Wann hören die gerechtfertigten Sanktionen gegen Kriegstreiber auf, und wo beginnt der Protektionismus zugunsten der eigenen Wirtschaft? Nach den Massnahmen gegen russische Kunden fürchten die Schweizer Vermögensverwaltungs-Banken nun, zum Spielball fremder Mächte zu werden.

Der Nachvollzug praktisch sämtlicher westlicher Sanktionen gegen russische Privatpersonen und Organisationen nach dem Angriff auf die Ukraine im Februar 2021 brachte das Swiss Banking ans Limit: Die Rede war von bis zu 200 Milliarden Franken Vermögen mit Russland-Konnex, die auf Schweizer Bankkonti liegen und entsprechend überprüft werden mussten. Vermögen im Gegenwert von mehr als 7,5 Milliarden Franken wurden seither auf Geheiss des Bundes in der Schweiz eingefroren.

Ein mickriger Anteil, finden Kritiker – aber mehr als ein Drittel der Summe aller blockierten Vermögenswerte in allen 26 EU-Mitgliedstaaten, moniert man auch beim Bund.

Druck erhöht

So oder so sind die Schweizer Banker weit davon entfernt, in der Russland-Frage aufatmen zu können. Seit Jahresbeginn haben sowohl die USA wie auch die G7-Staaten den Druck auf die Schweiz erhöht, schärfere Sanktionen gegen russische Vermögen durchzusetzen.

Mehr noch: die Sanktionen haben das Blockdenken weltweit befördert, wie die Vereinigung Schweizerischer Assetmanagement- und Vermögensverwaltungsbanken (VAV) in einem neuen Grundsatzartikel zur Einordnung der Sanktionspolitik beobachtet. Im Papier, das finews.ch vorliegt, spricht die Vereinigung vom «Einmarsch der Geopolitik in das globale Finanzsystem» und von einem als Waffe benutzten Finanzwesen. Tatsächlich gingen die Massnahmen des Westens so weit, russische Banken vom globalen Finanznachrichten-System Swift abzuhängen.

Präzedenzlose Sanktionen

Die «präzedenzlos konzipierten» Sanktionen nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine hätten aufgezeigt, dass die Welt multipolarer geworden sei, so die Autoren des Artikels. Es gebe kaum eine Region auf dieser Welt, die nicht unter dem Einfluss des Wetteiferns von Regionalmächten um Vorherrschaft und Einflussnahme stehe. Der Krieg in der Ukraine mache zudem deutlich, «dass sich viele Länder in Afrika, im Nahen und Mittleren Osten sowie in Asien nicht auf einen der globalen Machtpole festlegen wollen. Russland ist damit auf globaler Ebene weniger isoliert als in Europa». In der Folge seien es hauptsächlich westliche Staaten, die als Reaktion auf den Angriff Russlands gegen die Ukraine Sanktionen ergriffen hätten.

Für das Geschäftsmodell der hiesigen Vermögensverwaltungsbanken ist dies ein grundsätzliches Problem. Denn der Schweizer Standort als global wichtigster Offshore-Finanzplatz lebt davon, Kunden aus allen Weltgegenden seine Dienste anzupreisen. Angesichts des neuen Blockdenkens wird das viel schwieriger, insbesondere, wenn gewisse Regionen rabiat durchgreifen können.

Der lange Arm der USA

Das gilt insbesondere für den langen Arm der USA, den die Schweizer Banken noch aus dem Steuerstreit fürchten, der auf die Finanzkrise von 2008 folgte. Doch auch Amerikas Machtanspruch im Dollarraum hat mittlerweile eine Kehrseite. Die Abhängigkeit vom US-Dollar-System verstärke in gewissen Weltregionen die Befürchtung, dass jedes als unfreundlich erachtete Land vom internationalen Finanzsystem relativ einfach ausgeschlossen werden könnte, schreibt die VAV.

Und weiter: «Der durch jede neue Eskalationsstufe in der geopolitischen Konfrontation befeuerte Prozess könnte mittel- bis langfristig zu einer Erosion der Dominanz des US-Dollars als internationaler Währung führen und damit eine unerwünschte Fragmentierung des globalen Finanzsystems und der damit einhergehenden Weltwirtschaftsordnung bewirken.» Dem Wettkampf der Systeme – autoritäre Regimes gegen die liberalen Demokratien des Westens – werde sich die Schweiz nicht entziehen können. Das findet die VAV umso beunruhigender, als auch ein klarer Trend weg von der Globalisierung und hin zu mehr Protektionismus zu beobachten sei. Dieser äussere sich in Handelskriegen, die wiederum zu politisch motivierten Sanktionsmechanismen und unilateralen Gegenmassnahmen führten.

Drittländer wie die Schweiz riskierten dabei, «ungerechtfertigt in Mitleidenschaft gezogen zu werden, indem sie zunehmend gedrängt werden, sich politisch und wirtschaftlich zu einer Seite zu bekennen».

Sanktionsrecht instrumentalisiert?

Darunter leidet die Wahrnehmung der Schweizer Neutralität, welche – und das erwähnt das Papier nicht – seit jeher ein «USP» des Schweizer Offshore-Banking ist. Im Zuge der Russland-Sanktionen sorgten sich hiesige Banker denn auch um das Image der Schweiz als Hort der Sicherheit bei den Kunden in anderen Schwellenstaaten. In Asien, im Nahen und Mittleren Osten sowie in Afrika und Lateinamerika sei die Wahrnehmung der Schweizer Neutralität überwiegend positiv, beobachten nun die Autoren des Artikels. «Die Neutralität trägt massgeblich zur guten Reputation der Schweiz bei und wird oftmals mit ihrer Vermittlerrolle verknüpft.» In Europa und im angelsächsischen Raum hingegen habe das Verständnis für die Schweizer Neutralität abgenommen, und die Wahrnehmung sei bisweilen negativ.

Kurz, das Schweizer Banking droht zwischen die Fronten protektionistischer Handelskriege zu gelangen, und die für den Brand wichtige Neutralität des Standorts leidet. Angesichts dieses Szenarios gibt sich die Branchenvereinigung teils kämpferisch. Wenn das Sanktionsrecht für rein geopolitische Zwecke instrumentalisiert wird, solle sich unser Land vorbehalten, diese nicht oder nur teilweise zu übernehmen, empfiehlt die VAV der Schweiz.

Wenigstens mitgestalten

Gleichzeitig weiss man in den führenden Schweizer Finanzzentren Genf und Zürich, dass der Spielraum für eine solche Weigerungshaltung verschwindend klein ist. Wichtig sei es darum, künftige Sanktionsregimes wenigstens mitzugestalten. «Die Schweiz soll sich – im Interesse der Effektivität der Massnahmen – international aktiv dafür einsetzen, dass internationale finanzielle Sanktionsmassnahmen zumindest unter gleichgesinnten Staaten wie den USA, der EU, Grossbritannien und der Schweiz selber möglichst koordiniert und harmonisiert werden», fordert die Vereinigung.

Dabei sei darauf zu achten, dass auch wichtige Finanzplätze ausserhalb dieser Staaten möglichst mit einbezogen werden, um das «Level Playing Field» sicherzustellen.

Denn das ist eine weitere Befürchtung der Vermögensverwaltungsbanken, den sie auch aus den jahrelangen Verhandlungen über den Marktzutritt in die EU gut kennen. Schweizer Institute verfügen demnach im Ausland über kürzere Spiesse als die heimische Konkurrenz, müssen aber trotzdem sämtliche örtlichen Regeln einhalten. Dieser Mechanismus droht sich nun bei der Sanktionspolitik zu wiederholen: Während ausländische Konkurrenten nur die Regeln des eigenen Machtblocks befolgen, haben die Schweizer Offshore-Dienstleister sämtlichen irgendwo gültigen Vorschriften zu genügen.

Unterschiedlicher Umgang mit Russen

Anzufügen ist hierzu, dass sie das wenigstens teilweise nach eigenem Ermessen tun. So sind die Genfer Union Bancaire Privée (UBP) und die Zürcher Häuser Vontobel und Julius Bär zwar allesamt Mitglieder der VAV. Allerdings handhaben sie das Geschäft mit reichen Russen unterschiedlich.

Vontobel hat sich völlig aus dem Business zurückgezogen, während Julius Bär zwar keine Neukunden mehr annimmt, aber nicht sanktionierte Klientel mit Russland-Konnex weiterhin bedient. UBP-Chef Guy de Picciotto sagte derweil vergangenen April zu finews.ch, seine Bank eröffne noch Konten für diese Kundschaft. Dies, «wenn sie eine zweite Staatsbürgerschaft besitzen, und wir eindeutig wissen, dass sie ein europäisches Domizil haben, respektive ausserhalb Russlands ansässig sind», so der CEO. Auch unter Vermögensverwaltungs-Banken werden die Spiesse zuweilen nicht auf die gleiche Weise geführt.

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