Während die Schweiz in der Coronapandemie fast wieder Normalität feiert, müssen sich Schweden den Preis für ihre Politik bezahlen, nirgends mehr willkommen zu sein, wie der schwedische Ökonom Stefan Westerberg im Interview mit finews.ch sagt.

Europa findet langsam den Weg zurück aus der Covid-19 Krise. Demgegenüber scheint Schweden nach wie vor voll und ganz im Griff des Virus zu sein – wie beurteilen Sie das Handling der Krise?

Es ist schwierig, jetzt schon gültige Schlussfolgerungen zu den Massnahmen der schwedischen Behörden und der Politik zu ziehen. Dies mit Blick auf die Tatsache, dass wir möglicherweise das Ende des Verlaufs noch nicht erreicht haben und wir vielleicht erst in einem Jahr richtig einschätzen können, wie gut die schwedische Strategie funktioniert hat.

Aber es ist sehr problematisch, dass so viele ältere Menschen in Schweden bis heute verstorben sind, sowohl total gesehen als auch im Verhältnis zur Grösse der Bevölkerung und im Vergleich zu unseren Nachbarländern.

War der schwedische Weg aus Sicht der Wirtschaft ein Erfolg?

Nochmals, dies zu beurteilen ist zu früh. Was wir beobachten können, ist dass Wirtschaft, Geschäfte und Arbeitsmarkt äusserst hart getroffen wurden. Natürlich hat Schweden weniger stark zugemacht als andere Länder, aber wir mussten trotzdem grosse Teile der Gesellschaft runterfahren, massive interne und externe Reisebeschränkungen einführen und schwerwiegende Empfehlungen bezüglich dem Social Distancing aussprechen. Diese haben zu den grossen negativen Konsequenzen für die Wirtschaft und den Arbeitsmarkt beigetragen.

«Es dauerte ziemlich lange, bis Hilfe kam, und sie war weniger umfassend als anderswo»

Die Wirtschaft hat die Einführung von Reisebeschränkungen und Empfehlungen zum Einhalten der Distanz grossmehrheitlich mitgetragen. Aber diese Massnahmen müssen mit vernünftigen und rechtmässigen finanzpolitischen Massnahmen unterstützt werden, um den Firmen die Möglichkeit zum Überleben zu geben.

War denn die Regierung schnell genug mit ihren Massnahmen?

Unser Erachtens brauchte es ziemlich lange, bis die Regierung rechtmässige Hilfsmassnahmen eingeführt hat und sie sind weniger umfassend ausgefallen als in anderen Ländern. Dies hat dazu beigetragen, dass es viele Arbeitslose gegeben hat und viele Firmen Konkurs gegangen sind.

Langfristig werden wir sehen, wie stark Schweden als offene Volkswirtschaft vom Lockdown in anderen Ländern betroffen sein wird.

Auch die umliegenden Länder haben zum Teil wenig erfreut auf die schwedische Strategie reagiert.

Im Moment sehen wir, dass viele Länder eine andere Einschätzung haben bezüglich des Risikos, schwedische Touristen zu empfangen. Dies trifft Schweden ungleich härter und es wird auch den Zustrom von ausländischen Touristen nach Schweden beeinflussen. Dies kann zu grossen, negativen Konsequenzen für die Tourismusindustrie in Schweden führen. Diese lebt von den Einnahmen in den Sommermonaten.

In diesem Zusammenhang ist es äusserst problematisch, dass die Unterstützungsmassnahmen für Firmen, die einen grossen Teil ihres Geschäfts verloren haben, nur für die Monate März und April gelten. Unseres Erachtens braucht es die Unterstützung auch im Mai und in späteren Monaten.

Von aussen betrachtet war die schwedische Strategie sehr stark personalisiert und fokussierte auf den Staatepidemiologen Anders Tegnell. Wie stark sehen Sie die Regierung hier in der Pflicht und wird die Coronakrise auch die Popularität der Regierung betreffen?

Anders Tegnell hatte tatsächlich einen grossen Handlungsspielraum. Dies hat auch mit der Struktur des schwedischen Staates zu tun, wo die Behörden traditionellerweise organisatorisch mehr unabhängig sind als anderswo.

Gleichzeitig ist die schwedische Regierung natürlich vom Volk gewählt. Sie hat für die Bekämpfung der Pandemie der Gesundheitsbehörde und Anders Tegnell den Auftrag gegeben, ihr Vorschläge für die korrekte Strategie auszuarbeiten. Das juristische Mandat ist deshalb bei der Regierung, und nicht bei einer einzelnen Behörden.

Ich habe vor ein paar Wochen geschrieben, dass Schweden einen hohen Preis bezahlt habe für seinen Erfolg in der Krise. Eine hohe Zahl an Todesopfern steht einer wirtschaftlichen Situation gegenüber, die etwas besser als in vergleichbaren Ländern scheint. Einverstanden?

Möglich, aber schwer zu sagen im Moment. Schweden hat tatsächlich mehr Todesopfer zu beklagen als die Nachbarländer. Aber es ist schwierig zu sagen, wann man den «Kassensturz» erstellen kann. Die Zahlen können sich ja noch verändern, sobald die Länder ihre Massnahmen wieder runterfahren. Gleichzeitig erscheint es unwahrscheinlich, dass die Nachbarländer in punkto Todesopfer bald die gleiche Höhe erreichen wie Schweden – aber man soll nie nie sagen.

Wirtschaftlich gesehen wurde Schweden sowohl nachfrage- als auch angebotsseitig hart getroffen. Der volkswirtschaftliche Schaden ist historisch gross. Gemäss IMF wird die Wirtschaft in Schweden 7 Prozent schrumpfen.

«Aus Sicht der Wirtschaft wäre es sinnvoll, mehr zu testen»

Es kann aber sein, dass Schweden weniger stark getroffen wurde als andere Länder. So sind die Detailhandelszahlen im April lediglich um 3 Prozent gesunken im Vorjahresvergleich. Der Durchschnitt in der EU betrug minus 27 Prozent (gemäss Eurostat).

Es ist natürlich weiterhin unklar, wie Schweden auf die lange Sicht hinaus betroffen sein wird. Es wird vielleicht ein Jahr dauern, bis wir mit Sicherheit sagen können, wie gut oder schlecht die Wirtschaft sich im Vergleich zu anderen Ländern entwickelt hat.

Wenn Sie zurückblicken, denken Sie, dass die Regierung anders hätte handeln sollen?

Grundsätzlich habe ich keine offizielle Meinung zum Handling der Krise der Regierung, abgesehen mal davon, dass es aus volkswirtschaftlicher Sicht sicherlich sinnvoll wäre, wenn mehr Menschen getestet würden, um die Rückkehr zu normaleren Verhältnissen zu ermöglichen. Ohne Testen im grossen Stil, was nicht passiert ist, gibt es eine Unsicherheit. Dies führt zu unnötig grosser sozialer Distanz und eine unnötig grosse Unsicherheit im Wirtschaftsleben, und das ist nicht gut fürs Geschäft.

Aus der Perspektive der Wirtschaft hätte die Regierung schneller ihre Stützmassnahmen beschliessen sollen, die ja rechtmässig sind, da die Krise weder ein Folge ihrer Politik oder aus strukturellen Gründen entstanden ist.

Und bezüglich der einzelnen Massnahmen?

Das erste Stützpaket der Regierung beinhaltete Kredite für Firmen zu einem hohen Zins von 6,7 Prozent, die nur sehr selten in Anspruch genommen wurden.

Die weiteren Massnahmen des Staates waren gut, aber es war deutlich, dass sie auf grosse industrielle Firmen ausgerichtet waren und weniger auf kleinere Firmen im Dienstleistungssektor. Viele Firmen können deshalb die Stützmassnahmen gar nicht brauchen.

«Ich erwarte eine langfristig höhere Arbeitslosigkeit»

Künftig wird es deshalb wichtig sein, die Ausformulierung der Massnahmen zu verbessern und sie so belastbar zu machen, dass sie auch für eine länger dauernde Krise taugen. Insbesondere müssen Branchen unterstützt werden, die stark betroffen sind, also beispielsweise der Tourismus.

Welche längerfristigen Auswirkungen erwarten Sie?

Die Auswirkungen werden vielfältig, tiefgreifend und langfristig sein. Eine von mehreren Konsequenzen wird eine langfristig höhere Arbeitslosigkeit sein. Dies wird zu persönlichen Tragödien, aber auch hohen Kosten für die Allgemeinheit führen, falls nicht grosse strukturelle Reformen als Antwort auf die Krise an die Hand genommen werden.

Schweden hatte schon vor der Krise einen schwachen Arbeitsmarkt mit vielen Langzeitarbeitslosen. Etwa 40 Prozent aller Arbeitslosen sind langfristig ohne Beschäftigung. Dieser Anteil könnte noch grösser werden, wenn die Konkurrenz um Stellen nach Corona noch zunimmt.

Die Krise wird auch grosse Auswirkungen auf den globalen Warenfluss, die Bedeutung von öffentlichen Wohlfahrtseinrichtungen (und damit höhere Steuern), der finanzpolitische Rahmen und die Geldpolitik haben. Diese wird sich zur Unterstützung der Finanzpolitik an anderen Zielkriterien ausrichten müssen.

Sehen Sie trotzdem einen Silberstreifen am Horizont?

Die Krise wird zu strukturellen Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt und in der Gesamtwirtschaft führen. Firmen haben die Tendenz, in der Krise ihre Aktivitäten zu hinterfragen und mittels Effizienzsteigerungen zu verbessern. Deshalb wird die Coronakrise die technologische Transformation der Gesellschaft vorantreiben, die Produktionsformen verändern und unsere Art zu arbeiten.

Ganz viele von uns haben in kurzer Zeit gelernt, im Homeoffice zu arbeiten, online einzukaufen und dies wird sich auch nach der Krise bleiben und sogar noch akzentuieren.

Gewissen Branchen werden wohl stärker betroffen sein (Detailhandel, Flugindustrie), aber die Digitalisierung ist für das Wachstum, die Arbeit und Volkswirtschaft positiv. Sie fördert Innovation, neue Firmen und andere Arbeitsformen.


Stefan Westerberg ist seit Oktober 2018 Chefökonom der Handelskammer von Stockholm. Vorher arbeitete er im Grad eines Vizedirektors als Berater des Handelsministers im Aussendepartement, wo er unter anderem für handelspolitische Fragen zuständig zeichnete. Er diente drei verschiedenen Handelsministern während seinen sieben Jahren im Aussendepartement.  Westerberg studierte in Barcelona und Stockholm. Er besitzt einen Masterabschluss in Volkswirtschaftslehre.

 

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