Könnte die Nationalbank Trump zur Räson bringen?
Ausgerechnet an ihrem Nationalfeiertag landete die Schweiz auf dem harten Boden der internationalen Realpolitik. Donald Trump verkündete für sie einen Zollsatz von 39 Prozent, ein Wert, der selbst die schlimmsten Befürchtungen übertrifft. Nun haben Bundesrat und Wirtschaft Zeit bis zum 7. August, um das Schlimmste für die Schweizer Exportunternehmen abzuwenden.
Vielleicht hat der US-Präsident ein Einsehen und verschiebt die Deadline von sich aus nach hinten. Die Landesregierung verlässt sich indes nicht darauf und geht nun gewissermassen auf Tuchfühlung: Am Dienstag sind Bundespräsidentin Karin Keller-Sutter und Wirtschaftsminister Guy Parmelin nach Washington geflogen, «um kurzfristige Treffen mit den US-Behörden zu ermöglichen und Gespräche im Hinblick auf eine Verbesserung der Zoll-Situation der Schweiz führen zu können», wie es im entsprechenden Communiqué heisst.
Ein bunter Strauss von exotischen Vorschlägen
Stein des Anstosses für Trump ist offensichtlich der hohe Überschuss von rund 40 Milliarden Dollar, den Schweizer Unternehmen im Warenhandel mit der US-Wirtschaft jährlich erzielen. Derzeit kursieren verschiedene Vorschläge, die in normalen Zeiten die Diagnose «absurd» oder zumindest «exotisch» verdienen würden.
Dazu gehört etwa die Idee, die Statistiken so anzupassen, dass bestimmte Waren zu Dienstleistungen umklassiert werden, weil die Dienstleistungsbilanz (zusammen mit der Handelsbilanz die wichtigste Komponente der Leistungsbilanz) Trump nicht interessiert. Das wäre in normalen Zeiten ein heikler Eingriff in die Unabhängigkeit und Integrität der für die statistischen Berechnungen zuständigen Behörden, wenn auch nicht so gravierend wie das Zielen auf unliebsame Köpfe; Trump höchstselbst hat jüngst die Chefin des Büros für US-Arbeitsstatistiken entlassen, missfielen ihm doch deren Botschaften.
Prüfenswerter Ausstieg aus der OECD-Mindeststeuer
Etwas weniger kreativ ist der Vorschlag, Exporte in die USA transitmässig durch Länder zu schleusen, die einen tieferen Zollsatz ausgehandelt haben – eine etwas gar durchsichtige Schlaumeierei. Durchaus prüfenswert ist dagegen (ganz unabhängig vom Zollkonflikt) ein Schweizer Ausstieg aus der OECD-Mindeststeuer für grosse Unternehmen, zumal die USA und andere Länder diese gar nie umgesetzt haben.
Um das Handelsbilanzdefizit zu verringern und Trump zu besänftigen, könnte die Schweiz auch mehr amerikanische Waren importieren, also z.B. Flüssiggas und Steaks, oder (noch) mehr in den USA investieren. Möglicherweise läuft es auf solche Zusagen hinaus. Angesichts des damit für die (idealerweise nur den Marktkräften unterworfene) (Aussen-)Wirtschaft verbundenen Dirigismus sträuben sich allerdings bei jedem, der mindestens noch ansatzweise über die Notration eines ordnungspolitischen Gewissens verfügt, die Nackenhaare.
Schuldzuweisungen an die Pharma
Es gibt nicht nur Ideen, sondern auch Schuldzuweisungen. Unter Druck gerät speziell die (bisher von den Zöllen ausgenommene) Schweizer Pharmaindustrie, deren Produkte fast die Hälfte der helvetischen Exporte in die USA ausmachen. Die Solidarität mit dieser Branche dürfte auch in wirtschaftsfreundlichen Kreisen, von der Grossregion Basel abgesehen, deutlich weniger ausgeprägt sein als beispielsweise mit Unternehmen, die Maschinen und andere technische Geräte herstellen.
Der unabhängige Ökonom und Berater Adriel Jost bringt das allgemeine Unbehagen über diesen Sektor in einem Kommentar wie folgt auf den Punkt: «Die ausserordentlich hohen Margen der Pharmaunternehmen (bei gleichzeitig sehr hohen Löhnen ihrer Angestellten) sind tatsächlich kaum zu rechtfertigen» – und liefert damit dem US-Präsidenten Munition, der sich bekanntlich als weiteres Ziel gesetzt hat, die Preise für Medikamente in seinem Land deutlich zu senken.
Déjà-vu für die Banken – aber diesmal sind nicht sie der Bad Guy
Man kann zur Verteidigung der Pharma vorbringen, dass sie sich so verhält, wie dies wohl jedes Unternehmen täte, wenn es die Bedingungen erlauben würden – nämlich ihre Gewinne innerhalb des vom Markt, von der Gesellschaft und den Behörden vorgegebenen Rahmens maximiert.
Insbesondere Bankenvertreter sollten für die Nöte der Pharma ein gewisses Verständnis aufbringen können, auch wenn sie diesmal (weil sie keine Waren produzieren) nicht selber am Pranger stehen.
Immerhin war es ihre Branche, die in den letzten Jahrzehnten – angefangen von der Kontroverse zu den nachrichtenlosen Vermögen in den Neunzigerjahren über den Steuerstreit (mit dem Opfer der Bank Wegelin) bis hin zum Untergang der Grossbank Credit Suisse (ohne Anspruch auf Vollständigkeit) – den USA (und bei anderen Gelegenheiten weiteren ausländischen Staaten) immer wieder einen Hebel geboten haben, um Druck auf die Schweiz auszuüben, Geld herauszuholen und die Wettbewerbsbedingungen zu ihren Gunsten zu verändern.
Schuld und Verantwortung der Geldpolitik
Man kann auch, wie dies jüngst auf finews.ch Unternehmer und Professor Martin Janssen tat, gleich eine ganze Breitseite abfeuern und «die seit Jahren fehlgeleitete Geldpolitik der Schweizerischen Nationalbank (SNB), den Importschutz der Pharma und damit verbunden eine ungenügende Innovation in dieser Industrie, das Wachstum des Staates und die zunehmende Regulierung weiter Bereiche der Wirtschaft» für den Unmut der USA verantwortlich machen.
Insbesondere die SNB dient Janssen als probater Sündenbock. Sie habe mit ihrer «unnötigen Tiefzinspolitik» (und, so wäre zu ergänzen: «mit massiven Devisenkäufen») den Franken geschwächt, um Exporte zu befeuern, mit entsprechenden Auswirkungen auf die Notenbank- und die Handelsbilanz. «Mit dieser Politik hat die SNB auch ganze Branchen ‹zombifiziert›: Unternehmen leben von billigen Krediten statt von echter Wettbewerbsfähigkeit; die Migration wird angetrieben, die Pensionskassen enteignet, der Konsum verteuert», wettert Janssen, der natürlich auch weiss, dass die SNB nur für die monetären Rahmenbedingungen und speziell für die Preisstabilität verantwortlich ist, nicht aber für die allgemeine Wirtschafts- und schon gar nicht für die Migrationspolitik.
Gold kaufen: Mehre Fliegen mit einer Klappe
Sanfte Kritik an der Standpauke Janssens bedeutet jedoch nicht, dass die SNB in der Vergangenheit stets alles richtig gemacht hätte oder – was mit Blick auf die Zukunft relevanter ist – keinen Beitrag zur Linderung des Problems leistet könnte. In diesem Sinne ein Vorschlag von finews.ch, der angesichts der Arglist der Zeit zumindest halbernst gemeint ist:
Rund ein Fünftel der Exporte in die USA entfällt auf Gold (und andere Edelmetalle), das in der Schweiz bloss verarbeitet wird. Die SNB könnte den Raffinerien dieses Gold abkaufen und damit gleich mehrere Fliegen mit einer Klappe schlagen.
Die «nukleare» Option: Den Treasury-Markt fluten
Erstens würde so der Handelsbilanzüberschuss mit den USA rasch abgebaut. Zweitens könnte die SNB dadurch ihren nach dem Sündenfall der Goldverkäufe Anfang der 2000er-Jahre auf weniger als die Hälfte des ursprünglichen Bestands von 2590 Tonnen geschrumpften Vorrat wieder substanziell aufstocken, was aus Risikomanagementüberlegungen durchaus sinnvoll wäre. Drittens könnte sie den Kauf über neu geschaffenes Geld (eine Art quantitative Lockerung) finanzieren, was die Schweizer Wirtschaft unterstützen würde.
Oder die SNB könnte für die Finanzierung ihre immer noch sehr hohen Bestände an Devisenanlagen heranziehen. Wetten, dass die (glaubwürdig vorgetragene) Drohung mit der aus Sicht des globalen Finanzsystems fast schon «nuklear» anmutenden Option – die SNB kauft Gold und flutet zugleich den Markt mit US-Staatsanleihen, mit der fast zwangsläufigen Konsequenz von Verwerfungen im Treasury-Markt und an den Börsen weltweit – sogar den US-Präsidenten beeindrucken würde?