Networking und Co-Creation sind so wichtig wie nie zuvor. Ein Trend, der ganze Branchen beeinflusst und auch vor der Finanzbranche nicht Halt macht. Das Schlagwort der Stunde: Ecosystems.

Von Patrik Spiller, Partner, Leiter Monitor Deloitte Strategy Consulting und Wealth Management Industry; Cyrill Kiefer, Partner, Leiter Banking Consulting, und Jan Seffinga, Partner, Banking Consulting, Deloitte Schweiz

Die Kooperation mit Online-Geldtransfer-Services wie Transferwise oder die Integration von Crowdfunding- und Crowdlending-Plattformen wie funders.ch in traditionelle Anlageportfolios einer Bank sind zwei aktuelle Beispiele von Ecosystems.

Stärker betroffen

Unternehmen, Konsumenten oder Institutionen schliessen sich – oft branchenübergreifend – zu Gemeinschaften zusammen, um Ressourcen zu nutzen und Werte zu definieren und damit kundenorientierte Lösungen zu schaffen.

Auch die Finanzindustrie ist von dieser Entwicklung immer stärker betroffen. Ein Grund für diesen Trend sind innovative Technologien und deren zunehmende Vernetzung, die einerseits neue Produkte und Services ermöglichen und andererseits die Zusammenführung unterschiedlicher Kompetenzen erfordern.

Welche Rolle spielen die Banken?

Wie hoch ist der Stellenwert von Ecosystems bei Schweizer Banken und Versicherungen? Und welche Rollen nehmen Schweizer Banken und Versicherungen zukünftig in branchenübergreifenden Ecosystems ein?

Das Beratungsunternehmen Deloitte hat dazu gemeinsam mit dem Business Engineering Institute St. Gallen für die Studie «Ecosystem 2021 – Gestaltung und Positionierung der Finanzindustrie» Finanzdienstleister in der Schweiz und Deutschland befragt.

«Ecosysteme sind eine Realität und werden für Finanzdienstleister immer wichtiger», erklärt Patrik Spiller, Partner bei Deloitte und zuständig für Monitor Deloitte Strategy Consulting und die Wealth Management Industrie in der Schweiz.

Deloitte Ecosystem 500Übersicht der Rollen im Ecosystem. Quelle: Deloitte Schweiz.

Über die Hälfte der Studienteilnehmer ist bereits heute in Ecosystems aktiv; 77 Prozent der Studienteilnehmer sind der Ansicht, dass Ecosysteme zukünftig eine hohe Bedeutung für das Wachstum ihres Unternehmens haben werden. Branchenexperten gehen davon aus, dass bis 2025 rund 30 Prozent der weltweiten Erträge der Finanzindustrie in branchenübergreifenden Ecosystems erwirtschaftet werden.

Allerdings stellen Ecosysteme Finanzdienstleister auch vor neue strategische Herausforderungen. Wie können Unternehmen die zunehmende Vernetzung mit der eigenen Positionierung in Einklang bringen?

«Survival of the Fittest»

Alle Entwicklungen in der Finanzbranche weisen deutlich in Richtung zunehmender Vernetzung, wo Services künftig mehr im Netzwerk erbracht und Teilnehmer nur noch begrenzt über herkömmliche Verträge steuerbar sein werden. Wie in jedem Ecosystem ist auch hier erfolgreich, wer sich an die äusseren Gegebenheiten anpassen kann. Betriebs- und Geschäftsmodelle müssen sich auf allen Ebenen verändern, um auch in komplexen Netzwerken bestehen zu können.

Konkret bedeutet das beispielsweise, dass sich Finanzdienstleister auf ein völlig neues Konkurrenzverständnis einstellen müssen. Um in einem Ecosystem erfolgreich zu interagieren, müssen Kooperationen eingegangen werden – auch ausserhalb der eigenen Komfortzone.

Branchenfremde Unternehmen

«Über Ecosysteme werden vermehrt branchenfremde Unternehmen in die Finanzindustrie vordringen. Vor allem die Zusammenarbeit mit Technologieanbietern – kleinere Fintechs wie auch Bigtechs – wird immer mehr zur Normalität werden, um Kunden innovative digitale Lösungen anbieten zu können. Denn der Kunde ist der König des Ecosystems», erklärt Cyrill Kiefer, der Banking Consulting bei Deloitte leitet. Erfolgreiche Netzwerke stellen das Kundenbedürfnis kompromisslos in den Mittelpunkt ihrer Aktivitäten. Die Kunden profitieren von besseren Produkten und Services.

Die Studie zeigt auch: Nur wenn Mitarbeitende vernetzt denken, können Unternehmen erfolgreich miteinander agieren. Aktuell sind aber die Fähigkeiten, die zur Co-Creation benötigt werden, bei vielen Finanzdienstleistern nur unzureichend vorhanden. Mitarbeitende werden in Zukunft also ganz anders ausgebildet und gefördert werden müssen. Neben Sozialkompetenzen und interkultureller Kompetenz wird auch Verständnis und Interesse für technologische Lösungen immer wichtiger.

Und sie lebten glücklich zusammen?

Das «Mitmachen» an Ecosystems bringt für Finanzdienstleister also vielversprechende Aussichten mit sich: Stärkere Kundenbindung und ganzheitliche Fokussierung auf Kundenbedürfnisse, neue Formen der Erlösgenerierung, Einbindung spezia­lisierter Partner sowie die Aufteilung von Kosten. Die neue Vernetzung bringt aber auch Risiken mit sich.

Durch die Einbindung von branchenfremden Unternehmen entstehen neue Konkurrenzverhältnisse. Bigtechs verfügen über einen direkten Zugang zu einer breiten Masse von Endkunden, über Datenstämme, technologisches Fachwissen und einen hohen Bekanntheitsgrad. Derart ausgerüstet ist es für sie ein leichtes, in die Finanzindustrie vorzudringen oder ihre bestehende Rolle darin weiter auszubauen – was im Extremfall dazu führen kann, dass die Daseinsberechtigung eines Finanzdienstleisters komplett in Frage gestellt wird.

Eigene Stärken kennen

Gleichzeitig birgt der Einsatz von neuen Technologien Risiken für die Datensicherheit. Dabei ist Datenschutz gerade bei Schweizer Finanzdienstleistern ein grosses Vertrauensargument in den Augen vieler Kunden. Wie können Unternehmen diesen Teil ihrer Markenidentität bewahren?

«Finanzdienstleister werden deshalb lernen müssen, ihren ‹Sweet Spot› im Ecosystem zu finden, sich ihrer eigenen Stärken noch bewusster zu werden, diese gezielt einzubringen und sich in Ecosystems dementsprechend klar zu positionieren», sagt Jan Seffinga, Partner, Banking Consulting bei Deloitte.

Strategie ist Trumpf

Eine klare Strategie kann für Erfolg oder Misserfolg in einem Ecosystem entscheidend sein – sowohl für einzelne Unternehmen als auch für das Ecosystem an sich. Teilnehmer sollten definieren, was die Vernetzung konkret leistet, wie sie ausgestaltet werden soll, und welchen regulatorischen Rahmenbedingungen sie folgt.

Diese Strategie muss in einzelnen Transformationsschritten umgesetzt werden. Dann können Ecosysteme einen entscheidenden Beitrag zur Beschleunigung des Wachstums für Finanzdienstleister leisten.