besser kennen und können ihnen gezielte, individuellere Angebote und Dienstleistungen machen, damit die gesteckten Ziele erreicht werden. Ein Beispiel: ESG-Anlagen sind derzeit sehr gefragt, doch gibt es eine Vielzahl von ESG-Ratings.

«Die neuen Systeme sind nicht komplexer als die alten»

Wenn ich meine Kundinnen und Kunden und ihre Nachhaltigkeitsziele genau kenne, kann ich sehr präzise und digital ein ESG-Portfolio zusammenstellen, das den spezifischen Wünschen entspricht.

Damit werden die Anforderungen an Kundenberater höher.

Diese Aussage würde ich nicht verallgemeinern. Die Anforderungen für Kundenberaterinnen und -berater steigen, sofern diese von den alten komplexen Systemen, die in den Privatbanken teils immer noch dominieren, nicht auf digitale Systeme umstellen können oder wollen. Die Schwierigkeiten und Anforderungen sind kultureller Natur: Kundenberaterinnen und -berater müssen zur Einsicht gelangen, dass sie den digitalen Wandel vollziehen und mit neuen Systemen arbeiten müssen.

Allein schon, weil die Regulatorien und Gesetze im Wealth Management immer anspruchsvoller werden. Aber die neuen Systeme sind sicherlich nicht komplexer oder anforderungsreicher als die alten. Maschinen bieten hingegen neue Möglichkeiten und Chancen.

Haben Sie dafür Beispiele?

Nehmen wir die Medizin: In China erhalten heute Patientinnen und Patienten oftmals zunächst eine Diagnose eines Arztes. Ping An, die dominierende Krankenkasse prüft mit einer KI anschliessend die Diagnose nach. Das Spannende: Wenn es um die Diagnose geht, ist die Maschine heute bereits besser – und die Patienten vertrauen der Maschine auch mehr. Auch dies ist ein hybrides Modell. Ich gehe davon aus, dass sich die Kundenbetreuung im Wealth Management in die gleiche hybride Richtung entwickelt.

Das Swiss Banking verlässt sich im internationalen Konkurrenzkampf sehr stark auf Vertrauen: Vertrauen in die Bank, in die Tradition, die politische Stabilität und den Franken. Genügt das?

Nüchtern betrachtet nehmen die Schweiz und ihre Banken keinen Spitzenplatz als Innovatoren oder Anwender von neuen Technologien ein. Wir liegen im internationalen Mittelfeld. Aber es ist eine Tatsache: 40 Prozent des Werteversprechens der Schweizer Wealth Management-Industrie gehen auf die «Swissness» zurück – das ist viel.

«Der Leidensdruck fehlt noch weitgehend»

Die grosse Frage lautet: Wird dieser Wert abnehmen oder sogar noch steigen? Heute ist es immer noch so, dass im Ausland die Schweiz sehr stark mit «Vertrauen» assoziiert wird.

Die Gefahr ist, und das zeigt die zögerlich verlaufende Transformation im Swiss Banking, dass dieser Vertrauensvorteil verspielt wird.

Welche Schweizer Privatbank bietet an der Börse nun das grösste Potenzial?
Welche Schweizer Privatbank bietet an der Börse nun das grösste Potenzial?
  • Julius Bär, weil der Kurs seit dem Signa-Debakel genügend gesunken ist.
    20.21%
  • Vontobel, weil das Unternehmen 2024 die Wende im Asset Management schaffen wird.
    8.74%
  • EFG International, weil die Bank keinerlei interne Probleme bekundet und stark wächst.
    14.92%
  • UBS, weil die Grossbank auch als Privatbank enormes Potenzial bietet.
    46.46%
  • Banque Cantonale Vaudoise, weil sie unter den Kantonalbanken ein grosses Private Banking anbietet.
    9.67%
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