Nach dem Debakel um FTX wird der Ruf nach Regulierung immer lauter. Das will Bitcoin Suisse für einen neuen Anlauf Richtung Banklizenz nutzen. Im Gespräch mit finews.ch erläutert CEO Dirk Klee die neue Strategie der grössten Schweizer Krypto-Brokerin.


Herr Klee, die FTX-Pleite wird inzwischen als epochales Ereignis betrachtet. Die Krypto-Branche könne nicht mehr so weitermachen wie bisher, heisst es. Was ist Ihre persönliche Meinung?

Es handelt sich mit Sicherheit um ein herausragend negatives Ereignis, das der Branche nicht guttut und das auch die Adaption von Krypto und Blockchain in anderen Gebieten zu verlangsamen droht. Das ist sehr schade. Dies umso mehr, da das grundlegende Problem bei diesem Vorfall nicht in der Technologie begründet war, sondern – soweit sich das heute abschätzen lässt – in kriminellen Geschäftspraktiken, sowie in einem kompletten Versagen sämtlicher Kontrollen.

Waren denn FTX und sein Gründer Sam Bankman-Fried nicht auch Kinder des Hypes, den die Szene bis ins Jahr 2021 erlebt hat?

Was geschehen ist, ist tatsächlich das Symptom einer rasch gewachsenen Industrie, deren Leitplanken sich zumindest in gewissen Ländern zu wenig mitentwickelt haben. Krypto-Börsen wie FTX sind in Staaten ausgewichen, in denen es wenig oder gar keine Regulierung gab.

«Manche Akteure suchten sich den Ort des kleinsten regulatorischen Widerstands»

Trotzdem haben sie durch weltweites Marketing eine globale Kundschaft erreicht, zumal in den USA und Europa.  

Die Rede ist auch von einem Lehman-Moment, in Anspielung an die von Banken verschuldete Finanzkrise von 2008. Sie sind von Hause aus Banker – finden Sie den Vergleich stimmig?

Die aktuelle Entwicklung dieses Teils der Krypto-Industrie bildet die Krisen des traditionellen Finanzwesens während der letzten 100 Jahre im Zeitraffer ab. Ich komme von meinem Karriereweg her aus dem Banking und dem Asset Management: Alles, was ich jetzt sehe, hat man dort über Jahrzehnte hinweg gelernt und dann auch reguliert. Und dies mit gutem Grund.

Bei der Krypto-Branche war dies nicht der Fall?

In vielen Industriestaaten hinkte die Krypto-Reglierung der Realität hinterher. Das führte dazu, dass manche Akteure sich den Ort des kleinsten regulatorischen Widerstands suchen konnten – auf den Bermuda- oder Bahama-Inseln, aber auch etwa in Litauen oder auf Zypern.

Dennoch ist Bitcoin Suisse als führender Schweizer Krypto-Broker nicht umhin gekommen, mit FTX als drittgrösste Börse in der Szene zu geschäften, oder?

Ich möchte zunächst einmal festhalten, dass FTX kein Investor bei der Bitcoin Suisse gewesen ist, und auch wir keine Investoren bei FTX oder mit der Börse verbundenen Unternehmen waren. Wir sind als Broker an rund 20 Krypto-Börsen und Handelspartnern angeschlossen.

«10 Prozent konnten nicht mehr hinausbewegt werden»

Eine davon war FTX. Wir haben dort für Kunden ausschliesslich mit unserer eigenen Bilanz agiert. Kundengelder standen und stehen also bei uns nie im Feuer. Im Gegenteil haben wir immer davor gewarnt, Kundenvermögen auf solchen Plattformen zu halten. Die Liste gehackter Krypto-Börsen ist schier unendlich.

Hat Bitcoin Suisse das eigene Kapital rechtzeitig aus FTX herausbekommen?

Als es mit den ersten Tweets zum FTT-Token losging – der übrigens wie Terra/Luna nie Teil unseres Handelsangebotes war – und sich dann die schlechten Nachrichten verdichteten, haben wir sehr schnell rund 90 Prozent unserer Bestände bei FTX herausgezogen. 10 Prozent konnten nicht mehr hinausbewegt werden, bevor die Krypto-Börse ihre Rückzahlungen einstellte und anschliessend in den USA Gläubigerschutz beantragte. Zum jetzigen Zeitpunkt müssen wir diese Bestände buchhalterisch abschreiben. Aber wir werden ihnen natürlich in Zukunft nachjagen. Auch bei Genesis haben wir übrigens keinerlei Exposure.

Auf der anonymisierten Liste der grössten 50 Gläubiger von FTX, welche vergangene Woche publiziert wurde, wird man Bitcoin Suisse nicht finden?

Das würde mich wundern, angesichts der Beträge und der von uns verfolgten Praxis, die Kreditrisiken breit zu streuen. Wir sind sehr weit von zwei- oder gar dreistelligen Millionensummen entfernt, die manche uns bekannten Akteure noch bei FTX stehen haben.

Können Sie schon eine Bilanz dieser Extremsituation ziehen? Hat Bitcoin Suisse vom FTX-Debakel profitiert, oder musste das Unternehmen Federn lassen?

Unter dem Strich erleben wir eher Zu- als Abflüsse. Und angesichts der Kunden-Pipeline rechnen wir künftig mit starken Zuflüssen. Das ist ein Zeichen, das unsere Solidität am Markt nicht angezweifelt wird.

«Meinen Teams fasse ich das mit dem Spruch zusammen: Tougher for longer»

Insgesamt rechne ich aber damit, dass Akteure aussortiert werden. Dabei ist nicht alleine die Regulierung ausschlaggebend. Insgesamt braucht es Qualität, die wir seit bald zehn Jahren in verschiedenen Marktphasen immer wieder unter Beweis gestellt haben. Dies wird uns von unseren Kunden zugebilligt. Ich möchte uns aber eigentlich lieber nicht zu den Netto-Profiteuren dieser Entwicklung zählen.

Wieso nicht?

Weil die Entwicklung für die Industrie und die betroffenen Kunden insgesamt tragisch ist. Da als Profiteur zu gelten, finde ich moralisch wie auch inhaltlich verfehlt.

Auch das Jahr 2022 kann für die Branche getrost als Extremereignis gelten. Wie wird Bitcoin Suisse dieses hinter sich bringen?

Bitcoin Suisse hat sich sehr gut geschlagen. Wir haben dieses Jahr und 2021 für den institutionellen Aufbau genutzt. Nach dem stürmischen Wachstum der früheren Jahre haben wir den Fokus auf Qualität gelegt. Wir haben unsere Governance und Prozesse gestärkt und die Zusammenarbeit mit den zuständigen Regulierungsbehörden vertieft. Im Risiko- und Compliance-Bereich beschäftigen wir heute etwa 30 Mitarbeitende. Das sind mehr als bei Banken mit vergleichbarer Grösse. Ich erwarte aber, dass das gesamte nächste Jahr noch anspruchsvoll bleiben wird.

Der Krypto-Winter hält also an?

Ich rechne nicht mit einer raschen Gegenbewegung. Meinen Teams fasse ich das mit folgendem Spruch zusammen: «Tougher for longer». Wir wollen in diesem Umfeld weiterhin ein solider Partner für unsere Kunden sein. Dazu sind wir meiner Meinung nach jetzt schon bestmöglich aufgestellt.

Bitcoin Suisse hat im vergangenen Juni das letzte Mal Kapital bei Investoren aufgenommen. Wie lange wird dieses vorhalten?

Wir sind solide finanziert. Wenn der Markt aber in dieser Art anhält, werden wir uns sicherlich schlanker aufstellen müssen. Dies, um den Puffer, den wir haben, nicht unnötig zu strapazieren. Das bedeutet, dass wir die Business-Pläne anpassen und uns auf einzelne Investments fokussieren.

«Es ist derzeit nicht geplant, Stellen zu streichen»

Wenn sich die Möglichkeit ergibt, werden wir zudem im Jahr 2023 Kapital aufnehmen. Denn wir möchten in weiteres Wachstum investieren.

Muss Bitcoin Suisse Stellen abbauen?

Wir haben bislang keine Mitarbeitenden abgebaut und sind damit fast die einzigen am Markt. Es ist derzeit auch nicht geplant, Stellen zu streichen. Ich will aber hier nichts ausschliessen, weil auch wir uns dem Umfeld nicht entziehen können.

Sie möchten Kapital für neues Wachstum, aber gleichzeitig haben Sie durchblicken lassen, dass das Wachstum vor Ihrem Antritt als CEO vielleicht zu stürmisch war. Was schwebt Ihnen denn genau vor?

Wie ein Teenager machte Bitcoin Suisse Wachstumsschmerzen durch. Ich kenne das – ich bin als Jugendlicher einmal in einem Jahr 12 Zentimeter gewachsen. Wenn man ein Startup skalieren will, braucht es aber zuerst institutionelle Strukturen und Instrumente. Im Jahr 2022 haben wir uns darauf konzentriert, die Firma fit zu machen für den nächsten Wachstumsschub.

Eine Banklizenz wäre im gegenwärtigen Umfeld wohl genau das Richtige für so einen Schub. Nachdem Bitcoin Suisse damit bei der Eidgenössischen Finanzmarktaufsicht Finma nicht durchgedrungen ist – nehmen Sie nun einen neuen Anlauf?

Genau das ist der Fall. Wir werden das Thema Finma-Lizenzierung wieder in Angriff nehmen. Nachdem wir unsere Hausaufgaben gemacht haben, können wir uns nun diesem längeren Verfahren stellen.

«Künftig werden wir auch auf unabhängige Vermögensverwalter fokussieren»

Wir glauben auch, dass dies der richtige Schritt für den Finanzstandort Schweiz wäre. Der älteste und grösste einheimische Krypto-Akteur sollte sich der höchstmöglichen Regulierung stellen.

Denken Sie, dass Sie damit bei der Aufsicht nun offene Türen finden?

Wir möchten das Verfahren mit der erforderlichen Seriosität, Bescheidenheit und Sorgfalt angehen. Dabei werden wir alles Notwendige tun, um eine Finma-Bewilligung zu erhalten. Wir würden als wichtiger und erfahrener Akteur auch gerne konstruktiv an der weiteren Regulierung im Krypto-Bereich mitarbeiten.

Sie haben bei Banken wie der UBS grosse IT-Projekte betreut. Wie es heisst, befindet sich auch Bitcoin Suisse in einem aufwändigen Wechsel der Systeme. Wie kommen Sie damit voran?

Wir führen ein Krypto-Kernbankensystem ein. Das beschäftigt uns nun schon fast zwei Jahre. Wir erhalten dabei Unterstützung von einem der weltweit führenden IT-Anbieter, es entsteht also keine Plattform im Eigenbau. Wir stehen nun kurz vor dem Abschluss dieser aufwändigen Arbeiten.

Sie arbeiten neuerdings mit dem Datenspezialisten Lukka zusammen. Ist dies auch in Zusammenhang mit der neuen IT-Plattform zu sehen?

Es braucht die Expertise von Lukka für unsere neue strategische Ausrichtung, an der wir seit Anfang Jahr gefeilt haben. Künftig werden wir uns schwerpunktmässig auf die Kundensegmente der HNWI- und UHNWI-Privatkunden konzentrieren, sowie Institutionen wie unabhängige Vermögensverwalter und Asset Manager, bedienen. Wir wollen diesen Kunden nicht nur das gesamte Spektrum von Krypto-Dienstleistungen bieten, sondern künftig auch als Investment Partner auftreten. In diesem Zusammenhang ist auch geplant, selber oder mit Partnerfirmen Finanzprodukte zu emittieren.

Damit geht Bitcoin Suisse mit grossen Schritten auf das traditionelle Banking zu. Das passt gut zu den Stimmen, die jetzt fordern, die Krypto-Szene müsse mehr so werden wie die Banken. Ist diese Forderung legitim – und sind die Banken der Krypto-Branche zu Recht mit so viel Argwohn begegnet?

Ich sehe es anders rum. Hätten sich die grossen Spieler anfangs aufgeschlossener verhalten und die Finanzinnovation, welche Krypto ja darstellt, früher begleitet – dann hätten wir vielleicht das eine oder andere an negativen Auswüchsen nicht erlebt. Umgekehrt weiss ich, dass zumindest die Schweizer Institute mit Hochdruck an Krypto-Angeboten arbeiten. In zwei Jahren wird jede grössere Bank hier etwas am Start haben.


Dirk Klee ist seit vergangenem April CEO von Bitcoin Suisse. Der gebürtige Deutsche verbrachte die letzten vier Jahre bei Barclays, wo er für das Vermögens- und Anlagegeschäft in Grossbritannien zuständig war. Zuvor arbeitete er als operativer Leiter (COO) im UBS Wealth Management, wo er eine Technologie-Plattform im Wert von 1 Milliarde Dollar sowie einen Robo-Advisor lancierte. Von 2008 bis zu seinem Wechsel zur Schweizer Bank im Jahr 2013 leitete Klee das iShares-Geschäft von Blackrock in Kontinentaleuropa, davor war er Leiter der Geschäftsentwicklung von Pimco in Deutschland und Österreich gewesen. Er hält einen Master und einen Doktortitel in Jura. 

War die Übernahme der Credit Suisse durch die UBS rückblickend gesehen die beste Lösung?
War die Übernahme der Credit Suisse durch die UBS rückblickend gesehen die beste Lösung?
  • Ja, es gab keine andere, wirtschaftlich sinnvolle Alternative.
    26.63%
  • Nein, man hätte die Credit Suisse abwickeln sollen.
    18.56%
  • Nein, der Bund hätte die Credit Suisse übernehmen sollen.
    28.27%
  • Man hätte auch ausländische Banken als Käufer zulassen sollen.
    9.11%
  • Man hätte eine Lösung mit Schweizer Investoren suchen sollen.
    17.43%
pixel