Aufgeblähte Erträge aufgrund der unerwartet hohen Zinsmargen treiben die Bewertungen von Privatbanken und externen Vermögensverwaltern nach oben und lassen so die potenziellen Käufer zögern, für eine temporäre Situationen mehr zu bezahlen, schreibt Ray Soudah, Präsident von Millenium Associates, in seinem Artikel für finews.ch.

Zahlreiche Fachleute in der Schweiz prognostizieren seit langem eine überfällige Konsolidierung im Finanzsektor. Die Gründe für diese Annahme liegen auf der Hand: Höhere Compliance- und Technologiekosten, intensiver Wettbewerb, fehlende Skaleneffekte und neue Bewilligungsanforderungen, insbesondere für externe Vermögensverwalter (EAMs), würden die einzelnen Akteure immer mehr unter Existenzdruck setzen. Doch in Tat und Wahrheit hat sich dieser Prozess bis heute nie in dem erwarteten Ausmass vollzogen.

Selbst die erhöhten Bewilligungsanforderungen der Eidgenössischen Finanzmarktaufsicht (Finma) führten bislang nicht zu einer spüren Zunahme von Fusionen und Übernahmen im EAM-Bereich. Im vergangenen Jahr wurde überdies fast keine Privatbank ver- oder gekauft – mit der bemerkenswerten Ausnahme der staatlich angeordneten Übernahme der Credit Suisse (CS), notabene mit einem grossen Private-Banking-Geschäft, durch die Rivalin UBS.

Überraschte Manager

Ironischerweise sind die Behörden und Notenbanken die wesentlichen Verhinderer der mehrheitlich ausgebliebenen Konsolidierung. Viele Zentralbanken, darunter auch die Schweizerische Nationalbank (SNB), haben im Zuge der Pandemie die Zinsen drastisch gesenkt, um ihre Volkswirtschaften zu stützen. Darüber hinaus haben zahlreiche Staaten durch die finanzielle Unterstützung von Unternehmen, insbesondere kleiner und mittelgrosser Firmen, steuerliche Anreize in einem noch nie dagewesenen Ausmass geschaffen.

Mit solchen Hilfen wurden entsprechend auch Unternehmen gestützt, die im Normalfall wegkonsolidiert worden wären. Hinzu kommt, dass sich die Aktienmärkte während der Pandemie im Allgemeinen gut entwickelten. Dadurch fielen die Gewinne im Finanzsektor höchst erfreulich was, was in einigen Fällen selbst die Aktionäre und das Management von Privatbanken und Vermögensverwaltern überraschte.

Billiges Geld

Tatsächlich subventionierten die niedrigeren Zinssätze die Finanzierungskosten von Privatbanken und Vermögensverwaltern. Vielen Kundinnen und Kunden mussten Negativzinsen bezahlen, wenn sie ihre Barmittel zur Verwahrung bei einer Bank anlegten. Für viele Institute war dies die «unsichtbare, helfende Hand», die sie über Wasser hielt. «Ihr Bargeld wollen wir nicht, doch kaufen Sie bitte Wertschriften», lautete die Botschaft vieler unabhängiger Vermögensverwalter an ihre Kundinnen und Kunden.

Einige Privatbanken gingen sogar so weit, die Höhe der Einlagen zu begrenzen, die sie von jedem Kunden akzeptierten, und zwar in den meisten wichtigen Währungen. Diese Ära des billigen Geldes war ein weiteres Beispiel dafür, dass die Behörden und Zentralbanken «alles tun, was nötig ist und wie lange es nötig ist», um ihre Volkswirtschaften zu schützen.

Monetärer Schock

Man könnte also argumentieren, dass die Zentralbanken, einschliesslich der hoch angesehenen SNB, faktisch für die mangelnde Konsolidierung des Schweizer Finanzsektors mitverantwortlich waren.

Aber all das änderte sich, und die Prognostiker kündigten erneut die bevorstehende Welle von Fusionen und Übernahmen an, als sich die Inflation nach dem Ende der Pandemie und den Auswirkungen der russischen Invasion in der Ukraine auf die Energie- und Lebensmittelpreise niederschlug.

Die Zentralbanken, einschliesslich der SNB, gingen dazu über, die Zinsen zu erhöhen. Tatsächlich kündigten sie an, dass sie nun plötzlich «alles tun, was nötig ist, und wie lange es auch dauert», um die Inflation durch geldpolitische Instrumente zu bekämpfen. Sie schränkten im Wesentlichen die Kreditvergabe ein und förderten die Geldzuflüsse in den Bankensektor.

Privatbanken und Vermögensverwalter nutzten den monetären Schock und gaben die Einnahmen nur zögerlich an die Kundinnen und Kunden weiter. Das wiederum verhalf den Finanzinstituten zu Rekordgewinnen im vergangenen Jahr, die sie recht eigentlich gar nicht verdient hatten.

Wunderbare Gewinne

Ihrer Kundschaft legten die Banken und Vermögensverwalter nahe: «Bleiben Sie im Bargeld, es ist sicherer in diesem gefährlichen geopolitischen Umfeld mit hoher Inflation». Eine weitere Ironie ist, dass sich die Aktienmärkte in dieser Zeit gut hielten und teilweise sogar markant zulegten, was die Erträge der Banken und unabhängigen Vermögensverwaltern weiter erhöhte. Das Nachsehen hatten die Kundinnen und Kunden.

So kam es erneut nicht zu einer Konsolidierung. Wieder einmal hatten die Zentralbanken den Sektor gerettet – es gab keine Motivation zu fusionieren oder zu verkaufen, solange man so wunderbare Gewinne erzielte!

Die Stärke des Franken und die hierzulande tieferen Zinsmargen reichten nicht aus, um dieses Phänomen zu stoppen, und tatsächlich wurde und wird ein grosser Teil der verwalteten Vermögen in der Schweiz in ausländischen Währungen gehalten, deren Zinsmargen höher sind als in der Schweiz, was den Sektor noch zusätzlich unterstützt.

Überdurchschnittlich hoher Lebensstandard

Die Zentralbanken sind jedoch nicht die einzigen Akteure, welche die M&A-Aktivitäten hierzulande blockieren. Kulturelle Probleme und die Boni in der Branche verschleppen die Konsolidierung ebenso. Schuld sind vor allem die Besitzer von Privatbanken und externen Vermögensverwalter (denen oft nachgesagt wird, dass sie mit Nachfolgeproblemen konfrontiert seinen). Tatsache ist, dass sich diese Leute unter den beschriebenen Bedingungen weiterhin einen überdurchschnittlich hohen Lebensstandard leisten können und in ihrer Geschäftstätigkeit erst noch relativ unabhängig sind.

Selbst bei der CS zögerten das Management und der Verwaltungsrat, sich der Realität zu stellen, da sie ihre Unabhängigkeit schätzten und übersahen, dass sie externen Ereignissen ausgesetzt waren, die ihre Überlebenschancen beeinträchtigten. Ironischerweise war die UBS, die 2008 selbst von der SNB gerettet wurde, die einzige Bank, die zur Rettung kam. Die CS ihrerseits hatte während der Finanzkrise vor rund 15 Jahren staatliche Hilfen abgelehnt.

In vielen M&A-Verhandlungen tritt die Angst, seinen Elitestatus und die Vorteile eines hohen Lebensstandards zu verlieren, früher oder später auf. Darüber hinaus treiben aufgeblähte Erträge dank der höheren Zinsmargen die Bewertungen von Privatbanken und unabhängigen Vermögensverwaltern nach oben, was potenzielle Käuferinnen und Käufer zögern lässt, für eine temporäre Situation zu zahlen.

Überteuerte Vorstellungen

Was ist mit Blick in die Zukunft zu erwarten? Nach wie vor verkünden viele Privatbanken und Vermögensverwalter stolz, dass sie willens seien, ihre Konkurrenten zu übernehmen, weil sie über Plattformen mit überschüssigen Kapazitäten und überschüssigem Kapital verfügen. Sie gehen davon aus, dass sie den anderen überlegen sind und es verdienen, diejenigen zu sein, die aufkaufen und konsolidieren.

Diese Sicht ist in gewisser Weise eine Fiktion, wenn es um konkrete Transaktionen geht. Denn der Teufel steckt im Detail, und die meisten Deals scheitern an einer Vielzahl von strukturellen und kulturellen Problemen sowie überteuerten Bewertungsvorstellungen der Verkäufer.

Darüber hinaus knabbern Online-Banken am Geschäft traditioneller Geldhäuser und setzen diese unter Druck, ihre Konkurrenten zu übernehmen. Selbst die Kantonalbanken halten mittlerweile Ausschau nach Akquisitionsobjekten im Private Banking. Alle diese Faktoren führen zweifelsohne zu einer Kaufnachfrage. Doch die meisten Verkäufer sind nicht bereit zu verkaufen. Sie sehen derzeit keinen Grund dafür, es sei denn, es würde ihnen ein überhöhter Preis angeboten – doch das ist kaum der Fall.


Ray Soudah gegründete zur Jahrtausendwende die Schweizer M&A-Firma Millenium Associates, die sich auf die strategische Beratung in der Finanzbranche, namentlich in der Vermögensverwaltung, spezialisiert hat. Heute amtet er als deren Verwaltungsratspräsident. Zuvor hatte er verschiedene leitende Positionen bei der Citigroup und der Midland Montagu Investment Banking inne. Anschliessend war er bei der National Bank of Bahrain und der Cedel Bank (umbenannt in Clearstream) tätig. Später, von 1998 bis 2000, war er Managing Director und Mitglied der Geschäftsleitung im Private Banking des Schweizerischen Bankvereins (heute UBS). Er ist Absolvent der Harvard Business School und INSEAD.

War die Übernahme der Credit Suisse durch die UBS rückblickend gesehen die beste Lösung?
War die Übernahme der Credit Suisse durch die UBS rückblickend gesehen die beste Lösung?
  • Ja, es gab keine andere, wirtschaftlich sinnvolle Alternative.
    26.69%
  • Nein, man hätte die Credit Suisse abwickeln sollen.
    18.57%
  • Nein, der Bund hätte die Credit Suisse übernehmen sollen.
    28.18%
  • Man hätte auch ausländische Banken als Käufer zulassen sollen.
    9.05%
  • Man hätte eine Lösung mit Schweizer Investoren suchen sollen.
    17.5%
pixel