Es scheint offensichtlich, dass niedrige Zinsen die kostengünstige Finanzierung der Energiewende begünstigen. Doch dem ist nicht so, schreibt Bertrand Rocher von Mirova.

Von Bertrand Rocher, Portfolio Manager und Senior Credit Analyst bei Mirova, einer Tochtergesellschaft von Natixis Investment Managers

Der Kapitalismus ist nach Ansicht seiner Befürworter das effizienteste aller Systeme zur Kapitalzuteilung. In der Theorie führt Kapitalismus (die per Definition knappen) Ressourcen den Organisationen zu, die am besten wissen, wie man aus ihnen Mehrwert schafft. Oberstes Ziel ist es, Gewinne zu erzielen - und daran werden diese Unternehmen gemessen.

Mit Hilfe der Erträge werden Investoren in Form von Dividenden, Kapitalgewinnen oder Coupons dafür entlohnt, dass sie ihr Geld sinnvoll verteilt haben. In diesem System verschwinden Wirtschaftsakteure mit Produkten oder Dienstleistungen, die bei Kunden nicht auf Gegenliebe stossen. Denn sie erzielen nicht genügend Rendite, um ihren Anspruch auf knappe Ressourcen zu rechtfertigen. Das Kapital der Anleger wird ihnen in der Folge entzogen.

Viel Platz für Zombie-Unternehmen

Das Problem mit Null- oder Negativsätzen ist, dass sie dieses Ur-Funktionsprinzip des Kapitalismus stören: Die aktuellen Zinsen machen Platz für viele unrentable und verschuldete Unternehmen (auch Zombie-Unternehmen genannt). Solche Firmen verharren auf Kosten ihrer effizienteren Konkurrenten im Markt und schmälern letztlich die Margen.

Darüber hinaus leiten sie wahrscheinlich einen wichtigen Teil der Kapitalströme in unproduktive Vermögenswerte um. Schliesslich ist es kaum attraktiver, Risiken einzugehen, die durch Investitionen in Unternehmen entstehen, deren zusätzliche Gewinne jedoch bescheiden bleiben.

Schöpferische Zerstörung

Niedrige Zinsen stellen eine Bedrohung dar. Dies vor allem für Investoren mit der Überzeugung, dass Organisationen, die an laufenden ökologischen und sozialen Übergängen beteiligt sind, im Durchschnitt eine klar bessere Performance erwirtschaften sollten als ihre weniger engagierten Konkurrenten. Tiefe Zinsen beeinträchtigen die Entstehung leistungsstarker Unternehmen, indem sie das Überleben der weniger fitten ermöglichen. Darüber hinaus fliesst das Kapital, das keine Zombie-Unternehmen unterstützt, im Zeitalter der Niedrigzinsen gerne auch in «reale» Vermögenswerte – wie zum Beispiel historische Immobilien, den Kunstmarkt, Fahrzeugsammlungen, Gold und andere. Das allerdings erhöht in keiner Weise die Art von Reichtum, mit der eine Verbesserung der materiellen Situation der Menschheit einhergeht.

Deshalb stehen niedrige Zinsen den Mechanismen der schöpferischen Zerstörung im Wege, die bereits Joseph Schumpeter (1883-1950) propagierte. Und doch, was ist der gegenwärtige ökologische Übergang, wenn nicht ein Fall von schöpferischer Zerstörung? Das Beispiel Japans bietet indessen Grund zu der Annahme, dass langfristig reduzierte Kapitalkosten den wirtschaftlichen Wandel nicht unbedingt verhindern.

Japan: Zwanzig Jahre mit niedrigen Zinsen

Zur Erinnerung: In den 1990er Jahren begann in Japan der Niedrigzinszyklus nach dem Platzen der Immobilienblase in den 1980er Jahren. Diese war entstanden durch ein spektakuläres Nachkriegswachstum und die steigende Bevölkerungsdichte im Inselstaat. Nach dem Immobiliencrash war es notwendig, die aufgeblähten Bilanzen der japanischen Banken zu straffen: Der Schritt in Richtung Konsolidierung erwies sich als die Lösung. Als Folge davon wich das japanische Finanzwesen, das Ende der 1980er Jahre zu den mächtigsten gehörte, einer enormen Verwaltung mit der Hoheit über Ersparnisse, Finanzmittel und unter Miteinbezug von privatem Kapital. Entgegen der allgemeinen Auffassung war dieser Übergang kein Zuckerschlecken:

  • Der Finanzsektor wurde verkleinert,
  • Zombie-Unternehmen überlebten, und die grossen Meister des japanischen Kapitalismus unterschieden sich nicht so sehr von denen, die das Parkett danach betraten,
  • Wenn die Beschäftigungsquote der Senioren in Japan sehr hoch zu sein scheint, dann liegt das daran, dass die Renten nicht ausreichen, um ihnen einen angemessenen Lebensstandard zu garantieren.

Die gute Nachricht ist jedoch, dass dieses Gesamtbild insbesondere durch einen Faktor aufhellt: Japans Fähigkeit, in neue Technologien zu investieren. Im Land der aufgehenden Sonne haben Unternehmen (ob Zombie oder nicht) ihre Forschungsanstrengungen fortgesetzt. Und das ermöglicht es ihnen, langfristige Veränderungen voran zu treiben, wenn auch wahrscheinlich nicht im gleichen Tempo wie in den 1960er, 1970er und 1980er Jahren.

Kapitalismus ohne Kapitalkosten und fundamentaler Staatswesen

Sollten das Interesse privater Kapitalgeber zur Finanzierung des Energiewandels schwinden, könnte die öffentlichen Hand übernehmen, zumal sie jetzt zu sehr niedrigen, gar keinen oder sogar negativen Kosten finanzieren kann. Ausserdem würde sie eine fast schon absolutistische Rolle spielen, nicht unbedingt als Kapitalallokatorin, sondern eher als Aufsichtsbehörde für die Infrastruktur, die politischen Zielen dient, wie etwa der Flächennutzungsplanung.

Die Idee, dass die Anwendung der Beobachtungen Schumpeters dazu führen könnte, dass Staaten aktiv an der Finanzierung eines gross angelegten wirtschaftlichen Übergangs beteiligt werden, mag überraschend erscheinen, aber es wäre kein allzu weiter Schritt in einer Welt, die Kreditnehmer für das Eingehen von Schulden belohnen würde. Aber gehen Sie nicht davon aus, dass die Finanzwelt es aufgegeben hat, zu diesem Übergang beizutragen; ganz im Gegenteil: Unabhängig von ihrer Motivation senden überzeugte Akteure, die sich dafür einsetzen, bei ihren Investitionen mehr ESG-Faktoren zu berücksichtigen, eine klare und vielversprechende Botschaft aus.


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